Mehr Fragen als Antworten

Die Internationale Energieagentur (iea) ist eine Kooperationsplattform von derzeit 31 Regierungen und elf assoziierten Ländern. Zunächst für gemeinsame Interventionen im Ölmarkt gegründet, befasst sie sich heute mit Fragen von Energietechnologien. In ihrem Bericht „Die Rolle kritischer Metalle bei der Energiewende“ prognostiziert sie, dass sich der Verbrauch kritischer Metalle bis zum Jahr 2040 vervierfachen werde, wenn die Pariser Klimaziele eingehalten werden sollen. Solle schon bis zum Jahr 2050 Klimaneutralität erreicht werden, bedeute das eine Versechsfachung des Verbrauchs. Dabei steige allein der Bedarf an Lithium um das 42-Fache.

Das war im März 2022. Eine Tonne Lithium kostete in dem Jahr bis zu 80 000 US-Dollar. Zwei Jahre vorher hatte der Preis noch bei knapp 30 000 Dollar gelegen und galt damit als recht niedrig. Dieses Jahr im Februar wurden in China nur noch weniger als 14 000 Dollar bezahlt. Welcher wirtschaftliche Akteur, sei er öffentlich oder privat, kann angesichts solcher Preissprünge zuverlässig Investitionen planen und Unternehmensstrategien entwickeln? So sehr zumindest in öffentlichen Aussagen Einigkeit herrscht, dass die Energiewende kommen werde, und so klar es ist, dass dies in allen bisher verfolgten Szenarien mit einem massiv höheren Verbrauch bestimmter Rohstoffe und anderer Ressourcen (bei Wasserstoff zum Beispiel gigantische Mengen an Süßwasser) einhergehen wird, so unklar ist, wie das praktisch vor sich gehen soll.

Zwar lassen nach einer Reihe zum Teil spektakulärer Funde neuer Lagerstätten aktuell die Befürchtungen ein wenig nach, dass die schiere Menge der Vorkommen gar nicht ausreichen werde, aber eine Strategie, wie deren Ausbeutung und Nutzung umweltverträglich vor sich gehen soll, ist nirgendwo erkennbar. Und wie obige Zahlen zeigen, ist nach wie vor völlig unklar, wann, wie und sogar ob überhaupt sich ein sicherer Markt für strategische Rohstoffe herausbilden wird. Das ist nicht nur eine Frage der Preise, sondern auch der technologischen Entwicklung. Der errechnete Lithiumbedarf etwa setzt voraus, dass Mobilität zukünftig wesentlich mit Lithium-Ionen-Batterien stattfinden wird. Das ist aber noch gar nicht ausgemacht, sondern davon abhängig, wie die technologische Entwicklung, etwa von Natrium-Ionen-Batterien, vonstattengehen wird.

Geht die Industrie zum Wasserstoff statt der Wasserstoff zur Industrie?

Auch die zukünftige Rolle von Wasserstoff ist keineswegs klar. Bisher gib es keinen realistischen Vorschlag, wie die drei Grundvoraussetzungen zu seiner Produktion (Süßwasser, sauberer Strom und hohe finanzielle Investitionen) am selben Ort zusammengebracht werden können. Und selbst wenn das gelänge, etwa durch Meerwasserentsalzungsanlagen, wie sie in Brasilien oder Namibia im Gespräch sind, gäbe es bisher keine überzeugenden Lösungen dafür, wie der Energieträger dann zu denen käme, die ihn in großen Mengen verbrauchen wollen. In gasförmigem Zustand ist er kaum transportabel, eine Umwandlung etwa in Ammoniak senkt die Energieausbeute so stark, dass sich die Frage nach der Wirtschaftlichkeit stellt.

Alternativ müsste man mit einer Entwicklung rechnen, in der die Produktion zur Energie ginge und nicht die Energie zu den bisherigen Produktionsstätten. Würden dann zukünftig energieaufwändige Produktionen wie Chemie, Glas, Dünger, Stahl eben in Namibia oder Brasilien stattfinden und die alten industriellen Kernländer das Nachsehen haben? Nicht nur einige (Teile von) Regierungen arm gemachter Länder scheinen genau darauf zu spekulieren, sondern auch manche Vertreter*innen lokaler, zivilgesellschaftlicher oder ökonomischer Interessen.

Und damit stellt sich auch die Frage, ob diese neuen Entwicklungen im Energiesektor tatsächlich nur alte Machtgefälle vertiefen oder doch ein so stark disruptives Potenzial haben, dass völlig neue politische und wirtschaftliche Konstellationen entstehen könnten. Und wenn das der Fall wäre, wenn etwa Brasilien und Namibia sich in den nächsten Jahren zu Zentren einer sauberen Energieproduktion und einer grün basierten Industrialisierung entwickeln würden, was wäre damit für die Ökologie und für die Frage globaler Gerechtigkeit gewonnen? Wer wären die Träger solcher neuer wirtschaftlicher Prosperität? Könnte es sich um gesellschaftliche Koalitionen handeln, die eine Perspektive auf das Gute Leben haben? Aber dann müssten die Kräfte, die dafür stehen, sich in diese Entwicklungen einmischen, statt sie zu bekämpfen.