Malambo-Lima und zurück

Geographisch gab es kein Vertun: Ein ewig murmelnder Fluss trennte die schwarze von der angeblich so weißen Welt. Um die Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert hörte Lima, Hauptstadt eines spanischen Vizekönigreichs, am Rimac auf. Hier die von Missgunst zerfressene Kolonialgesellschaft mit ihren Reichen und Möchtegernreichen, mit ihren Kirchen in der Pracht geraubten Goldes, mit Inquisition und dem regelmäßigen Spektakel von Auspeitschungen und Scheiterhaufen, auf denen Juden, Jüdinnen und andere dem rechten Glauben an die Allmacht Roms und des Königs vermeintlich Abtrünnige oder einfach nur der Gier eines Nachbarn zum Opfer gefallene Denunzierte zugrunde gingen. Eine heuchlerisch-mörderische Gesellschaft, die sich ausruht auf der Arbeit schwarzer und mulattischer SklavInnen, diese wiederum von gewissenlosen SklavInnenhändlern importiert.

Dort, auf der anderen Seite des Rimac, Malambo mit seiner solidarischen, aber armen, schwarzen Einwohnerschaft, die sich Limas Joch durch Freikauf, Alter oder sonstwie teils entziehen kann, administrativ und ökonomisch aber weiterhin in oft repressiven Ausmaßen abhängig von Lima ist. Mutter Kirche regiert auch dort, aber alle wissen, und in Lima ahnen es die meisten, dass hinter der Marienverehrung die Huldigung der Yemayá steckt, hinter den Prozessionen zu Ehren katholischer Heiliger die Verehrung afrikanischer Götter.

Die in Hamburg lebende peruanische Journalistin Lucía Charún-Illescas hat diese beiden ineinander verwobenen Welten in „Malambo“ zur Sprache gebracht. Solch einen Roman gab es bislang noch nicht. Die Thematik der schwarzen, zunächst komplett in Sklaverei lebenden Bevölkerung war seit den Anfängen des peruanischen Romans im 19. Jahrhundert über die Andeutung ihrer Existenz in kostumbristischen[fn]Costumbrismo – literarische Richtung, die Sittengemälde zum Inhalt hat[/fn] Pinselstrichen hinaus kaum ein Sujet für SchriftstellerInnen. Das Schicksal der indianischen Bevölkerung Perus, etwa im Indigenismo, stand im Vordergrund, wenn es galt, Missstände und Unterdrückung, nicht zuletzt auch als Parabel für eigene (etwa weibliche) Abhängigkeit, anzuprangern. Schwarze standen dagegen für erotische, des Spanischen aber kaum mächtige Wesen. Die allerwenigsten peruanischen Autoren, die über Schwarze schrieben, waren selbst afrikanischer Abstammung. Keine war bisher eine schwarze Frau wie Lucía Charún-Illescas.

„Malambo“ ist insofern in doppelter Hinsicht Neuland. Als gleichsam griechischer Chor fungiert der Rimac, der sprechende Fluss (Río Hablador), der alles weiß und vieles kommentiert.

Auf der Malambo-Seite herrscht die mündliche, schlichte Sprache vor, sind vielfach afrikanische Worte und Reime eingeflochten, schieben sich Erinnerungen, mündlich überlieferte Geschichten und Voraussagen in den Text, als höben sie Raum und Zeit auf.

In der barocken Gesellschaft Limas wird gestelzt gesprochen und entsprechend wendet die Autorin einen verschachtelten Stil an. Nicht durchgängig ist das einfach zu lesen. Fehlende Absatz- und Kapiteldifferenzierungen erwecken des Öfteren eher den Eindruck von Lektoratmangel als von Stilwillen, besonders im Kontext von Orthografiefehlern, die nicht als Nachahmen mündlicher Sprache zu erklären sind. Aber geschenkt!

In Malambo, das ist klar, leben die sympathischeren Gestalten, die kräuterkundige Waise Pancha, der Fischer Venancio, Jaci Mina, der sich noch an seine Versklavung in Afrika erinnert, oder der alte Künstler Tomasón Valleumbroso. In ihm hat Lucía Charún-Illesacas möglicherweise den genialen afrobrasilianischen Bildhauer Aleijadinho (1738-1814) portraitiert. Zu Besuch kommt ab und an Yáwar Inca, der geraubtes Gold aus den Kirchen zurückstiehlt und mit dem die Autorin multikulturelle Verständigung und Zusammenleben als zeitgenössische Realität beschwört, die die Romanfigur Pancha bei ihrer Wanderung in den Süden des Landes explizit erlebt.

In Lima sind derweil die Tragödien zu Hause. Man(n) haut sich gegenseitig übers Ohr, spinnt rücksichtslos Intrigen und betrachtet seine SklavInnen mal als Hausrat, mal als Objekt  sexueller Befriedigung. Der verlorene Sohn, ein unehelicher Mulatte, wird versehentlich als Dieb totgeschlagen, was ein Haussklave nicht einmal verhindert. Bedingungslose Solidarität unter Schwarzen existiert nur in der (halb)„freien Republik“ Malambo, will die Autorin sagen. In Lima ist die einzige halbwegs sympathische weiße Person ein Forscher, für den sicher auch ein historisches Vorbild Pate stand.

Zum Reigen angesprochener Themen gehört schließlich auch der historisch spätere Guanoboom, den Charún-Illescas aus dem Munde eines halb verrückten, gestrandeten britischen Piraten voraussagen lässt, der die Qualität von Vogelexkrementen als Dünger erkennt.

Als roten Faden legt Lucía Charún-Illescas eine Liebesgeschichte zweier Schwarzer an. Hiermit und mit Themen wie Liebes- contra Konvenienzehe (klar: Malambo contra Lima), Verwaisung und wahre Familie greift Lucía Charún-Illescas Themen auf, die den peruanischen Roman des 19. Jahrhundert entscheidend prägten.  Dessen VertreterInnen waren übrigens fast ausschließlich Autorinnen!

Der Roman markiert thematisch und (literatur-) historisch den Ausgang aus weitgehender schwarzer literarischer Sprachlosigkeit – zudem weiblicher – in Peru. Publiziert hat ihn der Verlag der Universidad Nacional Federico Villarreal in Lima. Sehr schnell zog er die Aufmerksamkeit von mit der Diaspora afrikanischer Literatur befassten ForscherInnen auf sich, insbesondere in den USA, aber auch in Peru. Da muss die BRD noch nachziehen.