Für Fanny de Weinberg und Klemcy Salza sind die letzten Tage vor der Vernissage mit pausenloser Organisation und steigender Vorfreude gefüllt. Die beiden Köpfe und Herzen hinter der Ausstellung, die gebürtige Argentinierin Fanny, die schon lange ihren Lebensmittelpunkt in Köln hat, sowie Klemzy Salza aus Barranquilla an der kolumbianischen Karibikküste, die vor einigen Jahren von Italien nach Köln gezogen ist, freuen sich wahnsinnig, als es endlich so weit ist. „In der Ausstellung wollen wir auf Problematiken hinweisen, die immer noch virulent sind, obwohl die Kolonialzeit schon lange zurückliegt“, erzählt Fanny bei der Vernissage.

Mit viel Begeisterung und ohne institutionelle Förderung haben die beiden Kuratorinnen die Ausstellung ausgeheckt, neun Monate lang entworfen, organisiert und umgesetzt. „Durch die digitale Vernetzung konnten wir mit einem wunderbaren Team in Kolumbien zusammenarbeiten“, schwärmt Fanny. Die Ausstellung funktioniert sogar hybrid, da Klemcy Salza unermüdlich die Events rund um die Ausstellung filmt, auf Spanisch kommentiert und streamt, sodass auch das Publikum in Kolumbien teilhaben kann. Da einige der beteiligten Künstler*innen in Deutschland leben, konnten sie am Vernissage-Wochenende mitfeiern und an einer Gesprächsrunde über ihre Kunst teilnehmen.

Aus Brasilien ist Tana Ribeiro mit ihren witzig anmutenden Mosaikköpfen vertreten. „Da tobe ich mich richtig aus.“ Die Köpfe sind aus schwerem Material, echte Betonköpfe. Tana lebt seit 1997 in Deutschland. „Diese Köpfe, aber auch meine Porträts, haben eine menschliche und eine Roboterseite. Wir arbeiten und funktionieren wie die Roboter, sind aber auch Menschen mit Gefühlen.“ Wie ist sie auf diese Mosaiktechnik gekommen? „Für meinen Sohn habe ich zum Geburtstag stets einen wunderschönen Kuchen gebacken, aufwändig dekoriert, mit Gummibärchen und anderem, immer wieder aufs Neue eine Sensation! So begann meine Liebe zum Mosaik. Gleichzeitig begann ich zu malen. Wer meine Bilder betrachtet, wird Parallelen zu den Mosaikarbeiten feststellen: Ich verwende Acrylfarbe und Spachtelmasse, die Linien werden ausgekratzt, bevor die Farbe getrocknet ist. Außerdem arbeite ich mit Lasuren: Wo die Farben heller sein sollen, mit leichter Lasur. So gibt es ein Wechselspiel aus hellen und dunklen Farben.“ Tana Ribeiros Leidenschaft sind Porträts. Zunächst hat sie Menschen gemalt, die sie liebt, oder auch Popstars. Irgendwann fragte sie sich: Wer bewegt etwas auf dieser Welt? „So habe ich meine aktivistische Seite entdeckt.“ Sie erschuf komplexe und kraftvolle Mosaikporträts, etwa von Greta Thunberg, von George Floyd oder von einem Indigenen aus dem Amazonas (die beiden Letzten sind auch in Köln zu sehen).

Künstlerin Flaca, in Venezuela geboren, macht digitale Pop Art. Sie lebt seit ihrem elften Lebensjahr in Deutschland. Die Autodidaktin arbeitet mit Collagen, malt, zeichnet und fotografiert. „Die Zeichnungen oder Fotos werden digital zusammengefügt und weiter bearbeitet, bis ich zufrieden bin. Dann werden sie ausgedruckt, auf Stoff, Glas, Metall und anderen Materialien.“ Hauptdarsteller*innen sind meistens Frauen. „Frauen haben mich großgezogen, das hat mich stark geprägt.“ Neben dem Geschlechterverhältnis liegt ihr das Thema Gleichberechtigung am Herzen. „Meine Werke sind auf den ersten Blick schön, aber dahinter lauert auch ein schwer zu verdauendes Thema.“ Ihre Bilder sind ein wahrer Farbenrausch. „Meine Kunst ist modern, ich füge aber auch Symbole ein, die verdeutlichen sollen, dass ich aus Venezuela komme. Deswegen arbeite ich mit Naturmotiven, mit Blumen, Vögeln, Insekten.“ Flaca möchte, dass ihre Kunst zugänglich ist. „Ich mache Pop Art, also Kunst fürs Volk. Ich lasse mich von aktuellen Nachrichten inspirieren, sei es der Krieg oder ein bestimmter Kriminalfall.“ Die beiden Werke von Flaca in der Ausstellung stammen aus ihrer Anfangszeit als Künstlerin. „Für ‚Urban Angel‘ habe ich Graffitis rund um den Engel ohne Kopf platziert. Ein zentraler Satz ist ‚Ama lo que haces‘, also ‚Liebe, was du machst‘.“ Das erste Mal wurde das Bild im Polizeipräsidium in Köln Kalk ausgestellt. „Das Bild ist eine Kritik daran, dass ausgerechnet Street Art, eine Kunst, die für alle zugänglich ist und für die niemand etwas bezahlen muss, kriminalisiert wird. Die Polizei nennt das Vandalismus. Deshalb war es besonders toll für mich, das Bild bei der Polizei auszustellen.“

Fotograf Yosjan González aus Cuba fotografiert seit 2010. In Havanna besuchte er Kurse an einer Schule für Fotografie. Sozialkritik spielt für ihn eine wichtige Rolle, aber er fotografiert auch Landschaften. Er hat eine Reihe mit Fotografien cubanischer Frauen, eine andere mit dem Titel „Pasaporte Cubano“ geschaffen. Darin geht es um Migration, um die Motivation der Leute, das Land zu verlassen, sowie ihre Gefühle dabei. „Dahinter steckt viel Wut und Schmerz“, sagt er. Seit knapp zehn Jahren wohnt er in Deutschland. Zuletzt hat er die Aktfotografie für sich entdeckt. „Ich möchte damit gegen die Klischees von Cubanerinnen und Cubanern vorgehen, möchte die Ästhetik der nackten Körper anders und neu entdecken.“ Seine Fotografie „Prórroga“ (Aufschub) zeigt seinen eigenen Unterarm, der verkabelt an einem Reisepass hängt, seine Hand krallt sich in den Untergrund. „Ich möchte zeigen, wie viel Kraft man aufbringen muss, um sich an seinen Vorstellungen und Wurzeln festzuhalten. Die Verkabelung steht für ein Update. Der Übergang zur Digitalisierung geht auf Cuba ja sehr langsam voran. Und der Reisepass löst starke Gefühle aus: Schmerz und Enttäuschung, aber auch zurückgehaltene Gefühle, denn du landest schnell im Knast. Das Thema ist mir wichtig, denn ich selbst, aber auch Freunde und Familienmitglieder sind von den Behörden misshandelt worden.“

Die Bilder von María Fernanda Schulz sind stark von afrokolumbianischer Kultur und Symbolik geprägt. Sie hat 16 Jahre lang in Köln gelebt und bezeichnet sich selbst als „fast kölsches Mädchen“. In ihrer Heimat Kolumbien hatte María Fernanda als Tänzerin gearbeitet. Die Malerei war zunächst eine Leidenschaft, die sie in Deutschland als Kunsttherapeutin stärker berücksichtigte. „Dann beschloss ich, meine Malerei zu professionalisieren. Drei Jahre lang nahm ich Unterricht bei dem Künstler Stewens Ragone.“ Seit 2017 lebt María Fernanda in der Schweiz. Ihr Bild „Caserita“ ist eine Wucht. „Die Frau ist eine Palenquera, aus dem Ort Palenque an der Karibikküste. Sie verkauft Obst, das sie in einer Schale auf dem Kopf trägt. Sie repräsentiert für mich Kolumbien: Großzügig und üppig, mit großen Brüsten, kurz: eine gute Mama. Sie kann alles geben. Und das kann Kolumbien auch.“ Neben dem Hauptmotiv gibt es kleine Elemente, die auf Schattenseiten hinweisen. „Unten in der Ecke sind die Indigenen aus dem Amazonas, sie sind nicht direkt zu sehen, wie in der Wirklichkeit auch. Ihr Leben und ihr Lebensumfeld sind in Gefahr, weil alle die Ressourcen aus ihren Gebieten ausbeuten wollen.“ Auf der Hand der Palenquera sitzt ein schwarzer Vogel, eine „María Mulata“. „Die ist in Kolumbien weit verbreitet. Warum werden immer weiße Friedenstauben gezeigt? Bei uns gibt es die gar nicht. Schwarze Vögel hingegen gibt es auf der ganzen Welt. Die María Mulata steht auch für Ambivalenz: Sie ist klug und sozial, manchmal aber ein bisschen bösartig und räuberisch. Und das ist die Realität in vielen lateinamerikanischen Ländern.“

Wie gut sehen sich die Ausstellenden in die hiesige Kunstszene integriert? Flaca weist darauf hin, dass María Fernanda Schulz einen tollen Lehrer hatte. „Einige Galerien suchen gezielt nach Werken von den Schüler*innen bestimmter Lehrer.“ Sie selbst habe es schwerer gehabt. „Galerien und Kunstkenner*innen sagten noch vor zehn Jahren, dass Digital Art keine Kunst, sondern eine Mode sei, die rasch verschwindet. Außerdem bin ich eine Frau. Und Frauen haben es in der Kunstszene schwerer. Hinzu kommt meine Körperbehinderung.“ Da viele Leute an ihr Talent glaubten und sie ermutigten, konnte sie daraus Kraft schöpfen. „Ich mache seit zehn Jahren Kunst, es hat aber lange gedauert, bis ich mich als Künstlerin begriff. In meiner Familie bin ich die erste Künstlerin. Als ich meinem Opa erzählte, dass ich Kunst machen möchte, sagte er: ‚Gib mir deine Kontodaten. Damit du nicht verhungerst‘.“ Auch von den Galerien fühlte sich Flaca anfangs nicht ernst genommen. „Die haben in mir die arme Frau mit ihrem Hobby gesehen, die in drei Jahren wieder weg vom Fenster ist. Dieselben sagen heute: ‚Oh, ah, Frau, und dazu noch so stark, ja!‘.“ Früher versteckte sich Flaca hinter ihren Bildern. Sie wollte nicht, dass ihre Kunst in eine Schublade gesteckt wird, weil sie von der „Frau im Rollstuhl“ oder der „Frau aus Venezuela“ stammt. Die Versteckstrategie hat drei Jahre lang funktioniert: „Viele haben gedacht, ich sei ein Mann“.

Yosjan erzählt von seinen Erfahrungen mit Klischeevorstellungen: „Einige Leute denken, wenn sie ‚lateinamerikanischer Künstler‘ hören, dass du eine total chillige Person bist. Künstler und aus Cuba, das kann ja nur ein Gigolo sein“. Und Tana Ribeiro findet schließlich, dass es insgesamt zu wenig Förderung gibt. Die Regierungen ihrer lateinamerikanischen Herkunftsländer könnten ja auch unterstützen, was natürlich nicht passiert. „Deswegen sind solche Projekte wie ‚Puentes al Sur‘ von Fanny und Klemzy so wertvoll.