Die Totenwache in der Nacht zum 23. Mai fiel buchstäblich ins Wasser. Sie begann mit ca. 5000 Menschen, von denen aber wegen des einsetzenden Regens nur wenige in den paar Pavillons am Platz die Nacht über ausharrten. Am frühen Morgen bot der Salvador del Mundo einen seltsamen Anblick: die Bühne mit edler Bestuhlung, davor abgetrennte Bereiche mit Reihen von leeren weißen Plastikstühlen und hinter den Absperrgittern viele wartende Menschen mit bunten Regenschirmen gegen die wieder strahlende Sonne. Der Platz war schon seit Tagen rundherum abgesperrt und nur die, die einen Ausweis hatten, kamen hinein. Der Bereich innerhalb der Absperrung war genau aufgeteilt: die vordern Bereiche für die Priester, an den Seiten für die internationalen Gäste, VertreterInnen anderer Kirchen und Religionen, der Regierung und der Parteien, weiter hinten mittig die 1480 geladenen pobres, campesinos (Arme, Kleinbauern). Nach der Kritik an dieser Klassifizierung wurde dieser Bereich auf der Geländekarte in pastoral social (Sozialpastorale) umbenannt.

Das offizielle Programm beziehungsweise die Messe begann am Samstag dann um 10 Uhr morgens. Viele waren schon sehr früh angereist, um einen trotz der Absperrung besseren Platz zu bekommen. Die Straßen rund um den Platz, jetzt gesäumt von fliegenden HändlerInnen und Imbisständen, waren seit der Nacht abgesperrt. Hier wurde alles, was man sich denken kann, verkauft, verziert mit Romero-Bildern und christlichen Symbolen, wild durcheinander. Leicht kommt einem dabei das Gedicht Poema de Amor (Liebesgedicht) des ermordeten salvadorianischen Dichters Roque Dalton in den Sinn: „… die Machealles, Verkaufealles, Essealles, die ersten, die das Messer ziehen, die Allertraurigsten der Traurigen der Welt…“.

Für die Sicherheit der Seligsprechung wurden 2000 Polizisten, 1700 Soldaten, 400 „CAM“ (Streifenpolizisten der Hauptstadt) eingesetzt. Das Zivilschutzministerium sprach von 45 000 am reibungslosen Ablauf dieser Großveranstaltung Beteiligten, darunter die Feuerwehr, der Rettungsdienst, mobile Gesundheitsposten und Menschen, die Wasser verteilten. Die katholische Kirche selbst hatte viele Freiwillige organisiert, die die Absperrungen betreuten, das Programm der Messe verteilten, Andenken verkauften, die Priester und Kirchenleute begleiteten. Sie waren deutlich sichtbar, nach Farben und Aufgaben getrennt in gelben, orangefarbenen oder türkisblauen T-Shirts, die sie als Kirchenleute auswiesen.

So viele, wie offiziell erwartet worden waren, kamen dann doch nicht. Dies hatte viele Gründe. Es waren zwar „alle“ eingeladen, aber schon während der Vorbereitungen wurde klar, dass nicht alle erwünscht oder für die Organisatoren des Events relevant waren. Von Seiten der Kirche gab es wenig logistische und finanzielle Unterstützung für Transport und Unterkunft von Menschen aus den ländlichen Regionen. Aber auch denen, die im Ballungsgebiet von San Salvador wohnen, wurde erklärt, dass ab Freitag alles abgesperrt sei, und es schwierig werden würde, in die Stadt und auf den Salvador del Mundo zu kommen. Das kann auch mit einer Fehleinschätzung zu tun haben, klar bleibt aber, dass es nicht Ziel der Organisatoren war, es allen zu ermöglichen, die teilnehmen wollten, bei der Seligsprechung dabei zu sein. Die einen begründen dies damit, dass in der katholischen Kirche in El Salvador keineswegs alle erfreut über die Seligsprechung von Monseñor Romero sind, die Wahrnehmung und Anerkennung weiterhin sehr gespalten ist und kein Interesse besteht, die einzuladen, für die er sich stark gemacht hat und umgebracht wurde. Möglich ist auch, dass Romero als Märtyrer für die Liebe entpolitisiert werden sollte. Beide Begründungen gehen damit einher, dass der kirchliche Teil des Organisationskomitees von denen geleitet wird, die nicht zu den Nachfolgern, sondern eher zu den Gegnern Romeros gehören. Obwohl selbst die Kirchenvertreter Sorge hatten, dass der seit Anfang Mai ausgestrahlte Jingle zu Romero sie und die Seligsprechung lächerlich machen würde, wurde weiterhin mit „Romero – Märtyrer für die Liebe“, einen „Romero Light“, die Werbetrommel gerührt und Romero als der alle Einigende vermarktet, ein Marketing, das alle Widersprüche bewusst ignoriert.

Nicht für den Märtyrer für die Liebe, sondern für den kämpferischen Oscar Arnulfo Romero fand am Donnerstag vor der Seligsprechung eine Demonstration hin zur Staatsanwaltschaft statt, die die Aufklärung beziehungsweise Wiederaufnahme des Falles Romero forderte.[fn]Wie bereits mehrfach in der ila berichtet, ist dies nicht das erste Mal. Das von der Menschenrechtsorganisation Tutela Legal angestrebte Verfahren wurde durch eine Absprache zwischen der Katholischen Kirche El Salvadors und der zu dem Zeitpunkt amtierenden ultrarechten ARENA-Regierung sabotiert.[/fn] Es war eine Initiative von (kirchlichen) NRO und von christlichen Basisgemeinden, bei der Unterschriften überreicht und Forderungen gestellt wurden. Die Kirche selbst machte dabei durch die Abwesenheit des höheren Klerus erneut deutlich, dass sie an einer Wiederaufnahme des Falles oder Gerechtigkeit nicht interessiert ist. Die alle vereinende Seligsprechung als Märtyrer für die Liebe sollte die Gespaltenheit der Bevölkerung zu Romero überdecken. Das war nicht nur am Tag der Seligsprechung deutlich, es wird wohl auch so schnell nicht verschwinden, denn nun ist Romero der Nationalselige. La Prensa Gráfica, eine der größten (und rechten) Tageszeitungen, titelte am Sonntag nach der Großkundgebung, dass die Nachricht des Papstes Francisco zur Seligsprechung die nationale Wiedervereinigung mit der Figur Romero sei. Für eine solche Wiedervereinigung taugt aber nur die rein spirituell-religiöse Seite Romeros. So wird Romero auch für die rechten Medien zugänglich. Alle Zeitungen des Landes, Medien, die sich bis dahin fast immer dem kämpferischen Bischof und dem Kontext seiner Ermordung verweigert haben, druckten Spezialausgaben zu Romero.

Romero wurde am Samstag offiziell dafür selig gesprochen, dass er sein Blut für den Glauben gelassen hatte. Der Zugang über den Glauben ist leichter als über die Menschenrechte oder den Kampf gegen strukturelle Gewalt. Er kann ganz nebenbei, wie es lauter oder leiser gesagt wurde, auch für andere Zwecke genutzt werden, wie zum Beispiel die Konsolidierung und Sicherung der Macht der katholischen Kirche im Zuge des Vormarsches der evangelikalen Sekten in Mittelamerika. Es ist auch eine Möglichkeit, die Figur Romeros für weite Massen und für die Vermarktung zu öffnen: T-Shirts, Fahnen, Büsten, Armbänder, Hüte, Tücher, Anhänger, Autosticker, Hampelmänner und Trinkwasser mit Romero darauf. Dazwischen, auch auf T-Shirts, auf Bannern und Plakaten, kann man das Erinnern an die andere Seite Romeros sehen. Organisationen wie die Co-Madres (Mütterkomitee), ALGES (Kriegsverletzte) oder Studierende der Nationaluniversität UES waren am Samstag seit den Morgenstunden da, sie gehörten nicht zu den geladenen Gästen, aber ihre Banner hingen gut sichtbar an den Fußgängerbrücken und zwischen den Palmen in der Nähe des Salvador del Mundo. Sie erinnern daran, wofür Romero in ihren Augen umgebracht wurde. Interessanterweise geschieht dies meist, indem sie die Predigten von Romero zitieren. Für die meisten seiner AnhängerInnen, egal ob selbst gläubig oder nicht, scheint es keinen Widerspruch zwischen seinem Glauben und seinen politischen und sozialen Ansichten zu geben, für sie ist das ein und dasselbe. Anders aber als ihr Märtyrer erheben die Gläubigen (und Ungläubigen) ihre Stimmen nicht gegen strukturelle Ungleichheit und Gewalt, sie werden nicht gehört, sie bleiben einfach unerwähnt. Selbst der Sohn des Auftraggebers der Ermordung Romeros und sein geistiger wie politischer Nachfolger, Roberto D’Aubuisson junior, momentaner Bürgermeister von Santa Tecla, betritt pünktlich und vollkommen selbstverständlich als geladener Gast den Bereich hinter der Absperrung und nimmt Platz bei den Politikern, um als guter Christ der Seligsprechung von Oscar Arnulfo Romero zu folgen. – Martir por Amor“ (Gestorben für die Liebe)

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