Landraub im Süden von Argentinien und Chile

Im Februar (ila 462) berichteten wir über die Räumung der Mapuche-Gemeinschaft Lafken Wilpu Mapu am Mascardi-See sowie über den Kampf gegen die Privatisierung des „Versteckten Sees“ (Lago Escondido) durch den britischen Milliardär Joe Lewis in der argentinischen Provinz Río Negro. Im Konflikt um die Mapuche-Gemeinschaft kam es am 1. Juni beim dritten Gespräch mit Regierungsvertreter*innen zu einer Einigung: Die Untersuchungshaft gegen die Mapuche-Frauen wird aufgehoben, sie können mit ihren Kindern den Hausarrest in Bariloche nach acht Monaten endlich verlassen; der spirituelle Ort (Rewe) am Mascardi-See wird respektiert, die Machi (Heilerin) kann dorthin zurückkehren; für die Gemeinschaft wird ein Ersatzgelände gesucht. Es bleibt abzuwarten, wieweit das Abkommen umgesetzt wird.

Wegen des Lago Escondido fand Anfang Februar zum siebten Mal die jährlich von der Stiftung für Wasserkultur FIPCA ausgerufene „Demonstration für die Unabhängigkeit“ statt. In dieser Aktionswoche wurden bei Auseinandersetzungen um den Zugang zum See mehrere Menschen von Polizei und privater Security schwer verletzt. Gleichzeitig entdeckte die Mapuche-Gemeinschaft Lof Cayunao 35 Kilometer weiter östlich bei einem Rundgang über die Berge, dass Arbeiter eines ausländischen Unternehmens dabei waren, weitere drei Seen und ihre Sommerweide einzuzäunen.

Das Gebiet umfasst einen Gletscher und die Quellen von fünf Flüssen, vor allem die des Río Chubut, der 800 Kilometer durch die Provinz Chubut zum Atlantik fließt. Die Wasserquelle der Provinz Chubut, für die 2021 der Wassernotstand ausgerufen wurde, liegt in der Provinz Río Negro und wurde vor mehr als 20 Jahren privatisiert. Lof Cayunao kämpft seit Jahren gegen den Ausverkauf des Landes und die Zerstörung des ökologischen Gleichgewichts durch Abholzung von Urwald, Kiefernplantagen und die Einrichtung von Jagdgebieten für reiche Hobbyjäger. Eine Klage des Indigenen Beirats gegen die Provinz wegen des Verkaufs von Mapuche-Territorien wird seit 2009 verschleppt. Auch die juristischen Schritte der Mapuche-Gemeinschaft führten nicht weiter. Soledad Cayunao und ihre Familie stellen sich deshalb selbst den Arbeitern in den Weg und konnten damit 2021 die Einzäunung verhindern. Aber es ist ein schwieriger, ungleicher Kampf. Sie verfügen nicht über Helikopter wie die Landbesitzer. Um zu ihrer Sommerweide zu gelangen, müssen sie 15 Kilometer zu Fuß zurücklegen. Dort in den Bergen sind sie schutzlos körperlichen Angriffen ausgeliefert. Als sie etwas in der Stadt zu erledigen hatten, fanden sie danach ihre Hütte zerstört vor. Lebensmittel, Schlafsäcke, Töpfe und andere Utensilien waren gestohlen. Ein neues Schild verkündete: „Zutritt verboten. Privateigentum.“

Ende März hielten die Mapuche-Gemeinschaften aus Río Negro und Chubut eine Versammlung ab, um sich mit Lof Cayunao zu solidarisieren. Die „Bewegung indigener Frauen und Queers für das Buen Vivir“ sammelte Spenden und machte den Konflikt bekannt. Ihre Sprecherin Moira Millán ging mit Soledad in die Berge hinauf. Im Mai wurde in den Städten Trelew und Rawson eine „Kommission zur Verteidigung der Quellen des Río Chubut“ gegründet, die eine Karawane vom Atlantik aus organisiert. In der Provinz gibt es bereits gute Erfahrungen mit der Verteidigung des Wassers: Im Dezember 2021 brachte ein Aufstand ein Gesetz zu Fall, das weitere Bergbauprojekte mit enormem Wasserverbrauch ermöglicht hätte (siehe ila 452).

Wem das Land jeweils gerade gehört, ist aufgrund von Weiterverkäufen, Strohmännern und eigens gegründeten Firmen oft schwer nachzuvollziehen. Entgegen erster Vermutungen gehören die Quellen des Río Chubut wohl doch nicht dem Emir von Katar, der verschiedene Ländereien in der Gegend besitzt, sondern dem Multimillionär Al Dhaheri aus den Arabischen Emiraten. Ex-Präsident Macri, gern gesehener Gast bei Joe Lewis am Lago Escondido, reiste 2017 gemeinsam mit dem Gouverneur von Río Negro in die Emirate. Danach kam es zu einigen Landkäufen in der Kordillere mit arabischem Kapital. Die Superreichen kaufen sich die letzten Paradiese für ihr Privatvergnügen. Aber es geht um viel mehr: Ausländisches Kapital und multinationale Konzerne sichern sich den Zugriff auf die letzten Ressourcen.

In einem weiteren Konflikt um Land und Natur in dieser Gegend hat die Mapuche-Gemeinschaft Lof Cayun Panicheo im Mai einen neuen Aufruf gestartet, für den Schutz des Flusses Río Puelo aktiv zu werden. Der Bau der Passstraße von El Bolsón (Argentinien) nach Puelo (Chile) soll wieder aufgenommen werden. Geplant ist die Sprengung von Bergen mit Urwald auf einer Länge von elf Kilometern. Das Landschaftsgebiet wurde von der UNESCO als grenz­überschreitendes Biosphärenreservat eingestuft. Im und am Fluss Río Puelo gibt es eine große Diversität von bedrohten Pflanzen und Tieren.

Lof Cayun Panicheo existiert auf beiden Seiten der Grenze am Fluss. Der Hauptsitz der Gemeinschaft ist in Segundo Corral auf der chilenischen Seite, aber ein Teil von ihr lebt auf der argentinischen Seite in der Nähe des Sees Lago Puelo. Der Weg war zu Fuß, zu Pferd oder mit Booten nie ein Problem. Die Gemeinschaft erkennt das Bedürfnis der Bewohner*innen von Segundo Corral an, mit Fahrzeugen bis zu ihren Häusern zu kommen. Das ließe sich aber in der Gemeinde regeln. Für das internationale Straßenprojekt sehen sie andere Gründe: die Ausweitung des kapitalistischen Extraktivismus. Schon jetzt kommt es jeden Sommer zu Brandrodungen, um Monokulturen von Kiefern oder Eukalyptus anzulegen, die durch ihren hohen Wasserverbrauch zu Dürren und Waldbränden beitragen. Die Provinzregierung von Chubut hätte außerdem ein Interesse an der Sprengung der Berge, um feststellen zu können, welche Ausbeute an Mineralien dort zu finden ist. Und die Passstraße sei ein Beitrag zum Plan IIRSA. Die „Infrastrukturinitiative zur regionalen Integration Südamerikas“ von 2000 soll den Warentransport erleichtern und Südamerika auf den Weltmarkt ausrichten.

Weiter nördlich auf der chilenischen Seite treffen wir auf den Fluss Río Pilmaiquén, der zwischen den Regionen Los Ríos und Los Lagos fließt. Hier kämpfen Mapuche gegen das norwegische Staatsunternehmen Statkraft und dessen Pläne, Wasserkraftwerke am Pilmaiquén zu bauen. Statkraft ist das größte europäische Unternehmen für erneuerbare Energien und rühmt sich für seine angeblich so grüne und saubere Politik. Millaray Huichalaf, Machi (Schamanin) und Sprecherin des Widerstands, sieht das in einem Interview mit eldesconcierto.cl anders: „Sie dachten, dass wir uns verkaufen würden. Wir haben von Statkraft Angebote bekommen. Aber wir haben nie einen Deal gemacht und werden das nicht tun. Wir stehen nicht mit ihnen im Dialog, weil sie uns mit der gleichen Haltung begegnen wie die Spanier, als sie kamen, um uns zu kolonialisieren. Sie denken, dass wir idiotische Indios sind, dass wir nicht denken und nichts wert sind.“

Statkraft begann seine Aktivitäten in Chile 2004 mit dem Joint Venture SN Power. 2015 kaufte das Unternehmen Eléctrica Pilmaiquén auf, das seit drei Jahren das Kraftwerk Rucatayo betrieb und zwei weitere am Fluss plante: Osorno und Los Lagos. Im Januar 2020 erreichten die Gegner*innen der Projekte ein Urteil des Umweltgerichtshofes, das die Genehmigung für Osorno für hinfällig erklärt, da die nach der ILO-Konvention 169 vorgeschriebene Anhörung der betroffenen Indigenen nur mit drei Gemeinschaften durchgeführt worden war. Ein kleiner Sieg nach vielen Jahren Widerstand: Als die Machi vor 14 Jahren die Verteidigung des Flusses aufnahm, war nur ihre Familie dabei, inzwischen haben sich mehr als 50 Gemeinschaften und Menschen aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen angeschlossen.

Der Bau der Kraftwerke stört nicht nur das ökologische Gleichgewicht, sondern auch das kulturelle und spirituelle. Mapuche haben ein spezielles Verhältnis zu den Gewässern. In ihrer Kosmovision ist Wasser ein Element, das Energie transportiert. Die begrabenen Toten werden zu Bäumen und Erde, aber ihre Seele und ihre Energie fließen im Wasser. Deshalb befinden sich die Friedhöfe immer in der Nähe von Flüssen. Durch die Kraftwerke würden archäologische Stätten und Zeremonienplätze der Mapuche überflutet.

Am 23. Februar kam es bei einer Demonstration gegen Statkraft und sein Megaprojekt Los Lagos zu heftiger Repression. Die Carabineros schossen mit Stahlkugeln auf Kopfhöhe. Mehrere Menschen wurden getroffen, und ein Kind erlitt eine schwere Augenverletzung. Dies passierte nur wenige Stunden, nachdem die Regierung Boric den Ausnahmezustand für den Süden Chiles erneut verlängert hatte. In der Militarisierung des Konfliktes um die Gebiete der Mapuche unterscheidet sich diese linke Regierung in nichts von den vorhergegangenen.

Über diese Repression erschien auch in einer norwegischen Zeitung ein Artikel, Abgeordnete forderten daraufhin den Industrieminister zu einer Stellungnahme auf und eine Solidaritätsgruppe lud eine Delegation der Mapuche nach Norwegen ein. Sie trafen sich auch mit den indigenen Sami, die Ende der 70er- und Anfang der 80er-Jahre starke Proteste gegen den Bau von Wasserkraftwerken auf ihrem Gebiet organisiert hatten. Als Norwegen daraufhin stärkere Wasserschutzgesetze erließ, begann Statkraft, in andere Länder zu expandieren. Aktuell befinden sich die Sami wieder im Konflikt mit dem Unternehmen wegen eines riesigen Windparks, der ihre Rentierhaltung beeinträchtigt. Ein Urteil von 2021, das feststellt, dass die Lizenzen für den Windpark die Rechte der Sami verletzen, hatte allerdings bislang keine praktischen Folgen. Auch in Norwegen gibt es weitere Aktionen gegen Statkraft.

Im Juni war eine Delegation der indigenen Yukpa aus Kolumbien in Deutschland. Sie sind direkt Betroffene der Sanktionen der BRD gegen Russland, da für den gesteigerten Export nach Deutschland auf ihrem Gebiet mehr Kohle gefördert wird. Bei einem Treffen mit Klimaaktivist*innen in Köln meinte der internationale Sprecher Juan Pablo Gutiérrez (siehe Interview in der ila 450), dass der jahrhundertelange Widerstand der Indigenen Wegweiser und Lichtblick für die Klimabewegung sei. Ihre Kämpfe machen uns drastisch klar, dass die Auslagerung der Probleme in den Globalen Süden keine Lösung ist, sondern Neokolonialismus, dass auch erneuerbare Energien nicht nur gut sind, dass es keinen technologischen Ausweg mit „grünem Kapitalismus“ gibt, dass es auch um die Lebensweise vieler Menschen im Globalen Norden geht, vor allem aber um ein Produktionssystem, das aus Profitstreben komplett überflüssige Dinge produziert, den Planeten zerstört und über Leichen geht.