Unter dem Druck einer immer unhaltbareren Verkehrssituation in Mexiko-Stadt hat in den vergangenen Jahren ein langsames Umdenken begonnen, das dabei keineswegs frei von Widersprüchen ist. Begünstigt wurde dieses Umdenken durch verschiedene Faktoren:
– Seit 1997, dem Jahr, in dem die Stadtregierung erstmals von der Bevölkerung gewählt und nicht mehr von der Zentralregierung eingesetzt wurde, regiert in Mexiko-Stadt die links-moderate Oppositionspartei PRD. Mit der Zeit erlangte sie – im Guten wie im Bösen – die Fähigkeit, auch größere Projekte gegen den Widerstand von starken Interessengruppen durchzusetzen.
– Während der Großraum Mexiko-Stadt seine Grenze bei etwa 25 Millionen Menschen wohl immer noch nicht erreicht, hat sich die Bevölkerung im eigentlichen Stadtgebiet bei knapp unter neun Millionen stabilisiert. Das bedeutet mehr Planungssicherheit.
– Fehlende finanzielle Mittel zwingen dazu, an kostengünstigere Lösungen zu denken. Prestigeprojekte wie der intensive und teure unterirdische Ausbau der Metro oder der Weiterbau am Segundo Piso, dem zusätzlichen „Stockwerk“ für den längst mitten in der Stadt liegenden Umgehungsring, sind zwar nicht vom Tisch, aber zumindest gebremst.
Sichtbares Beispiel für eine kleine Wende in der öffentlichen Verkehrspolitik ist der so genannte Metrobus. Er gilt als zweifache Alternative: Im Vergleich zum U-Bahnbau ist die Einrichtung einer Metrobuslinie bis zu 20-mal billiger. Im Vergleich mit der mehrheitlich überalterten Fahrzeugflotte der Kleintransporter (Peseros), die erheblich dazu beitragen, die Straßen der mexikanischen Hauptstadt zu verstopfen, sind neue Großbusse wesentlich umweltfreundlicher. Das System der Metrobusse funktioniert folgendermaßen: Auf einer abgetrennten und abgesicherten Spur fahren die großen Gelenkbusse in einem festen Takt (in Stoßzeiten im Minutentakt). Die Haltestellen befinden sich in einem Abstand von durchschnittlich 400-500 Metern an erhöhten Plattformen. Da sich die Metrobusse die Spuren nicht mit anderen Fahrzeugen teilen müssen, sind sie deutlich schneller als Autos, Taxis und Kleinbusse. Derartige Systeme werden in zahlreichen lateinamerikanischen Städten derzeit als vergleichsweise preiswerte Alternatvien zur Verbesserung der städtischen Verkehrssituation etabliert. Die Vorbilder für die mexikanische Version sind die integrierten Bussysteme im brasilianischen Curitiba und im kolumbianischen Bogotá. Ein ähnliches System existiert in Quito, in Lima ist derzeit eines im Bau und soll 2011 in Betrieb genommen werden.
Inzwischen sind zwei der ursprünglich bis 2012 anvisierten zwölf Metrobuslinien in Betrieb. Die Linie 1 deckt einen Großteil der Nord-Süd-Achse Avenida Insurgentes ab, mit gut 40 Kilometern die angeblich weltweit längste Großstadt-Avenida. Sie ist seit Mitte 2005 in Betrieb. Die Fahrtzeit von Indios Verdes im Norden bis zur Station Dr. Gálvez im Süden verkürzt sich von zuvor oft zwei Stunden auf etwa eine Stunde. An Werktagen machen 250 000 bis 300 000 Menschen von der Linie 1 Gebrauch. Bei täglich gut 30 Millionen öffentlichen Personentransporten in Mexiko-Stadt ist das nur ein kleiner Anfang. Er zeigt aber das Potential bei einem konsequenten Ausbau des Systems.
Die auf der Nord-Süd-Strecke anfangs eingesetzten 60 Busse mit einer Kapazität für 160 Personen erwiesen sich bald als unzureichend. Sie sind inzwischen durch eine Flotte von Gelenkbussen verstärkt, die 240 Personen aufnehmen können. Zudem wurde die Strecke um weitere Stationen Richtung Süden verlängert. Trotzdem reichen hohe Fahrfrequenz und die erhöhten Transportkapazitäten kaum aus, wenn in den Zeiten zwischen sechs und neun Uhr morgens oder am späten Nachmittag die Menschenmassen zur Arbeit fahren oder von ihr zurückkommen. Besonders für die Frauen wird die Strecke oft zu einer Leidensfahrt, denn der Metrobus wandelt sich dann zum „Grapscherbus“. Ähnlich wie in der Metro und bei einigen anderen städtischen Buslinien, bei denen in den Stoßzeiten Einheiten oder Bereiche nur für Frauen und Kinder reserviert sind, bietet auch der Metrobus besondere Einstiegsbereiche für Frauen und Kinder an. Der Nutzen ist bisher begrenzt: weder Kampagnen noch eine steigende Anzahl Anzeigen von sich wehrenden Frauen hindern manche Männer bisher daran, das Gedränge und die Anonymität für ihre sexuellen Übergriffe auszunutzen.
Die Einführung des Metrobus mit einer Sonderspur auf einer bestehenden Verkehrsader bedeutet ansatzweise auch, weniger Rücksicht auf den Individualverkehr zu nehmen. Die Autofahrer haben entlang der Metrobusstrecke bis auf wenige Ausnahmen keine Möglichkeiten mehr zum Linksabbiegen. Auf der mehrspurigen Avenida Insurgentes steht ihnen nun pro Fahrtrichtung eine Fahrbahn weniger zur Verfügung. Da gleichzeitig aber fast 400 Peseros von der Avenida verbannt wurden, läuft der Verkehr zu den meisten Tageszeiten auf den verbleibenden Spuren sogar flüssiger als früher. Und im Stau dürfte manchem Autofahrer der Gedanke des Umsteigens auf das öffentliche Transportsystem kommen, wenn der zwanzigste Metrobus an ihm vorbeigefahren ist.
Um die Verbannung der Peseros, hinter denen große private Transportunternehmen stehen, zu erreichen, verhandelte die Stadtregierung lange und machte große Zugeständnisse. Sowohl die Linie 1 als auch die Linie 2 des Metrobus werden von mehreren Privatunternehmen in Konzession betrieben. Die Stadt führt nur die Oberaufsicht, die Tarife müssen mit ihr verhandelt werden. Bisher sind die Fahrpreise mit fünf Pesos (umgerechnet derzeit knapp 30 Cent) noch moderat, Menschen ab 70 und Behinderte fahren frei. Zukünftige Konflikte sind durch diese Konstruktion aber vorprogrammiert. Fehlende Eigenmittel könnten die Stadtregierung dazu verleiten, bei den weiteren geplanten Linien den privaten Unternehmen noch mehr freie Hand zu lassen. Zudem zeigte sich beim Bau und Betrieb (seit Januar 2009) der Linie 2 auf einer Ost-West-Achse besonders ausgeprägt, dass die Widerstände in dem Maße wachsen, in dem Anlieger nicht ausreichend informiert werden und eine ungenügende Verkehrsleitung reihenweise Unfälle provoziert.
Im Prinzip hat aber auch der Zuspruch zur Linie 2 bestätigt, dass die Metrobusse eine Option sind, die Probleme des öffentlichen Personennahverkehrs in Mexiko-Stadt zu lindern und die Transportwege etwas weniger qualvoll für die Menschen zu machen.
Wirklich erfolgreich kann aber nur ein langfristiges Gesamtkonzept sein. Ansätze dazu sind zaghaft. So sind inzwischen auch die ersten Fahrspuren exklusiv für die Oberleitungsbusse eingerichtet worden. Das Umweltministerium von Mexiko-Stadt unternimmt seit einigen Jahren Anstrengungen, das Fahrradfahren in der Metropole attraktiv zu machen. Unter anderem geschieht dies, indem an den Sonntagen bestimmte Verkehrsadern für Autos gesperrt werden. Im Februar 2010 wurde nach dem Vorbild europäischer Großstädte das Programm Ecobicis (Ökofahrräder) aufgelegt. In einer ersten Etappe stehen an 85 öffentlichen Fahrradstationen gut 1100 Fahrräder in zentralen Stadtvierteln zur Verfügung, die als Zubringermedien für das öffentliche Transportsystem bzw. eine Alternative zu diesem dienen sollen. Da jedoch aufgrund fehlender oder unsicherer Fahrradwege diese Fortbewegungsart immer noch ein Selbstmordprojekt ist, die Fahrradnutzung zudem nur die ersten 30 Minuten umsonst ist sowie eine offizielle Registrierung mit Bezahlung einer Jahresgebühr notwendig ist, wird die Wirkung vorerst minimal sein. Eine radikale Veränderung eines öffentlichen Verkehrskonzeptes sieht anders aus.