Kolumbien: Den Kampf auf anderen Ebenen fortsetzen

Die Mitglieder von Quintín Lame kamen vor allem aus den indianischen Gemeinden. Die Führer rekrutierten sich aus den Verteidigungsgruppen, die sich schon vorher gebildet hatten. Aber die Gruppe war nie ausschließlich aus indígenas zusammengesetzt. Auf keinen Fall hatte sie eine indigenistische Linie. Wenn andere Bevölkerungsgruppen im Cauca, vor allem Bauern, Unterstützung brauchten, half Quintín Lame. Die Gruppe hatte auch ausgezeichnete Beziehungen zu Kleinbauern, die einen Flecken Land besaßen und sogar häufig mit Indianern Konflikte austrugen. Quintín Lame versuchte dann, bei diesen Konflikten einzugreifen und die Streitigkeiten zu beseitigen. Der Gründer von Quintín Lame war ein Schwarzer, Luis Angel Monroy. Er war schon vorher an den Kämpfen der indígenas im Cauca beteiligt.

Wie war Quintín Lame organisiert? Gab es frentes, das heißt ständige Einsatzgruppen, oder gingen die Mitglieder ihrem normalen Alltag nach und schlossen sich der Gruppe nur an, wenn es zu Aktionen kam?

Am Anfang war das so, daß die Leute ihrem Alltag nachgingen und sich der Gruppe nur bei bestimmten Aktionen anschlossen. Das war vor 1984. 1984 bildete sich dann eine feste Gruppe mit ungefähr 50 Mitgliedern. Diese Gruppe wuchs dann und wurde in vier Gruppen aufgeteilt, die in vier Zonen oder frentes operierten. Praktisch waren sie in vier unterschiedlichen Gebieten des Cauca-Departements aktiv. Es gab dort zwei oder drei Jahre lang eine spürbare Präsenz. Dann reduzierte sich die Gruppe auf zwei frentes. Am Schluß, als die Friedensgespräche in Gang kamen, formierte sich wieder eine einzige Gruppe, die dann auch im Friedensdorf von Pueblo Nuevo im Cauca war.

Wieviele Mitglieder hatte Quintín Lame zum Schluß?

Beim Demobilisierungsprozeß waren es 150 Personen. Nicht alle davon gehörten zuvor zur mobilen Einsatzgruppe, aber die meisten hatten bei den frentes gearbeitet.

Ist Quintín Lame immer eine Verteidigungsgruppe geblieben oder hat sie sich zu einer politisch-militärischen Organisation entwickelt? Das heißt, führte sie nur Aktionen zur Verteidigung durch oder hatte sie weitergehendere politische Ziele?

Die Aktionen von Quintín Lame hatten vor allem Verteidigungscharakter. Aber die Gruppe hatte auch Züge einer politisch-militärischen Organisation. Quintín Lame gehörte auch der Nationalen Guerilla-Koordination und ihrer Fortsetzung, der Guerilla-Koordination Simón Bolívar an. Dort trat sie für eine politische Lösung des Gewaltkonflikts ein. Mehrere Jahre lang machte die Guerilla-Koordination der Regierung Verhandlungsvorschläge. Gleichzeitig mit der Gruppe M-19 verhandelten vier weitere Gruppen der Guerilla-Koordination. Eine davon war Quintín Lame. Leider hatten diese Verhandlungen keine konkreten Ergebnisse. Einerseits wegen des mangelnden Interesses der Regierung, andererseits wegen der nicht immer einmütigen Positionen der Mitgliedsorganisationen der Guerilla-Koordination. Zum Schluß ergab sich die Möglichkeit für gemeinsame Verhandlungen von drei Gruppen, dem EPL (Volksbefreiungsheer), der PRT (Revolutionäre Arbeiterpartei) und Quintín Lame.

Als Quintín Lame Mitglied der Nationalen Guerilla-Koordination war, kam es da zu Reibereien mit den anderen Guerillagruppen und der Coordinadora Guerrillera? Schließlich war Quintín Lame vornehmlich eine Gruppe zur Verteidigung der indígenas. Vorher hatte es doch schon Probleme mit Leuten von der FARC, einer kommunistisch orientierten Guerillagruppe, gegeben.

Die Widersprüche mit den FARC-Leuten (Revolutionäre Streitkräfte Kolumbiens) waren eine Zeitlang sehr stark. Quintín Lame mußte sogar gegen einige Gruppen der FARC tätig werden. Die FARC versuchte damals, in einigen indianischen Gebieten gewaltsam ihren Willen durchzusetzen. Glücklicherweise konnten diese Widersprüche und Probleme überwunden werden. Das ist vor allem dem persönlichen Eingreifen von Alfonso Cano vom Oberkommando der FARC und von anderen Führern der FARC auf nationaler Ebene zu verdanken. Denen dämmerte es, daß solche Konflikte weder ihnen noch uns dienten. Anfang 1986 wurde ein Abkommen zwischen den wichtigsten indianischen Führern und den FARC unterzeichnet, wodurch diese Differenzen beseitigt wurden. In den letzten vier oder fünf Jahren sind keine Konflikte mehr mit den FARC vorgefallen.

In der Guerilla-Koordination Simón Bolívar ist es nicht zu wirklichen Konflikten gekommen. Aber es gab immer unterschiedliche Positionen der einzelnen Mitgliedsorganisationen. Das war aber kein spezielles Problem von Quintín Lame. Zwischen den anderen gab es auch große Abweichungen und Unterschiede. Ich glaube, das war der eigentliche Grund, warum die Coordinadora nicht zu kontinuierlicheren Verhandlungen fähig war. Bei den Konferenzen der Guerilla-Koordination gab es durchweg gemeinsame Vereinbarungen und Vorschläge. Aber wenn die Leute dann auseinandergingen, machten sie keinerlei Anstalten, diese Vorschläge auch koordiniert umzusetzen.

Warum hat Quintín Lame den bewaffneten Kampf aufgegeben? Welche politischen Gründe gibt es dafür, den bewaffneten Kampf in diesem Moment nicht als eine Möglichkeit der Verteidigung oder als eine Form, gesellschaftliche Veränderungen zu erreichen, zu sehen?

lm Fall der Gruppe Quintín Lame muß man ihren besonderen Charakter berücksichtigen. Sie war immer vornehmlich eine Verteidigungsgruppe und hat nie den Versuch unternommen, Avantgarde oder politische Führung von sozialen Organisationen zu sein. Quintín Lame ist immer davon ausgegangen, daß gesellschaftliche Veränderung überwiegend das Ergebnis von sozialen und politischen Kämpfen der Massenorganisationen ist. Innerhalb der Nationalen Guerilla-Koordination hat Quintín Lame immer auf der Notwendigkeit der Legitimität der bewaffneten Organisationen beharrt und darauf, daß die einzige Möglichkeit für diese Legitimität die Unterstützung des Volks ist, und für die Forderungen der Basis zu kämpfen. Wir glauben, daß der bewaffnete Kampf zur Zeit die Unterstützung des Volks verloren hat. Heutzutage gibt es sehr wenig Sympathie der Basis für den bewaffneten Kampf. Ich glaube, daß eine bewaffnete Organisation, der die Unterstützung der Basis fehlt, keine politische Zukunft hat. Wir halten weiterhin den bewaffneten Kampf für gerechtfertigt, wo er nötig wird, wo es paramilitärische Organisationen gibt und wo Gewalt von den Staatsorganen und den herrschenden Gruppen ausgeübt wird. Aber wir glauben nicht, daß der bewaffnete Kampf die geeignete Form ist, um an die Macht zu kommen.

Eine Schlüsselfrage ist doch eigentlich, warum der bewaffnete Kampf die Unterstützung der Basis verloren hat. Warum ist das passiert?

Ich glaube, aufgrund der Fehler, die die bewaffneten Organisationen gemacht haben. In der Nationalen Guerilla-Koordination haben wir immer wieder vorgetragen, daß die Aktionen der bewaffneten Organisationen oft mehr ihrer eigenen Stärkung dienten – sich selbst zu erhalten und zu finanzieren -, als daß sie die Kämpfe der Basis unterstützten. Natürlich war das nicht ausschließlich so. Aber es kam zu Abweichungen, bis hin zu terroristischen Aktionen; Aktionen, die bestimmt nicht die Sympathie des einfachen Bürgers weckten. Zur Zeit gibt es gewisse Veränderungen in Kolumbien, vielleicht wird es dadurch möglich, demokratische Freiräume zu gewinnen. Aber schon lange vor diesen Entwicklungen hat die bewaffnete Bewegung viel von ihrer Legitimation eingebüßt. Ich glaube, vor allem wegen ihrer eigenen Fehler. Weil sie sich praktisch in eine Lebensform verwandelt hat, die zunehmend statisch wurde. Die bewaffnete Bewegung hatte sehr wenig Einwirkung bei den Kämpfen der Basis. Oft kam es an einem Ort zu Kämpfen der Basisbewegungen, aber die bewaffnete Bewegung war ganz woanders, und es gab sehr wenig Beziehung zwischen Guerilla und Volksorganisationen. Ich glaube, daß das Schema, die Macht mit den Waffen zu ergreifen, der Entwurf einer revolutionären Regierung und von schnellen Veränderungen als klar bestimmtes politisches Projekt schon vor geraumer Zeit in die Krise gekommen ist. Es sieht heute doch sehr schwierig aus, mit dem bewaffneten Kampf an die Macht zu kommen. Noch nicht einmal in El Salvador, mit sehr viel mehr Möglichkeiten diesbezüglich als in Kolumbien, gelingt es den politisch-militärischen Organisationen an die Macht zu kommen.

Aber es folgt noch eine zweite Frage: Bis zu welchem Grad ist es für ein Land positiv, daß überhaupt eine bewaffnete Gruppe an die Macht kommt? Das ist auch nicht so klar, wenn man die Erfahrungen dazu analysiert. Ich denke, daß das alte Projekt in eine Krise geraten ist. Bestimmt nicht nur in den osteuropäischen Ländern. Auch in den Ländern der ,,Dritten» Welt gab es negative Erfahrungen. Wir müssen alles neu definieren. Schlußfolgerung ist deshalb aber nicht, daß der Kapitalismus ewig hält und daß man ihn deshalb unterstützen muß. Wir müssen uns mehr Raum geben und mehr Überlegungen anstellen, für welche Projekte der Zukunft wir kämpfen wollen.

Ich danke für das Gespräch.