Langsamer Countdown für die Wende?

Das Land, das sich nun mit voller Kraft dem Wahlkampf widmen kann, steckt ebenso wie seine mittelamerikanischen Nachbarländer in einer tiefen wirtschaftlichen und sozialen Krise. Um die öffentliche Sicherheit steht es schlecht, organisierte Kriminalität und der Drogenschmuggel nehmen zu, kriminelle Banden terrorisieren die Bevölkerung ganzer Stadtteile, sind der Alptraum von Busunternehmern, -fahrern und Passagieren gleichermaßen. Auch Probleme wie die fortschreitende Umweltzerstörung, Verknappung der natürlichen Ressourcen, Korruption und Ineffizienz der öffentlichen Institutionen stehen ganz oben auf der Liste von Problemen, denen sich die künftige Regierung stellen muss. An erster Stelle jedoch steht die Armut, die hohen Lebenshaltungskosten, noch verschärft durch die Explosion von Energiepreisen und Nahrungsmittelknappheit in Zeiten der Biosprit-produktion, und die Arbeitslosigkeit. Formale Arbeitsverhältnisse sind selten, allein in den Städten sind laut Einschätzungen sozialer Organisationen rund 55 Prozent der Beschäftigten im informellen Sektor tätig. Angesichts dieser Lage verzweifeln viele und suchen ihr Glück in der Auswanderung. Nach Schätzungen verlassen jeden Tag zwischen 600 und 700 Menschen das Land, hauptsächlich in Richtung USA. Laut einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts IUDOP der Jesuitenuniversität UCA zum Jahresende 2007 hatten fast 50 Prozent der Befragten nahe Angehörige im Ausland. Und 85 Prozent glaubten, dass El Salvador einen grundlegenden Wandel braucht.

Mit dieser Realität werden sich auch die beiden Bewerber um die Präsidentschaft auseinandersetzen müssen. Mauricio Funes, allgemein geachteter kritischer Fernsehjournalist, der im August 2007 seiner Karriere Lebewohl sagte, um sich auf Anregung der FMLN der Politik zu widmen, und Rodrigo Ávila, ehemals Polizeichef, ehemals Manager im Erdölgeschäft, spätberufenes ARENA-Mitglied, der sich für „eine menschlichere“ Rechte einsetzt. Wahlkampf ufert leicht in allzu personenbezogene billige Rhetorik aus. In diesem Fall repräsentieren die beiden Kandidaten zumindest auch einen abstrakten Wert. Die FMLN wirft ihre Glaubwürdigkeit als Gegnerin des neoliberalen Wirtschaftsmodells, Funes seine Glaubwürdigkeit als kritischer Mahner gegen die Bilanz jahrelanger mehr oder weniger erfolgreicher Polizeiarbeit Rodrigo Ávilas und die Bilanz von 19 Jahren ARENA-Administration mit ihren Höhen und Tiefen in die Wagschale.

„Unsere Strategie ist der demokratische Wandel, den es in unserem Land noch nie gegeben hat, hier gab es immer nur Stillstand, Stillstand unter einer Reihe von Miltärdiktaturen, unter der Regierung einer Partei der Militärs und dann 19 Jahre lang unter der ARENA-Partei“, erklärt der FMLN-Abgeordnete Gérson Martínez, im Wahlkampfteam der Frente zuständig für die Ausarbeitung des Wahlprogramms. Dieses entsteht unter anderem in den Foren des „Diálogo Social Abierto“ in Zusammenarbeit mit sozialen Organisationen, die in verschiedenen Arbeitsgruppen diskutieren. „Erst mal geht es darum, Kräfte zu bündeln“, erklärt Martínez. „Dieses Land war immer durch soziale Gegensätze getrennt, die Gesellschaft gespalten. Wir setzen auf gesellschaftliche Integration. Wie kann eine linke Partei so eine Politik machen? Weil wir die Interessen des Landes aus der Warte der bevorzugten Option für die Armen betrachten. Aber nicht aus der Warte des Ausschlusses. Das haben wir lang genug von der Rechten erlebt. Unser Ansatz ist die Einbeziehung. Wenn die Rechte die Spaltung repräsentiert, so repräsentieren wir die Einigkeit.“

Für Pedro Juan Hernández, Sprecher der MPR-12, eines Dachverbands von Organisationen aus der Kooperativen- und Bürgerrechtsbewegung, geht diese Gleichung auf, zumindest was den „Offenen sozialen Dialog“ betrifft. „Die FMLN hat dazugelernt. Dass der Präsidentschaftskandidat nicht aus der FMLN kommt, das ist schon mal ein Zeichen für eine Öffnung der Partei. Die Beteiligung der sozialen Organisationen an der Ausarbeitung des Programms – das ist eine neue Form der Politik.“ Nun sind die am Dialog Beteiligten oft alte Politik-Hasen. Die Hürde, die es zu nehmen gilt, ist die Passivität großer Bevölkerungsteile, bei denen die Botschaft, Teil einer Gesellschaft zu sein, womöglich gar nicht ankommen wird.

Die ARENA-Partei, 1988 vom Organisator der Todesschwadronen, Roberto d’Abuisson, gegründet, wird es mit dem inhaltlichen Wahlkampf noch schwerer haben, denn die Mehrheit der Bevölkerung macht sie für die prekäre Lage des Landes verantwortlich. Doch obwohl Arena in ihrem politischen Handeln stets offen die Interessen der Reichen und Mächtigen vertreten hat, ist sie seit neunzehn Jahren ungeachtet aller internen Krisen an der Regierung. Dass sie bisher noch nie von den WählerInnen nachhaltig abgestraft wurde, hat verschiedene Gründe. Auch der Vorwurf des Wahlbetruges ist immer wieder erhoben worden, ohne ein eindeutiges Ergebnis. Aber die Partei hat auch eine Stammwählerschaft und zwar paradoxerweise vor allem auf dem Lande und bei der Unterschicht. Dazu Jeannette Aguilar, Leiterin des Meinungsforschungsinstituts der UCA: „Das politische Projekt von ARENA wurde, im Gegensatz zu dem, was man erwarten könnte, eben nicht von den wirtschaftlich Mächtigen aufrechterhalten, sondern hauptsächlich von den ärmsten Bevölkerungsschichten, von jenen, die am verwundbarsten sind.“ Sprich von den Campesin@s, die keinen Zugang zu Bildung und Informationen haben, von BewohnerInnen vernachlässigter Vorstadtviertel, die trotz des Informationsüberflusses nichts kritisch hinterfragen und deren Stimmen in der Vergangenheit allzu leicht mit Werbeartikeln und einem freundlichen Lächeln zu Wahlkampfzeiten gewonnen werden konnten. Im Gegenzug dazu kommen die Stammwähler der FMLN, wie das Meinungsforschungsinstitut ermittelte, vor allem aus dem gut ausgebildeten Mittelstand. Und die FMLN kann sich trotz guter Umfrageergebnisse nicht sicher sein, ob diese Stimmen am Ende genügen, um die Wahlen zu gewinnen.

Ob der ARENA-Kandidat Rodrigo Ávila ein Kompromiss oder ein Sieg der Interessengruppe ist, der er zugerechnet wird, ist nicht ganz klar. BeobachterInnen sprechen von einem Konflikt zwischen den etablierten Partei-Mächtigen aus der Oligarchie und der Riege von BerufspolitikerInnen, die diese selbst herangebildet haben und denen vorgeworfen wird, die staatlichen Institutionen als Selbstbedienungsladen zu benutzen. „Arena S.A. de C.V.“, eine Unternehmensform, so der bittere Ausspruch der langjährigen ARENA-Politikerin Gloria Salguero Gross in Bezug auf dieses Phänomen. Das lange zähe Gerangel um den Präsidentschaftskandidaten wird auf diesen Konflikt zurückgeführt. Wer sich letztlich durchsetzte, Rodrigo Ávila, Inhaber der größten Sicherheitsfirma des Landes, hat sich als Polizeichef der Policía Nacional Civil (PNC) trotz der prätentiösen Kampagnen gegen die Bandenkriminalität „Mano Dura“ und „Super Mano Dura“ nicht mit Ruhm bekleckert.

Es ist deshalb ein relativ schwacher Kandidat, den ARENA ins Rennen schickt, ein Kandidat, der den Höhepunkt seiner Beliebtheit – den es durchaus gab, zu Beginn seiner Karriere hatte Ávila ein sehr gutes Image – überschritten hat. Und so lässt sich absehen, dass der Wahlkampf, auf den ARENA setzen wird, ein Wahlkampf der Angst sein wird, bei dem die alten Schablonen von der kommunistischen Bedrohung durch die FMLN ausgepackt werden. Zur Zeit macht die rechte Presse bereits heftig Stimmung gegen Salvador Sánchez Céren, den FMLN-Kandidaten für die Vizepräsidentschaft, der als Partei-Hardliner dargestellt wird, der hinter Mauricio Funes die Fäden zieht. Vertreter sozialer Organisationen fürchten indessen nicht nur einen polemischen, sondern auch einen schmutzigen Wahlkampf. Institutionell hat die Rechte die ersten Schritte schon unternommen, indem sie ein Gesetz gegen terroristische Aktivitäten durchsetzte, das Grundrechte wie die Demonstrationsfreiheit stark einschränkt und die Kriminalisierung von TeilnehmerInnen an Protestaktionen fördert.

Als wichtigstes Wahlkampfthema wird ARENA sicherlich das Schreckgespenst der „Chavización“ Mittelamerikas, die Furcht vor dem Beispiel Venezuelas unter der Präsidentschaft von Hugo Chávez, und einer FMLN bemühen, deren Kandidat Mauricio Funes bei aller Beliebtheit nur die Marionette einer doktrinären Kaderpartei sei. Dies entspräche übrigens auch den Empfehlungen, die eine Studie der CSU-nahen deutschen Hanns-Seidel-Siftung über „Das Profil des Präsidentschaftskandidaten der ARENA“ der Regierungspartei ans Herz gelegt hat.[fn]Die Studie ist unter dem Link  http://www.santateclalahistoria.com/descargas/Perfil-del-Candidato-Presidencial-de-ARENA.pdf einzusehen, eine Kleine Anfrage der Fraktion der Linken im Bundestag und die Antwort der Bundesregierung gibt es u.a. beim netzwerk inkota in Berlin: inkota@inkota.de[/fn] Nun bieten sich auch kaum andere Strategien an, um die FMLN in der Wählergunst sinken zu lassen. Und die Medienschlacht hat schon angefangen. So beschuldigte der salvadorianische Präsident Tony Saca die FMLN, Wahlkampfgelder aus Venezuela zu bekommen, was sowohl die FMLN als auch Chávez bestreiten. Allerdings tourte Saca vor kurzem selbst durch die USA, wo er – obwohl ihm die salvadorianischen Verfassung verbietet, in seiner Eigenschaft als Präsident Parteipolitik zu machen – fleißig um Hilfe für seine eigene Partei warb.

Es kann kein Zweifel daran bestehen, dass sich die schmutzige Wahlkampagne verschärft, je näher die Wahlen rücken. Für die FMLN wird es in den kommenden Monaten schwierig sein, ihre Glaubwürdigkeit und die ihres Kandidaten im Gedächtnis der Wählerinnen zu halten, denn der so früh begonnene Wahlkampf zieht sich endlos. Und viele, selbst noch so wichtige Themen verlieren an Schlagkraft, wenn sie immer wieder durchgekaut werden. So kann man nur auf die Kreativität der FMLN hoffen, wenn sie ihr Wahlprogramm ins Spiel bringt, und darauf, dass sie in der Lage ist, die künftigen WählerInnen zu überzeugen, dass sie nicht nur den Kandidaten, sondern auch das wählen, was er repräsentieren soll.