Die neunzehnjährige Rahel aus Berlin will sich zu ihrer Abschiedsparty nach sechs Wochen Recife einen Afro-Look verpassen lassen. Wo? Bei Studentinnen aus Guinea-Bissau. Also auch ich nichts wie hin. Wenn man wie ich Jahre im Land verbracht hat, ist es gut, GuineerInnen kennen zu lernen und Informationen auszutauschen. In einer winzigen Innenstadtwohnung leben einige junge Leute zusammen, ich treffe fünf. Begrüßung auf Kreolisch. „Kuma di korpu? Stá bom?“ Ein paar Fragen über das Studium, über Gründe und Perspektiven ihrer Wahl Brasiliens und Recifes als Studienort, ein paar Informationen zu der am Vortag vom neu gewählten, alten Präsidenten entlassenen Regierung von Carlos Gomes Júnior. Was studiert Fernanda? Wovon lebt Júlio? Was wird das Studium der Volkswirtschaft ihnen bei ihrer Rückkehr nach Guinea-Bissau bringen? Wie sind Robertas Erfahrungen in Recife? Heimweh? Ja, mein geliebtes Bissau.[fn]Ich danke den guineischen Studierenden, die ich in Brasilien befragen konnte und deren Namen ich geändert habe. Insbesondere danke ich den Guineern Dipl.-Ing. César Ferrage und Dr. Orlando Cristiano, beide von der Universität von São Paulo, und Prof. Dr. Mamadu Lamarana Bari für die vielen mir gegebenen Informationen.[/fn]

Das westafrikanische Guinea-Bissau ist eines der ärmsten Länder der Welt. Seine wirtschaftliche und soziale Entwicklung wurde vierhundert Jahre lang von der Kolonialmacht Portugal extrem vernachlässigt. Qualifikation der Einheimischen war unwichtig, wäre vielleicht dysfunktional gewesen. Nachdem aufgrund der Beschlüsse des Wiener Kongresses (1814/15) der Sklavenhandel bis etwa zur Jahrhundertmitte zum Erliegen gekommen war, entfiel der Hauptgrund für das Interesse an dieser Kolonie. Die Hafenstädte Cacheu, Bolama, Farim, Geba, Bissau u.a. waren nie mehr als Stützpunkte für den Außenhandel. Das Landesinnere wurde erst von der Mitte des 19. Jahrhunderts an nach und nach erschlossen, und auf der Berliner Afrika-Konferenz (1884/85; „Aufteilung Afrikas“) geriet Portugal wegen seiner mangelnden Präsenz im Lande unter Legitimationsdruck. Erst im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts gelang die „Pazifizierung“ des Landes, nämlich die Ausdehnung der Kolonialherrschaft über die Hafenstädte hinaus, die militärische Erstickung des Widerstands, das Ende der relativen Autonomie der mehr als zwanzig verschiedenen Völker des Landes, eine zögerliche Kolonisierung des Landesinnern und die Etablierung einer rudimentären Verwaltung und landwirtschaftlichen Nutzung. Die Mehrheitsethnie der Balanta, die Bijagó auf den Atlantik-Inseln und andere Völker von „Portugiesisch Guinea“ überstanden die Zerstörungen durch das „Mutterland“ weitgehend unbeschadet und in dem trügerischen Bewusstsein ihrer Selbstständigkeit.

Für ein wenig Handelskapitalismus und ein paar unbedeutende Verwaltungsplätze brauchte man kaum Personal. Die wenigen Kolonialfunktionäre wurden von Portugal und von den Kapverdischen Inseln gestellt. Für untergeordnete Positionen und die „schmutzige“ Arbeit der Kontrolle und Repression bediente Portugal sich einheimischer Abhängiger, insbesondere aus den Ethnien der Fula (französisch Peuls) und Mandinga. In den Städten bildete sich eine dünne Schicht kleinbürgerlicher Mischbevölkerung für die geringe Verwaltungs- und Handelstätigkeit. Fast die Gesamtheit der Bevölkerung blieb dagegen ohne Einbindung in die portugiesische Kultur und ohne jede Schulbildung; nur ein paar hundert Einheimische sprachen oder verstanden Portugiesisch, weniger als zehn Prozent waren Christen. 1958 wurde das erste Gymnasium im Land gegründet, zu einer Zeit, als in englischen und französischen afrikanischen Kolonien schon lange Universitäten einheimische Eliten heranbildeten. Zur Zeit der Unabhängigkeit des Landes (24. Sept. 1973) soll es vierzehn Guineer mit Hochschulausbildung gegeben haben.

Der von Amílcar Cabral und der Befreiungspartei PAIGC geführte antikoloniale Krieg rückte das Land aus dem Schatten des faschistischen Portugal an die vorderste Front der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen. Cuba, die Sowjetunion, die DDR und andere Ostblockstaaten unterstützten das Land wirtschaftlich, militärisch und humanitär. Schweden, die Niederlande, arabische Staaten, China und andere Länder gaben umfangreiche Entwicklungshilfe. Kreolisch wurde während des Befreiungskriegs (1963/74) von einer Verkehrssprache städtischer Minderheiten zur Nationalsprache, der einzigen gemeinsamen Sprache, in der die Verständigung der vielen Volksgruppen möglich war und ist. Nach dem Krieg und der Anerkennung der Unabhängigkeit durch Portugal wurde das Land mit Entwicklungshilfe überschüttet, von der es sich bis heute nicht befreit hat. Guinea-Bissau ist hoch verschuldet und hat keine Grundlagen, ohne multilaterale und vielfältige bilaterale Hilfe zu überleben.

Nicht nur wirtschaftlich und politisch sind Guinea-Bissau und seine 1,2 Millionen EinwohnerInnen vom Ausland abhängig. In der Oberschicht ist doppelte Staatsangehörigkeit üblich, und nicht nur die portugiesisch-guineische. Bei ernsthaften Krankheiten, für eine Entbindung und für regelmäßige Gesundheitschecks fliegt man ins Ausland, falls man es sich leisten kann. Die Kinder der politischen und wirtschaftlichen Führungsschicht besuchen portugiesische Schulen. Einige Minister, Funktionäre und auch wohlhabende Kaufleute haben Häuser und Zweitfamilien in Portugal, Frankreich etc. und besuchen sie auf ausgedehnten Dienstreisen. Man kann den Eindruck gewinnen, dass der politische Druck, für bessere Lebensbedingungen im Land zu sorgen, gering ist, weil die Elite nicht auf die öffentlichen Dienstleistungen angewiesen ist.

So auch im Schulwesen. Die ohnehin verschwindend geringe Anzahl von AbsolventInnen der öffentlichen Sekundarschulen hat nur in Ausnahmefällen eine Chance zum Universitätsstudium. Die Schulen im Land funktionieren nur sehr prekär, und das Niveau ihrer AbsolventInnen versperrt den meisten (neben anderen Faktoren) den Zugang zur ausländischen Universität. Eines der vielen Probleme des guineischen Schulwesens ist die Sprache: LehrerInnen, die selber nur sehr schlecht Portugiesisch können, unterrichten in der offiziellen Landessprache SchülerInnen, die die Unterrichtssprache kaum beherrschen und in ihrer gesamten Schulzeit nur sehr defizitär erlernen. Die portugiesische Kulturpolitik hat den zunächst durch den brasilianischen Pädagogen Paulo Freire und dann von der schwedischen Entwicklungszusammenarbeit geförderten Gebrauch von Kreolisch als Eingangssprache der Schule nach Kräften hintertrieben. Die portugiesische Schule und das Gymnasium der Diözese Bissau gelten als besser, reichen aber nicht an das Niveau z. B. der Schulen in Dakar heran. Ein Übergang von der 11. oder 12. Klasse in eine ausländische Schule oder Universität gelingt nur ganz wenigen.

Der Ausweg aus dieser Sackgasse ist auch hier der Rückgriff auf das Ausland: Sekundarschule, wenigstens die letzten Jahre, in Portugal, in benachbarten afrikanischen Ländern (besonders im Senegal) oder sonst wo, Universitätsstudium im Ausland. Mit der erwähnten Rückwirkung, dass der Ausbau des eigenen Schul- und Universitätswesens im Land nicht „notwendig“ ist. So lange Schule und Universität einer kleinen Elite vorbehalten sind, wird sich an der Situation der Außenorientierung nichts ändern. Es gibt im Land zwei Fakultäten und mehrere weiterführende Schulen: Die vor allem von cubanischen ÄrztInnen geführte und mit großen Defiziten und vielen Unterbrechungen arbeitende Medizinische Fakultät und die in Kooperation mit einer portugiesischen Hochschule funktionierende Juristische Fakultät, daneben die Lehrerbildungsanstalt Chico Té und die Kaufmännische Schule CENFAS.

Seit 2003 versuchen zwei Universitäten in Bissau die Situation zu wenden. Eine Gruppe junger Intellektueller gründete eine private Universität „Colinas de Boé“ (In den Hügeln von Boé wurden 1973 die Unabhängigkeit des Landes und die erste Verfassung verkündet). Die schon Jahre vorher beschlossene, aber nicht über die Papierform hinaus gewachsene staatliche Universität Amílcar Cabral sah sich daraufhin genötigt, ebenfalls den Lehrbetrieb aufzunehmen. Beide Universitäten bieten jedoch nur wenige Studiengänge in „soften“ Fächern an und haben das Gros der Studierenden im so genannten Propädeutischen Jahr, einer Art Repetitorium der Sekundarschule, um deren Defizite wenigstens ansatzweise auszugleichen. Beide Einrichtungen erheben Studiengebühren, die notwendigerweise selektiv wirken. Und beide Einrichtungen schaffen formale Qualifikationen, denen nicht immer und nur begrenzt inhaltliche Befähigungen entsprechen. Neben einer „nachholenden“ und legitimierenden Funktion für Einheimische, die ohne Universitätsstudium teils hohe und höchste Positionen erreichten (z. B. Minister und Staatsfunktionäre), schafft ein Studium oder ein Studienabschluss an einer dieser Universitäten bessere Bedingungen innerhalb der bisher schon praktizierten Außenorientierung, nämlich des Studiums im Ausland. Und es kaschiert die unter jungen Leuten fast generelle Arbeitslosigkeit.

Nur unter den skizzierten Rahmenbedingungen sind das Auslandsstudium junger Leute aus Guinea-Bissau und die relativ große Anzahl guineischer Studierender in Brasilien erklärbar: die Tradition der Außenorientierung und enorme Defizite öffentlicher Leistungen und der Schul- und Studienmöglichkeiten im Land. Wer als Jugendlicher etwas erreichen will, sieht sich damit in einer Zwangssituation: Nur ein Auslandsstudium eröffnet berufliche Perspektiven. Die einheimischen Studienmöglichkeiten, so sinnvoll und notwendig ihre Einrichtung auch sein mag, sind bisher noch keine wirkliche Alternative.

Wie schlägt sich diese Situation in den Lebensbedingungen guineischer Studierender in Brasilien nieder? Das Programm der „Zusammenarbeit Brasilien – Guinea-Bissau im Erziehungsbereich“ sieht gebührenfreien Zugang zu den teilnehmenden brasilianischen Universitäten und Aufnahme ohne die sonst obligatorische Zulassungsprüfung vor. Damit werden zwei Grundprobleme umgangen: die oft niedrige schulische Qualifikation der Kandidatinnen und Kandidaten und die zumindest an den privaten brasilianischen Universitäten erheblichen Studiengebühren. Neben den brasilianischen Bundesuniversitäten nehmen auch Universiäten der Einzelstaaten („Länder“), katholische (PUC) und einige andere private Universitäten am Stipendienprogramm teil.

Bleibt das Problem des Lebensunterhalts. Das „Stipendium“ der brasilianischen Regierung umfasst im Wesentlichen die genannten beiden Punkte, nicht aber eine monatliche Zahlung für den persönlichen Lebensunterhalt, es sei denn in nicht weiter definierten „Notfällen“. Bei der Annahme des Stipendiums müssen die Eltern sich zum Unterhalt ihres Kindes während des Aufenthalts in Brasilien verpflichten, und der Kandidat und die Kandidatin unterschreiben, dass sie keiner Erwerbsarbeit in Brasilien nachgehen. Wovon also leben sie? Im Prinzip von privaten Mitteln ihrer Familien. Die aber sind oft rein fiktiv. Die Lebenshaltungskosten und das Einkommensniveau sind in Guinea-Bissau wesentlich geringer als in Brasilien. Nur wenige Familien, zum Beispiel mit Einkommen aus öffentlichen Spitzenpositionen, können es sich leisten, jemand im Ausland zu unterhalten. „Unverantwortliche Eltern aber zögern keinen Moment und unterschreiben das Dokument der Botschaft, nur um ihrem Sohn oder ihrer Tochter eine Chance zu geben, aus diesem Land wegzukommen, das dem Absolventen der Sekundarschule keinerlei berufliche Perspektive gibt“, sagt eine Psychologiestudentin. 

Aber selbst wer mehr oder weniger regelmäßig seine Kinder im Ausland unterstützen will, hat große Schwierigkeiten in einem Land ohne funktionierendes Bankwesen. Nach Angaben der Studierenden sind die Überweisungen unregelmäßig, manche erhalten nichts, selten oder kaum etwas aus Guinea-Bissau. „Manchmal bleiben wir sechs Monate oder mehr ohne Geld. Das verkompliziert das Leben, wenn man nicht mehr den Bus bezahlen kann, nichts zu essen hat, keine Bücher kaufen kann etc.“, sagt Mariama. Manche helfen sich untereinander. Krisen fördern die Solidarität. Ehemalige Studierende, die jetzt Einkommen haben, helfen ihren Landsleuten. Und mir wird auch angedeutet, dass Not erfinderisch macht. Besonders während des Kriegs von 1998/99 gerieten viele in sehr schwierige Situationen. Eine Aktion von GuineerInnen und Brasilianern zwischen Bielefeld und São Paulo fand durch den PT-Abgeordneten Eduardo Suplicy Gehör im brasilianischen Kongress und erreichte vorübergehende Unterstützung für viele Guineer durch das brasilianische Außenministerium. Auch einzelne brasilianische Gast-Universitäten halfen ihren ausländischen Studierenden.

Wenn das Studium von der Finanzkraft der Familie abhängt, verstärkt dies die Selektivität, abgesehen von der Tatsache, dass es für den Erhalt eines Stipendiums günstig bis unerlässlich ist, die richtigen Beziehungen zu haben, Sohn oder Tochter eines gerade in einem hohen Regierungsamt sitzenden Menschen zu sein. Über Auswahlkriterien bei der Vergabe der Stipendien konnte ich nichts in Erfahrung bringen. Die brasilianische Botschaft in Bissau antwortete mir nicht auf meine Fragen, die ich allerdings sehr kurzfristig stellte. Ein befragter Student meinte, „die Auswahl geschieht je nach Einfluss von Bewerbern, Vater, Familie, Verwandten und auch ,Paten’.“

Man sollte nicht die Vorstellung haben, dass in einem armen, unterentwickelten Land, in dem es an allem, insbesondere aber an tüchtigen Führungskräften fehlt, so etwas wie eine Beschäftigungsgarantie für HochschulabsolventInnen besteht. Staat und „Entwicklungszusammenarbeit“ sind faktisch die einzigen Arbeitgeber in Guinea-Bissau. Nicht nur, dass es kaum private Arbeitgeber gibt[fn]Die Zahl privater, offiziell geregelter Arbeitsverhältnisse wurde mir gegenüber mit höchstens 10 000 im ganzen Land beziffert, wovon aber ein großer Teil ebenfalls im Rahmen von Nichtregierungsorganisationen und staatlicher Entwicklungszusammenarbeit besteht.[/fn] und der Staat sich als ein höchst launischer, von vielen politischen Wechselfällen abhängiger Arbeitgeber erweist; nur in Führungs- und politischen Vertrauensstellungen ist Geld zu verdienen, während ein „kleiner“ Funktionär nicht mehr als den Gegenwert von 25-50 US-$ monatlich verdient. 

Beim Staat und bei NRO, in der internationalen Zusammenarbeit wie in der Privatwirtschaft besteht in Guinea-Bissau eine fast absolute Priorität politisch bedingter Entscheidungen. Ohne entsprechende Beziehungen fällt auch der erfolgreiche Doktor und Wissenschaftler aus dem Netz, hat keine Chance im Land. In Bissau trifft man immer wieder auf StraßenhändlerInnen, Arbeitslose und informell Arbeitende, die ein abgeschlossenes Studium im Ausland haben. Es besteht eine Arbeitslosigkeit von AkademikerInnen, und gerade gut Qualifizierte, z. B. Hunderte ÄrztInnen, lassen sich definitiv im Ausland nieder, weil das Land ihnen keine angemessene Arbeit bietet und sich nie um die Reintegration der im Ausland studierten und der vielen im Ausland Erfolgreichen gekümmert hat. Der Krieg von 1998/99 hat dieser Tendenz eine bedrohliche Dynamik verliehen.

So ist die Situation guineischer Studierender in Brasilien vor allem die der Ungewissheit und der Hoffnung. Allerdings verweisen manche darauf, dass viele ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten nach Bissau zurückkehren und gute Karrieren machen, z. B. dass in allen Regierungen, so auch in der im November 2005 neu gebildeten Regierung unter Ministerpräsident Aristides Gomes, „Leute von uns“ sind. Viele Minister, Ministerialbeamte und Führungskräfte sind Ehemalige aus Brasilien. Für viele ist das Studium in Brasilien (und in anderen Ländern, z. B. auch in Deutschland) allerdings der Abschied von der Heimat, wie der Lebenslauf von Prof. Dr. Mamadu Lamarana Bari exemplarisch zeigt.

Mamadu Lamarana Bari[fn]Professor Dr. Mamadu Lamarana Bari – ehemaliger Stipendiat der brasilianischen Regierung, Pro-Rektor für Post-Graduierung und Forschung der Fakultäten Visconde de Cairu in Salvador/Bahia, Brasilien – Gespräch am 17. November 2005.[/fn] arbeitete im Planungsministerium in Bissau und kam 1981 als Stipendiat der brasilianischen Regierung nach Brasilien, um den durch den Staatsstreich von João Bernardo „Nino“ Vieira entstandenen Unsicherheiten zu entgehen. Er studierte Wirtschaftswissenschaften an der Kath. Universität von Salvador bis 1985, heiratete eine Brasilianerin und hat zwei Kinder. Seine Frau und seine Kinder besuchten 1994 seine Heimat, sprechen aber nicht die Nationalsprache Kreolisch. Er bedauert eine mit der Zeit wachsende Entfremdung von Guinea-Bissau, weiß aber sehr gut über die laufenden Ereignisse in seiner Heimat Bescheid, z. B. über die am Tag unseres Gesprächs abgeschlossene Bildung einer neuer Regierung. Professor Mamadu Lamarana Bari hat seine Berufskarriere in Brasilien gemacht. Er fühlt sich integriert und verweist mit Stolz auf seine kürzliche Ernennung zum Mitglied der Brasilianischen Akademie für Wirtschaft, Politik und Sozialwissenschaften. Seine Magisterarbeit schrieb er noch über ein Thema mit Bezug zu Guinea-Bissau, seine Dissertation hatte nichts mehr mit seiner Heimat zu tun („Wirtschafts- und Finanzanalyse des Bodenkreditprogramms“, an der Agrarwiss. Fakultät Viçosa, 1998). Er nahm die brasilianische Staatsangehörigkeit an.

21 Jahre lang glaubte Lamarana Bari an seine Rückkehr in sein Herkunftsland, bis er einsehen musste, dass seine berufliche Zukunft in Brasilien liegt. „Aber ich bleibe Guineer…, ich fühle mich meinem Land verbunden.“ Konkret aber sah er keine Perspektive im Land. Der Abhängigkeit jeder möglichen Beschäftigung von den Wechselfällen der Politik, der beruflichen Unsicherheit einer Rückkehr und dem engen Milieu in Bissau setzt er die erfolgreiche Laufbahn als Professor für Wirtschaftswissenschaft in Brasilien entgegen. Von den 18 seines Jahrgangs, die mit ihm aus Guinea-Bissau nach Brasilien kamen, sind seines Wissens drei in Brasilien geblieben, ein Augenarzt, ein Chirurg, ein Ingenieur und Unternehmer. Lamarana Bari nennt mir aber viele andere, die sich definitiv in Brasilien niedergelassen haben: einen Architekten, einen Rechtsanwalt, mehrere Ärzte, mehrere Universitätsprofessoren, Wirtschaftswissenschaftler, einen Marineoffizier, viele erfolgreiche Personen – übrigens alles Männer. Aus der Sicht seiner Schilderungen stellt sich das brasilianische Stipendienprogramm als Beitrag zur Ausbildung und Berufslaufbahn von GuineerInnen dar, aber eben auch zum brain drain, denn viele von ihnen kehren aus sehr unterschiedlichen Gründen nicht in ihr Heimatland zurück.

Nachbemerkung des Autors: Ich habe diesen Beitrag im November 2005 in Brasilien geschrieben, leider fast ohne jeden Zugang zur Literatur. Ich hätte u. a. gern auf den einzigen mir bekannten Artikel zum Thema zurückgegriffen: Harriet McGuire über die Verleihung von Stipendien für guineische Studierende nach der Unabhängigkeit des Landes durch ein Sonderprogramm der Vereinten Nationen und viele bilaterale Programme, mit denen Tausenden jungen Leuten aus Guinea-Bissau Schulbesuch und Auslandsstudium ermöglicht wurden, insbesondere im Ostblock, in Cuba, Frankreich, Portugal und Brasilien; vgl. Harriet McGuire in: Carlos Cardoso und Johannes Augel (Hg.), Guiné-Bissau. Vinte anos de independência. Democracia e Desenvolvimento. Balanço e perspectivas, Bissau: INEP, 1996, 407 S.