Medien als neutrale Vermittler von Informationen? Pustekuchen!

In vielen Ländern Lateinamerikas brechen immer wieder Konflikte aus, die zwischen indigenen Gruppen und nationalen Regierungen ausgetragen werden. Auch unter den linken Regierungen in Venezuela, Ecuador und Bolivien sind Minderheiten und ihre Rechte ein schwelender Konfliktherd. Um die Darstellung dieser Konflikte in den Medien geht es dem Autor des im Juni erschienenen Buches „Medien als Akteure in der politischen Transition: Bolivien im Autonomiekonflikt“, Andreas Hetzer. Worin unterscheiden sich die Reaktionen linker (v.a. Bolivien, Venezuela) und konservativer Regierungen (z.B. Kolumbien) auf Autonomieforderungen linker Gruppen? Und wie wird über Indigene und deren Forderungen in den Medien der jeweiligen Länder berichtet? Welchen Konsequenzen haben die Medienregulierungen linker Regierungen (z.B. Venezuela, Argentinien, Ecuador und Bolivien)? Auseinandersetzungen zwischen diesen linken Regierungen und den Medien im jeweiligen Land sind immer wieder Gegenstand von Skandalisierung in ausländischen Medien, so wird in Europa vorschnell von Zensur gesprochen.

Dass Medien in Argentinien (Grupo Clarín), Brasilien (O Globo) oder in Mexiko (Televisa) starken politischen Einfluss ausüben und sich in den Händen weniger einflussreicher Unternehmer befinden, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz. In der Berichterstattung und in der Wissenschaft wird dies allerdings unkritisch als „Manipulation“ interpretiert. Von der Politischen Ökonomie, den Besitzverhältnissen, ausgehend wird eine simple Analogie zur Manipulation von Medieninhalten aufgemacht. Dass aber Medien teilweise je nach Eigeninteresse widersprüchlich agieren und verschiedenste Diskurskoalitionen mit politischen Akteuren eingehen, kommt seltener zur Sprache, weil es nicht ins starre Konzept des Medienverständnisses passt. Der Autor untersucht, wie Medien einen starken Einfluss auf Politik ausüben und alles andere sind als neutrale Vermittler von Informationen. Er kommt zu dem Schluss, dass Medien selbst politische Akteure mit eigenen komplexen Interessen sind.

Hetzer untersucht diese Fragen am Beispiel des Andenlandes Bolivien. Er gibt zunächst einen umfassenden und tiefgründigen Überblick über die Geschichte Boliviens seit 1982; der „Regimewechsel“, die Hindernisse für eine „erfolgreiche Demokratisierung“ und die ökonomische Transformation werden im Kontext der laut Autor faktischen Macht der Oligarchie ausführlich beschrieben. Die starke soziale Ungleichheit und das Ausbleiben eines wirtschaftlichen Aufschwungs werden vor diesem Hintergrund verständlich.

Dieses historische Verständnis der Besitzverhältnisse und der aktuellen Auseinandersetzungen erklärt Hetzer ausführlich, weil es zu neuen Erkenntnissen über die politische Transition aus medienwissenschaftlicher Perspektive führt. Es geht ihm um die Offenlegung gesellschaftlicher Ein- und Ausschlüsse, also darum zu verstehen, wer von wem wie gehört wird, welche Gruppen sich in der Öffentlichkeit kaum Gehör verschaffen können.

Dabei vertritt er kein Ideal einer politischen Öffentlichkeit, sondern geht davon aus, dass Öffentlichkeit und Kommunikation stets Konflikt und Antagonismus bedeuten. Die Medienlandschaft ist demzufolge kein Ort des gerechten Austausches, sondern hart umkämpfter Schauplatz ökonomischer und politischer Interessen. Hetzer betont das Politische in Kommunikationsprozessen. Konfliktive Kommunikation versteht er demnach nicht als Konsensverpflichtung und Überzeugung durch das rationalere Argument, sondern als das Aufeinandertreffen konträrer Dispositionen und Überzeugungen, die nur in einer vorläufigen, hegemonialen Stabilisierung einer bestimmten politischen Position münden und andere kommunikative Artikulationen ausgrenzen.

Der Kern des Buches ist eine Untersuchung der Medien, des journalistischen Feldes. Daran will Hetzer zeigen, wie sich politische und ökonomische Machtverhältnisse auf die Strukturierung der Medienlandschaft niederschlagen. Außerdem fragt er, inwieweit sich diese Strukturen auf die politische Orientierung der Medienakteure auswirken. Hetzer misst dazu das ökonomische Kapital und das kulturelle Kapital für diejenigen Printunternehmen, die später einer Inhaltsanalyse unterzogen werden. Dieser sehr wissenschaftlich verfasste Teil kommt zu dem Schluss, dass die Medienlandschaft von den drei wichtigsten Tageszeitungen in den Städten La Paz, Cochabamba und Santa Cruz dominiert wird. Die politische Liberalisierung hatte zwar eine Öffnung der Medien mit sich gebracht, aber Autonomie und Überparteilichkeit hätten sich nicht durchsetzen können (S.271). Zudem beschreibt der Autor, dass seit 1982 eine Marktliberalisierung festzustellen sei, die aber keine Pluralisierung der Eigentümerstrukturen zur Folge hatte oder eine größere Meinungsvielfalt induzierte. Insofern sei auch Boliviens gegenwärtiges Medienregime ein hybrides, potenziell anfälliges, instabiles Konstrukt. Nicht einmal der Amtsantritt von Evo Morales löste eine starke Veränderung der Medienlandschaft aus und auch die neue Medienregulierung änderte an den Besitzverhältnissen im Grunde wenig. Die Konstitution des Medienregimes Boliviens unterliegt nach wie vor polit-ökonomischen Interessen, auch wenn neue Akteure wie die staatliche Zeitung Cambio ins Feld eintreten und neue Konsumentengruppen abdecken. Im Gegensatz zum politischen blieben also die Machtverhältnisse im journalistischen Feld relativ konstant.

Was bedeutet dies für die Inhalte der Medien? Hetzer unternimmt eine aufwändige inhaltliche Analyse, in der er die Positionen der unterschiedlichen Zeitungen zum Autonomiekonflikt vergleicht. Gegenstand der Analyse ist demnach die Berichterstattung über die Konflikte um die Stärkung regionaler Autonomie zwischen 2008-2010. Er kann zeigen, dass die Kommentare in den Leitartikeln der sieben ausgewählten Zeitungen tendenziös sind, mit „starker Schieflage zugunsten der regionalen Opposition“ (S. 361). Die ideologische Polarisierung zwischen regionaler Opposition (v.a. El Mundo und die Zeitungen der Grupo Líder aus Santa Cruz und Cochabamba) und der Regierung (staatliche Zeitung Cambio) ist besonders ausgeprägt. Während departamentale Autonomien im Zentrum der Diskussion stehen, sind indigene Autonomien im Diskurs vollkommen marginalisiert.

Das Buch von Hetzer leistet auch einen Beitrag zur interdisziplinären Lateinamerikaforschung, die bisher kaum zu den Medien in Bolivien gearbeitet hat. Die komplexen Beziehungen von Politik- und Medienwandel sind verständlich dargestellt, ohne banalisiert zu werden. Der Autor kritisiert unter anderem den Demokratiebegriff, nach dem die Länder des Nordens den Status der „Entwicklungsländer“ einteilen und so den „Fortschritt“ dieser Länder im Demokratisierungsprozess bewerten. Statt landläufige Beschreibungen zu verwenden, erarbeitet Hetzer ein ausführliches Instrumentarium in Anlehnung an die Feldtheorie Bourdieus für die vergleichende Medienforschung. So kann er „Ungleichzeitigkeiten und Widersprüche“ (S. 89) zwischen politischem und journalistischem Feld erklären.

Diese Dissertation kommt bisweilen sehr akademisch daher. Es liefert dem Leser eine Unmenge an bisher unveröffentlichten Daten (v.a. zum Medienbesitz und den Bilanzen der Printunternehmen) und eine spannende Darstellung der Medienlandschaft in Bolivien. Auch für geschichtlich Interessierte sind einige Teile unbedingt lesenswert. Zudem vermeidet das Buch eurozentrische Perspektiven und kommt so zu neuen Ansätzen der Bewertung von politischen und medialen Entwicklungen. Wer sich an diesen akademischen Wälzer heranwagt, wird mit interessanten Informationen und einer Menge Denkanstößen belohnt.