Das Lateinamerika-Magazin

La Negra ist tot

Abschied von Mercedes Sosa (1935-2009)

Am vierten Oktober hat ihr Herz sie im Stich gelassen. Mercedes Sosa, gesegnet mit einer mächtigen, einzigartigen Stimme, hat uns in ihrem Tod genauso wie durch ihr engagiertes Leben vereint. Auf ihrer Website häufen sich Nachrufe aus aller Welt: auf Deutsch, Italienisch, Portugiesisch, Französisch und selbstverständlich auf Spanisch. Es schrieben Leute wie ich, die sie seit über 30 Jahren kannten, aber auch Achtzehnjährige aus Nicaragua und Vierzigjährige aus El Salvador. Die Botschaft der meisten Einträge ist ähnlich: Wir bedanken uns für alles, was sie uns durch ihre Musik und durch ihr unermüdliches und konsequentes politisches Engagement gegeben hat, und trauern unendlich. Ihre Lieder haben viele Kämpfe begleitet und standen für Werte, für die wir weltweit aufgestanden sind.

Vier Tage lang saß ich am Computer und hörte und sah ihre Konzerte, las die Nachrufe, hörte ihre Musik, kaum fähig etwas anderes zu machen. Über 10 000 Kilometer Entfernung war ganz Argentinien ebenso gelähmt. Mercedes Sosa wurde wie sonst nur Staatsmänner (noch keine Frau) im Salón de los Pasos Perdidos des Abgeordnetenhauses aufgebahrt. Die Leute standen Tag und Nacht Schlange, um von ihr Abschied nehmen zu können. Leute aus den Armenvierteln wie aus dem Mittelstand. JedeR hatte eine Blume in der Hand. Manche trugen ein Bild von La Negra, wie sie zeitlebens genannt wurde. Viele weinten. Vor dem Eingang versammelten sich argentinische FolklorekünstlerInnen, die sangen und tanzten. Als der Leichnam am 5. Oktober gegen Mittag zum Friedhof La Chacarita, wo auch Carlos Gardel ruht, gefahren wurde, standen die Leute entlang des Zuges in den Straßen von Buenos Aires klatschend, respektvoll, traurig. Das war eine der wenigen Gelegenheiten, bei denen ich mich mit meinem Land versöhnt fühlte. 

Ich weiß nicht, wann ich sie zum ersten Mal gehört habe, erinnere mich aber an einige Schlüsselmomente. Einer davon war 1982, als sie kurz vor dem Ende der Militärdiktatur aus dem Exil nach Argentinien zurückkam und ihre ersten Konzerte in einem Theater der Avenida Corrientes gab. Eines der ersten Lieder, das sie interpretierte, war La Carta von Violeta Parra. Herausfordernd stand sie auf der Bühne und sang. Wir wurden für einen kurzen Moment von Angst gepackt. Aber diesmal wurde das Konzert nicht von der Armee unterbrochen. 

Später, im Juni 1989, hatte ich die Gelegenheit, mit einer Freundin Mercedes Sosa in Köln zu interviewen. Auf die Frage, wie eine Folklorekünstlerin ihre Wurzeln im Exil behielt, sagte sie, dass die Folklore die Wurzel für sie war. Sie empfand es als eine große Herausforderung, sich in einer anderen Sprache zu vermitteln: „Wenn man außerhalb seines Landes auftritt, arbeitet man immer angespannt. Weil man die Zuneigung von Leuten gewinnen möchte, die eine andere Sprache sprechen.“

Sie erinnerte sich, dass viele exilierte Kinder und Erwachsene während ihrer Auftritte weinten, bis sie eines Tages entschied, mehr Freude auf die Bühne zu bringen, denn sie wusste nicht, wie lange das Exil dauern würde. So fing sie an, das bolivianische Lied Pollerita zu singen und zu tanzen. Mercedes widmete dieses Lied der Bergarbeiterfrau Domitila Barrios, zu dem sie mit Domitila und mit französischen Frauen tanzte, die ein großes Treffen im Cirque d’hiver in Paris organisiert hatten. Pollerita war ihr sehr wichtig, denn sie empfand uns, sie und mich, als Nachfahren der indigenen Völker Lateinamerikas. Und das ist einer der wichtigsten Aspekte, die La Negra stets repräsentierte. Sie ist eine herausragende Vertreterin des América India, und noch viel mehr als das. Adiós Negra querida.