Andreas, du bist seit 2003 in der ila aktiv. Was hat dich an der ila interessiert und dich bewogen mitzuarbeiten?
Das waren in erster Linie zwei Dinge. Zum einen war ich zweimal in Lateinamerika unterwegs, zunächst 1999 auf einer Reise und dann 2003, wo ich in Santa Cruz de la Sierra im bolivianischen Tiefland gearbeitet habe. Dabei konnte ich mich persönlich von der Situation vor Ort, den sozialen Bewegungen, dem Widerspruch zwischen Hoch- und Tiefland und den politischen Auseinandersetzungen überzeugen. So hat sich nach und nach eine Affinität zu Lateinamerika herauskristallisiert. Zum zweiten wollte ich ein Stück weit über den lokalen politischen Tellerrand in Siegen, wo ich studiere, hinausschauen. Das war mir einfach zu eingeschworen. Es gibt bestimmte Leute, die lange dabei sind und Positionen vertreten, an denen kaum noch zu rütteln ist. Der starke regionale Bezugspunkt verhindert manchmal die Reflexion größerer Zusammenhänge. Deswegen war es mir wichtig, alternative politische Debatten darüber hinaus mitzubekommen.
Die ila versteht sich einerseits als politisches Projekt, andererseits als Zeitschrift. Was hat dich stärker interessiert – die Zeitschrift oder das politische Projekt?
Eigentlich beides. Vom inhaltlichen Standpunkt natürlich die politischen Debatten und Positionierungen, andererseits hat es mich auch interessiert, überhaupt mal mitzubekommen, wie eine Zeitschriften-Redaktion arbeitet, die ihr Medium als nichtkommerziell und zu einer alternativen Gegenöffentlichkeit zugehörig versteht.
Warst du schon vor deiner Mitarbeit in der ila politisch aktiv?
Ich komme aus der Nähe von Leipzig und war dort in der Antifa-Arbeit aktiv. In der Region gibt es ein sehr gut organisiertes rechtsextremes Spektrum, das nicht nur verbal, sondern auch auf physischer Ebene agiert und da war es mir schon als Jugendlicher ein Anliegen, etwas dagegen zu unternehmen. Später habe ich dann ein wenig Kulturarbeit gemacht. Ich hatte kürzlich das Vergnügen, Thomas Ebermann zu treffen. Er sagte, dass wenn politisch nicht viel ginge, man eben Kultur machen müsse. Das war eigentlich nicht mein Beweggrund. Ich hatte die etwas blauäugige Vorstellung, dass man damit etwas erreichen und eher Leute ansprechen könnte. Es handelte sich dabei um ein selbstverwaltetes Kulturcafé an der Universität, das sich auch politisch positioniert und nichtkommerziell arbeitet. Aber das war letztendlich ziemlich frustrierend. Ich habe viel Zeit investiert und es kam sehr wenig zurück. Das ist – kurz gefasst – meine politische Sozialisation.
Wenn du jetzt auf deine bisherige Zeit in der ila zurückschaust, welche deiner Erwartungen haben sich erfüllt und welche haben sich eher nicht erfüllt?
Ich bin mit wenigen konkreten Erwartungen zur ila gekommen. Es ist relativ schwierig, sich ein Bild von einem Arbeitszusammenhang zu machen, den man nur über das Internet und ein paar Zeitschriften kennt. Was ich von Anfang an als sehr positiv empfand, war die große Partizipationsmöglichkeit als neues Mitglied und die schnelle Akzeptanz bei den teilweise langjährigen MitarbeiterInnen – und da gibt es ja erhebliche Altersunterschiede. Von Anfang an konnte ich an allen Arbeitsabläufen teilnehmen und habe so in relativ kurzer Zeit viel dazu gelernt. Das hatte ich so nicht erwartet.
Was mich weiterhin positiv überrascht hat, war der relativ hohe Frauenanteil in der ila. Das finde ich für mich persönlich sehr spannend und wichtig, weil es mich ständig zum Überdenken eigener, unbewusst eingefahrener Positionen anregt. Das kenne ich aus anderen Arbeitszusammenhängen kaum, weil der Männeranteil immer sehr hoch ist und die Gruppen davon stark geprägt sind. Deshalb sehe ich den hohen Anteil von Frauen in der ila mit dezidiert feministischen Positionen sehr positiv.
Was sich vielleicht nicht erfüllt hat, ist der Einblick in das komplexe Netzwerk der ila. Ich weiß immer noch nicht, aus welchen Zusammenhängen die Autoren und Autorinnen kommen, woher man die kennt und was die genau machen. Wenn in der ila über mögliche Beiträge diskutiert wird, fällt schnell eine Reihe von Namen, die man um Beiträge bitten könnte – viele davon auch aus Lateinamerika. Als Neuer blickt man dann oft nicht, woher diese Kontakte eigentlich stammen. Da merkt man einfach, dass sich da dreißig Jahre an Erfahrungen angesammelt haben, die man nicht so ohne weiteres wettmachen kann. Das liegt vielleicht auch an mir selbst, weil ich noch öfter nachfragen müsste. Es wäre aber auch etwas mühsam, sich immer wieder die einzelnen Personen und Namen erläutern zu lassen. Da verlässt man sich auf den Erfahrungshintergrund der anderen, die meinen, das sei ein kompetenter Mann oder eine kompetente Frau in dem Bereich, den wir in unserem Heft behandeln wollen.
Du gehörst in der ila zu denjenigen, die am stärksten inhaltliche Debatten und Positionierungen in den Redaktionssitzungen einfordern. Meinst du, dass wir da ein Defizit haben, oder glaubst du, dass der theoretische Rahmen und die Positionen bei den alten ila-Mitgliedern unausgesprochen vorausgesetzt werden und neue Leute deren Entwicklung nicht nachvollziehen können?
Letzteres würde ich ein Stück weit bejahen. Es entwickelt sich erst so nach und nach, dass man die Positionen je-der/s Einzelnen mitbekommt, indem man Diskussionen zu bestimmten Themen führt. Dann merkt man natürlich auch, dass die Älteren eine völlig andere politische Sozialisation hinter sich haben. Die bundesrepublikanische Solidaritätsbewegung der siebziger und achtziger Jahre ist eben ein völlig anderer Hintergrund. Das läuft zum Beispiel darauf hinaus, dass – ich drücke es mal etwas überspitzt aus – Reste von Klassenkampfrhetorik einer antiimperialistischen Linken zu spüren sind.
Da gibt es z.T. noch gewisse Strukturen und Denkweisen, die mir eher fremd sind. Ich bin stark durch die Debatte Mitte/Ende der 90er geprägt, die beispielsweise von der Initiative Sozialistisches Forum (ISF) in Freiburg angestoßen wurde. Dabei ging es zuvorderst um das kritische Hinterfragen der Solidarisierung mit jeglicher Form von Befreiungsbewegung und der binären Interpretationsschemata in Imperialisten und Antiimperialisten. Da trennt die verschiedenen Generationen sicherlich eine Menge. Das kristallisiert sich erst heraus, wenn über bestimmte Punkte diskutiert wird und man bemerkt, dass sich die Positionen unterscheiden.
Ich fände es wichtig, dass wir auch Artikel über konkrete Ereignisse und Bewegungen aus Lateinamerika stärker in einen theoretischen Zusammenhang stellen würden. Das ist natürlich teilweise ein Zeitproblem. Ich kann nicht so oft in Bonn sein, wenn derartige Debatten außerhalb der Redaktionssitzungen geführt werden, vor allem beim Layout, wo neben der Gestaltung des Heftes oft bis in die Nacht geredet und politisch diskutiert wird. Aber es wäre wichtig, bestimmte Grundsatzdebatten intensiver zu führen und die Bewegung in Lateinamerika, über die wir berichten, auch kritisch zu reflektieren. Das heißt aber nicht, dass wir in der typisch eurozentrischen Manier einer europäischen Linken immer alles für obsolet erklären sollen, was nicht unserem Ansatz entspricht. Wir sollten uns aber stärker klarmachen, wo Bewegungen oder Regierungen in Lateinamerika zu verorten sind. Ich denke da zum Beispiel an Venezuela. Es kann nicht unsere Haltung sein, die Handlungen und Reden von Chávez kritiklos hinzunehmen, wie es heute Gruppen aus der traditionellen antiimperialistischen Linken tun. Doch speziell zu diesem Beispiel haben wir meiner Meinung nach immer eine kritische Haltung eingenommen, mit der ich hundert Prozent d’accord gehe.
Als die ila 1975/76 entstanden ist, gab es viele ähnliche Projekte und Gruppen. Die meisten haben sich längst aufgelöst. Warum glaubst du als jemand, der erst relativ kurz dabei ist, gibt es die ila immer noch?
Ich denke, das hat zwei Ursachen. Einerseits ein treues LeserInnenspektrum, das zum Teil auch noch aus der Solidaritätsbewegung der siebziger und achtziger Jahre kommt. Ich habe keinen genauen Überblick, wie sich das Spektrum genau zusammensetzt, aber ich vermute, dass da eine gewisse Treue herrscht und ein Interesse am Thema besteht. Das LeserInnenspektrum ist sehr gemischt. Es gibt einen harten Kern von Leuten, die die ila schon sehr lange beziehen, das ist etwa ein Viertel der AbonnentInnen. Es gibt aber auch viele, die die ila erst seit ein paar Jahren lesen. Interessant ist vielleicht, dass Anfang der achtziger Jahre ungefähr die Hälfte der Abos ermäßigte StudentInnenabos waren. Dieser Anteil ist bis Ende der neunziger Jahre kontinuierlich zurückgegangen und lag vor sechs,sieben Jahren nur noch bei einem Viertel. Seitdem steigt er wieder stetig an. Das heißt, die ila scheint für jüngere LeserInnen wieder attraktiver geworden zu sein.
Lateinamerika steht in den letzten Jahren auch wieder mehr im Fokus der Aufmerksamkeit. Auf deine Frage zurückkommend würde ich sagen, dass neben dem treuen LeserInnenpublikum, ohne das eine solche Zeitschrift nicht überleben kann, ein zweiter Grund von Bedeutung ist. Ich glaube, dass die ila stets offen für kritische Interventionen war/ist und sich nie als Verlautbarungsorgan positioniert hat, das bestimmte Entwicklungen abfeiert. Ich habe oft den Eindruck, dass Lateinamerika für manche Linke als Projektionsfläche dient. Was hierzulande fehlgeschlagen ist oder nicht funktioniert hat, nämlich beispielsweise eine starke soziale Bewegung oder eine Politisierung der Gesellschaft, sieht man nun voller Hoffnung in Lateinamerika und feiert es ab, anstatt die politischen Prozesse mit ihren Widersprüchen, aber auch progressiven Ansätzen zu erfassen. Diese Tendenz zur Glorifizierung sehe ich bei der ila nicht. Ich bin überzeugt, dass unsere LeserInnen das honorieren
Was denkst du, sollte die ila in Zukunft machen?
Wenn es die ila seit dreißig Jahren gibt, ist das ja auch eine gewisse Auszeichnung und Belohnung, vor allem für die freiwillige Arbeit der Leute. Dreißig Jahre kommen ja nicht von ungefähr. Das ist für die linke Bewegung in Deutschland eine sehr lange konstante Entwicklung und es gibt nur wenig Vergleichbares. Deshalb sollte die ila ihrer Linie treu und für neue Fragestellungen und Entwicklungen offen bleiben.
Glaubst du, dass ein gedrucktes Medium überhaupt eine Zukunft hat, oder wird es in zehn, fünfzehn Jahren derartige Zeitschriften nur noch in elektronischer Form geben?
Was das angeht, bin ich eher konservativ. Das Internet ist sicher wichtig als zusätzliches Medium der Gegenöffentlichkeit, aber da werden die Erwartungen teilweise auch viel zu hoch gesteckt. Wenn Leute irgendwelche Blogs aufmachen, dann ist das immer nur für eine relativ kleine LeserInnenschaft attraktiv. Das gedruckte Medium wird auch weiterhin seine treuen Anhänger behalten. Die Prognosen über das Ende des Buches mit dem Aufkommen des digitalen Zeitalters haben sich bis heute als falsch erwiesen. Statt dessen ist von einer Parallelität verschiedener Medien und Nutzungsgewohnheiten auszugehen. Wir haben ja parallel zur Zeitschrift unsere Website mit der täglich aktualisierten Presseschau zu Lateinamerika, wozu ich viel positives Feedback bekomme. Ich erachte diese Kombination als sinnvoll, so dass die Printausgabe in jedem Fall weiter bestehen sollte und auch wird.