„Lernen Sie Geschichte, Herr Reporter“

Seit der innenpolitische Sprecher der SPD im Deutschen Bundestag im Verdacht steht, Methamphetamin eingekauft und konsumiert zu haben, ist die „Teufelsdroge“ in aller Munde. Bereits in den zurückliegenden Monaten wurde über eine Zunahme des Konsums von Crystal Meth berichtet, das aus Osteuropa, vor allem aus Tschechien, über Bayern und Sachsen auf Bundesgebiet gelangt. Dabei werden das außergewöhnlich hohe Suchtpotenzial und die Zerstörungskraft dieser Substanz unterstrichen. Schockierende Bilder mit Zahnlücken und angefaulten Zähnen kursieren als sogenannter Meth-Mund.

Angesichts der plötzlichen Aufregung um „Meth“ kam mir freilich der oben zitierte Satz des legendären österreichischen Bundeskanzlers Bruno Kreisky vom Februar 1981 in den Sinn. Sollte diese Droge nicht gerade in Deutschland bestens bekannt sein? Hier wurde ihre Herstellung im Jahr 1937 von den Berliner Temmler-Werken patentiert und 1938 unter dem Markennamen Pervitin in den Handel gebracht. Von den Nazis wurde Pervitin millionenfach zur Leistungs- und Konzentrationssteigerung unter den Soldaten der Wehrmacht verteilt. Besonders beliebt war der Muntermacher unter Fliegern. Stuka-Pillen, Panzerschokolade, Hermann-Göring-Pillen waren geläufige Spitznamen. Es gab auch mit Pervitin versetzte Schokolade. Das war auch damals schon alles andere als harmlos und zeigt einmal mehr den Zynismus der Machthaber, wenngleich diese teilweise selbst eifrige Konsumenten waren.

Auch nach dem Krieg wurde Methamphetamin zur Leistungssteigerung eingesetzt. Der Österreicher Hermann Buhl dopte sich bei der Erstbesteigung des „Deutschen Schicksalsbergs“ Nanga Parbat mit Pervitin und konnte nach seinem Alleingang im Hochlager mühsam gerade noch wieder aufgepäppelt werden. US-Soldaten bekamen es im Vietnamkrieg. In der Bundeswehr war es bis Anfang der 70er-Jahre im Einsatz, bei den NVA-Grenztruppen bis 1988. Beliefert wurden sie von den geteilten Temmler-Werken in Ost und West. Liefen sie alle als zahnlose Zombies durch die Welt? 

Die internationale Drogenkontrolle basiert auf der Drogen-Einheitskonvention der Vereinten Nationen von 1961, die den Begriff „illegale Drogen“ nicht kennt und die fraglichen Stoffe auf Listen „kontrollierter Substanzen“ führt, die unterschiedlich strengen Kontrollen unterworfen sind, haben doch etliche von ihnen auch legitime medizinische oder veterinärmedizinische Anwendungen. Erinnert sei nur an Opiate als Schmerzmittel. Methamphetamin wurde in die Anlage II der UN-Übereinkunft über „Psychotrope Substanzen“ von 1971 aufgenommen und war als Pervitin in Deutschland noch bis 1988 erhältlich. In den USA wird (S-) Methamphetamin-Hydrochlorid (als Desoxyn) unter anderem bei der Behandlung von Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) angewendet. Die therapeutische Dosis bei ADHS-Indikation liegt oral bei bis zu 25mg täglich. Die Anwendung war und ist besonders bei Kindern höchst umstritten.

Worin liegt also der Unterschied? In der Dosis und der Art der Verabreichung. Man könnte auch sagen, die Gefahren liegen nicht nur in der Substanz, sondern gerade auch im gesellschaftlichen und politischen Umgang mit ihr! Die Kriegsheimkehrer hatten mit körperlichen und seelischen Verwundungen zu kämpfen, mit Armut und Zerstörung. Eventuelle Pervitinabhängigkeiten konnten sie auf dem Schwarzmarkt und bald auch wieder legal stillen, mit Tabletten aus pharmazeutischer Produktion. Das Crystal Meth von heute wird geraucht oder geschnupft und wirkt von daher ungleich aggressiver, auch was das Suchtpotenzial betrifft. Die Dosen sind meist höher. Und der rasante körperliche Verfall, der mit dem Konsum einhergeht, wird in erster Linie Verunreinigungen beim Herstellungsprozess in den illegalen Giftküchen zugeschrieben.