Du hast schlecht geschlafen, meine Liebe? Vielleicht würde dir Farbtherapie weiterhelfen. Ich glaube, dir fehlt Rot.“ Die Psychologiestudentin Karina erklärt es ihren ungläubigen Freundinnen. Farbtherapie gehe von Energie aus, welche die Farben verströmen. Gezielte Farbeinsätze könnten bei den unterschiedlichsten Problemen Abhilfe verschaffen. Gelb scheint ein Alleskönner zu sein. „Ach wie blöd, keine von uns hat was Gelbes an!“ Dafür tragen die fünf jungen Frauen knappe Bikinis in anderen knalligen Farben, pink, blau, lila, türkis, und das über 100 Filmminuten lang. Kurz darauf stößt Flor dazu, sie trägt einen roten Bikini. Die sechs Grazien haben sich auf einer Dachterrasse in Buenos Aires versammelt, am vorletzten Tag des Jahres 1995, Hochsommer in Argentinien. Morgens um halb zehn ist es schon knapp 30 Grad heiß. Sie wollen sich von der Sonne braten lassen, damit sie später wie mulatas aussehen, schließlich bilden die sechs ein Salsaensemble, das am Abend an einem Wettbewerb teilnehmen wird.
In recht strenger Einheit von Ort und Zeit verläuft der Film Las Insoladas: sechs Darstellerinnen, ein Ort, Handlungszeit von morgens bis Mitternacht. Schnell stellt sich heraus, wer welchen Charaktertyp verkörpert. Das Dummerchen Vicky ist rothaarig und arbeitet in einem Friseursalon. Sie kann es nicht fassen, dass die Sonne größer ist als die Erde, und ihre Erkenntnis des Tages besteht darin, dass Che Guevara sein Vornamenpseudonym von der typisch argentinischen Anrede „Che“ hat. Die Zynikerin Sol ist brünett und arbeitet in einem Fotolabor. Manchmal, wenn ihr Abzüge der Kunden gefallen, macht sie heimlich welche für sich. Die Utopistin Flor ist blond und arbeitet als „Promoschlampe“. Am Abend zuvor war sie als sexy Nikolaus mit Bart und Minirock auf einem Event und bringt allen Schneegestöberkugeln mit Inselmotiv mit. Valeria ist rothaarig und arbeitet für ein Taxiunternehmen. Sie ist ziemlich männerfixiert, aber auch ihr Schoßhündchen ist ihr extrem wichtig. Die Psycho-Esoterik-Tante Karina ist brünett und kann hervorragend die Probleme der anderen analysieren. Lala ist blond und kann phantastisch die Nägel machen. Sie ist der Neuzugang, bringt Optimismus und Einfühlsamkeit mit. Alle miteinander sind sehr hübsch anzusehen, aber mit ihrem Leben sind sie nicht richtig zufrieden. Leider bleiben die Charaktere recht flach. Welche Ziele verfolgen sie im Leben? Die Suche nach einem erfüllenden, anständig bezahlten Job? „Unmöglich!“, schallt es im Chor. Der attraktive, einfühlsame, gutverdienende, treue Mann? „Unmöglich!“ Die bezahlbare Wohnung, nicht zu klein, mit Balkon? „Unmöglich!“ Welches Ziel ist möglich? Eine 14-tägige Cubareise, vom Reiseanbieter für 1799 US-Dollar beworben. Flor ist Feuer und Flamme. In einem Jahr fliegen wir alle zusammen nach Cuba! Schnell wird überschlagen, mit allem Drum und Dran müsste jede 2200 Dollar berappen. Lange Gesichter. Der Rest des Tages geht drauf mit euphorischen Plänen, Zweifeln und – vielleicht hitzeinduzierten – Visionen über die mögliche oder auch unmögliche Cubareise. Die in Lateinamerika weit verbreitete, anhaltende Begeisterung für das politische Modell Cubas wird hier zu einer dümmlichen Idealisierung auf Reiseprospektniveau (schließlich befand sich Cuba Mitte der 90er-Jahre mitten in der período especial, mit extremen Einschränkungen für die Bevölkerung). Die argentinischen Ladies träumen jedoch von Hotelanlagen, schwarzen Männern, Aquagymnastikkursen und Longdrinks. „Die Cubaner haben kaum Sorgen! Ein Arzt lebt von 20 Dollar im Monat! Das heißt, mit 2400 Dollar könnten wir zehn Jahre lang auf Cuba leben!“
Die sechs scheinen mit ihrem exaltierten Geplapper direkt dem schwer erträglichen argentinischen Fernsehen entsprungen zu sein. Die Mädels leiden an beschränkten Möglichkeiten, schlecht bezahlten Jobs und ödem Alltag. Hintergrund sind die neoliberalen 90er-Jahre in Argentinien, was aber nicht weiter vertieft wird. Ab und zu stechen aus dem beständigen Parlieren amüsante Pointen hervor. Als Präsident Menem genannt wird, zucken alle zusammen und schreien auf, ein böser Geist, der wie Lord Voldemort nicht beim Namen genannt werden darf. „Sag seinen Namen nicht, das bringt schlechte Energie! Jetzt wird es drei Tage lang regnen!“ Nett auch der Gag, als Valerias Handy klingelt und ein ziegelsteingroßes Gebilde mit Antenne herausgezogen wird. Das meiste Gerede bedient aber ziemlich klischierte Vorstellungen von dem, worüber Frauen so reden, wenn sie unter sich sind.
Ästhetisch gesehen ist der Film ein wunderbar fotografierter Farbenschmaus; das Setting, eine weiße Dachterrasse vor strahlend blauem Himmel und der Skyline von Buenos Aires, ist genial. Allerdings ist diese azotea zu schmuck, Dachterrassen am Río de la Plata sind normalerweise viel schäbiger. Eine von vielen Unstimmigkeiten des Films. Am Schluss wird dann auch noch der Salsaauftritt der sechs Damen gezeigt – eine ziemlich lahme Performance.
Regisseur Gustavo Taretto drehte schon „Medianeras“ (siehe ila 366), für den er zahlreiche Preise einheimste, bei dem man sich bereits über die Luxusprobleme gutaussehender Großstadtsingles in schicken Wohnungen wunderte. Zu den Produzenten der hübsch fotografierten Männerfantasie „Las Insoladas“ gehört Hans W. Geißendörfer (der von der „Lindenstraße“). Wenigstens macht der Film mit seiner gekonnt inszenierten Hitzevermittlung Lust auf Sommer beziehungsweise könnte punktuelle Linderung im verregneten Sommer hierzulande verschaffen. Denn wie Flor bemerkt: „Der Winter ist Kapitalismus, der Sommer ist Kommunismus.“ Das ist doch wenigstens was.