Wie hast du angefangen, Musik zu machen?

Ich bin 1983 in Sololá geboren, aber von dort sind wir schon während des Krieges weggezogen. In einem Dorf in der Nähe von Chimaltenango bin ich aufgewachsen; dort habe ich Theater und Tanz gemacht, aber Rap hat mich von Anfang an am meisten interessiert. Mit meinen Cousins haben wir zusammen auf der Straße Musik gemacht, anfangs auf Spanisch; später haben wir gemerkt, dass wir es auch in unserer Muttersprache Kakchiquel tun können. Besonders beeinflusst haben uns Musiker aus Puerto Rico, manchmal kopierten wir Songs aus dem Radio, später haben wir das thematisiert, was in unserem Dorf passiert ist: Der Krieg und die Leute, die nicht über ihre Wirklichkeit sprechen wollen, die nicht wahrhaben und darüber reden wollen, wie die Situation in Guatemala ist. Wir haben auch das Militär angeklagt, das gemordet hat. 

Seid ihr deswegen auch bedroht worden?

In unserem Dorf nicht, in anderen Orten schon. In der Region gibt es viele Ex-patrulleros[fn]Patrullas de Autodefensa Civil (PAC) wurden im Krieg zur Überwachung der Dörfer eingesetzt.[/fn], die uns fragten: „Ihr wollt wohl, dass es euch so ergeht wie damals den KommunistInnen oder Guerilleros?“ Aber wir sind darauf nicht eingegangen. Andere haben uns auch gewarnt: „Passt auf, wenn ihr diese Dinge singt, kann euch etwas passieren, den Militärs gefällt das nicht.“

Kannst du auch ein Instrument spielen?

Nein, mich hat immer der Text interessiert. Mein Rap war am Anfang auch ohne Beat, nur Sprechgesang. Ich habe meine Texte geschrieben und versucht, ihnen etwas Rhythmus zu geben, meine Stimme zu beleben. Vorher hatte ich auch schon etwas Poesie geschrieben, in Kakchikel und Spanisch. Auch jetzt sehe ich meinen Rap nicht in erster Linie als musikalische Äußerung, sondern als Poesie. 

Als ich 17 war, bin ich in die Hauptstadt gegangen. In den ärmeren Vierteln der Stadt habe ich junge Leute in meinem Alter und ihre für mich neue Lebensrealität kennengelernt: viel Gewalt, Jugendbanden etc. Dadurch habe ich mehr vom urbanen Rap verstanden und ihn dann für die dörflichen Umstände adaptiert. Wir haben eine kleine Hiphop–Bewegung gegründet und so wurde ich bekannt in der Stadt. 

Wie bist du zu der Arbeit im Polizeiarchiv gekommen?

1999 hatte ich einige Leute auf einer Demonstration kennengelernt, über die ich Workshops über Menschenrechte und memoria histórica[fn]REMHI: Recuperación de la Memoria Histórica, Projekt, mit dem die Arbeit der Wahrheitskommission in Guatemala unterstützt wurde.[/fn] besuchte. Im gleichen Jahr begann ich für MOJOMA, die Jugendorganisation der Witwenorganisation CONAVIGUA, zu arbeiten. Verschwundene Kinder und Entschädigungen der Opfer waren die Themen dieser Organisationen, mit denen ich in die Dörfer fuhr und an Exhumierungen teilnahm. Ich habe nie von der Musik gelebt, aber sie war Teil meiner Arbeit, weil ich mit den Jugendlichen in den Dörfern, in die wir gefahren sind, Rap machen wollte. 2005/2006 habe ich dann angefangen, im Archiv[fn]2005 wurde zufällig das Archiv der Nationalpolizei („La Isla“) in Guatemala-Stadt entdeckt. Es ist in Bezug auf mögliche Beweise für Menschenrechtsverbrechen während des Krieges brisant.[/fn] zu arbeiten, kurz nachdem es entdeckt worden war. Ich war erst als Freiwilliger dort, um die Dokumente sicherzustellen, später war ich bis 2009 angestellt. 

Ich wusste ja schon vorher, was in Guatemala während des Bürgerkriegs geschehen war. Aber die Arbeit im Archiv war eine starke Belastung. Ich war dort nicht nur aus arbeitstechnischen Gründen oder wegen meines Engagements, die Dokumente zu retten, sondern ich hoffte auch, meine verschwundenen Verwandten zu finden oder etwas über den Tod meines Vaters zu erfahren, der ermordet worden war. Diese Erfahrung geht einem sehr nahe, sich tagaus tagein mit Ermordeten zu beschäftigen, sie auf den Fotos zu sehen und ihre Geschichten zu erfahren. Daher habe ich den Song geschrieben, der Titelsong für den Film La Isla wurde.

Wie hast du den Entschluss gefasst, aus Guatemala wegzugehen?

In Guatemala habe ich mich nicht mehr sicher gefühlt, die Polizei und das Militär haben mich ständig kontrolliert. Ich war auch bei HIJOS, der Organisation von Kindern und Angehörigen Verschwundener, aktiv. Jedes Jahr haben wir eine Demo gemacht für Erinnerung und Gerechtigkeit. Auch die Arbeit mit den Jugendlichen in den ärmeren Vierteln war der Polizei ein Dorn im Auge. Die Polizei kontrolliert die Jugendlichen, ist sehr korrupt und in den Drogenhandel verwickelt. Wenn du das kritisierst, bekommst du direkt Probleme. Hinzu kommt die Straflosigkeit, als MenschenrechtsaktivistIn kannst du umgebracht werden und es wird als allgemeine Kriminalität abgetan, von politischem Mord ist nicht die Rede. 

Warum hast du Deutschland ausgewählt?

Deutschland war der einzige festere Kontakt, den ich hatte. Und dann sind 2009 drei Cousins von mir ermordet worden, die auch alle in den Dörfern gearbeitet und vor allem Theater auf Kakchikel gemacht hatten. Es hat nie Nachforschungen oder Untersuchungen der Polizei gegeben, sondern es wurde unterstellt, dass es sich um allgemeine Kriminalität handelte. Das Problem in Guatemala ist die Korruption, die hat das Sozialgefüge am stärksten zerstört. Viele Leute leugnen immer noch den Krieg und die Geschehnisse in Guatemala und wollen den Indigenen keine Räume zugestehen.

Ich wollte eine Atempause, aber auch aus Sicherheitsgründen eine Zeit lang raus. Ich bin zunächst hierher gekommen, um mit dem Filmemacher Uli Stelzner den Film La Isla vorzustellen. Ich habe dann einen Asylantrag gestellt, um etwas mehr Zeit zu haben und Informationen über Guatemala bekannt zu machen. 

Ich hatte einen Kulturschock: Die Lebensweise der Leute in diesem Land kam mir völlig surreal vor. Sie kümmern sich nicht um Armut. Ich weiß, dass es auch in Deutschland Armut gibt, aber die Leute sind trotzdem völlig auf Linie mit dem System. Sie leben in ihrer individuellen Welt und wissen nichts über Guatemala. Und dann dieser subtile Rassismus: Es spielt eine Rolle, ob jemand Ausländer ist. Wenn du im Zug fährst, gucken dich alle an. Auch in Guatemala werden Ausländer angestarrt, aber hier ist die Ablehnung stärker, weil sie annehmen, dass Leute aus anderen Ländern nur herkommen, um sie auszunutzen oder es sich bequem zu machen. Sie haben Angst. Sie sehen Ausländer als TerroristInnen, die arm sind, und deswegen sollen sie wegbleiben. Das wird nicht so deutlich ausgesprochen, aber man kann ihren Verdruss in den Gesten spüren, in Sätzen wie „Wie lange bist du denn schon hier – und wann wirst du wieder gehen?“ oder „Wie schönes Haar du hast, es ist sehr schwarz!“

Wie ist dein Asylverfahren gelaufen?

Am Anfang wie bei allen, aber ich hatte einige Vorteile und es dauerte nicht so lange, etwa fünf Monate. Ich hatte die Unterstützung von Amnesty International und einer Berliner Gruppe. Als Migrant wirst du nicht gut behandelt in diesen Orten, dort merkt man den Rassismus deutlicher. Die Leute sind nicht darauf vorbereitet, mit Flüchtlingen zu arbeiten und wissen nicht, dass sie vor Gewalt, Hunger oder etwas anderem fliehen. Sie setzen dir das Essen unfreundlich vor oder schreien dich auf Deutsch an; sie helfen dir kein bisschen und kümmern sich nicht darum, dass du auch Aufmerksamkeit brauchst, dass du nicht hier ankommst und gleich Deutsch sprichst. Die Unterkünfte sind schlecht, bis zu sechs Personen in einem Zimmer und du kannst nicht mit ihnen kommunizieren, weil sie andere Sprachen sprechen. Das führt zu Spannungen zwischen den Flüchtlingen. Meine schlimmste Erfahrung war der Selbstmordversuch eines Jungen aus Algerien in dem Zimmer, in dem ich wohnte. Er war schon lange hier und hat nie einen Bescheid erhalten.

Bei mir ging es zum Glück schneller, das lag auch daran, dass ich Beweise hatte, das hatten die meisten anderen nicht. Am Anfang haben sie gesagt: „Aber in Guatemala ist Demokratie“, und ich musste mich dieser Diskussion stellen. Belegen, dass es überhaupt einen Krieg in Guatemala gegeben hatte und dass sich seitdem nicht viel geändert hat. Und natürlich Beweise über meine persönliche Situation. Über die Schläge, die mir Polizei und Militärs verabreicht hatten, die Anzeigen, die ich in Guatemala vorgelegt hatte, Fotos. Am Ende haben sie mir das Asyl zugestanden, aber sie haben nicht anerkannt, dass es die Regierung ist, die die Leute verfolgt, sondern Paramilitärs. Damit haben sie vermieden, dass Deutschland akzeptiert, dass in Guatemala keine Demokratie herrscht. 

Seit etwa einem halben Jahr lebst du in Berlin. Machst du noch Musik?

Ich versuche neue Sachen zu machen und Menschen zu finden, die die Musik produzieren könnten. Das Publikum hier ist anders, deswegen muss ich mich verändern. Es ist etwas anderes, hier in einer Kneipe zu singen, in die die Leute auf einen Drink kommen, und am nächsten Tag haben sie vergessen, was du gesungen hast. Deswegen suche ich andere Räume, z.B. habe ich an der Latinale teilgenommen, einem lateinamerikanischen Poesiefestival. Dort habe ich meine Gedichte vorgetragen und auch gesungen. Im April werde ich in Hamburg Hiphop-Workshops durchführen und am 15. April im Rahmen der Romero-Tage den Film La Isla vorstellen und ein Konzert geben.

Hast du deine Erfahrungen in Deutschland auch schon in Musik umgesetzt?

In Gedichte schon, aber in Musik noch nicht. Ich arbeite daran. Es gibt viel Konkurrenz hier und ich mag es nicht, wenn die Musik nicht als ein Mittel gesehen wird, um Menschen zu unterstützen, sondern aus rein kommerziellen Gesichtspunkten be-trachtet wird. Ich suche auch einen Verlag, um meine Gedichte auf Kakchikel oder Spanisch zu veröffentlichen. Ich will die Zeit hier nutzen und versuchen, mich ein wenig einzugewöhnen.