Metal Mestizo

Erzähl doch als erstes was über die Band!

Tendencia wurde 1994 gegründet, aber erst seit 1999 spielen wir mit der heutigen Besetzung. Unsere Lieder haben breitgefächerte Themen, manche sollen Botschaften des Friedens sein, manche wenden sich z.B. gegen Terrorismus. Die Texte sind nicht nur auf Cuba bezogen, sondern sind international. Es gibt viele Heavy Metal Gruppen, die Wert darauf legen, die härteste, schwärzeste, radikalste zu sein. Ich liebe harten Rock, höre alles von Chuck Berry bis hin zu den neuesten Strömungen – wir sind offen für alle Einflüsse. Außerdem bin ich gerne Cubaner und mag cubanische Musik. Ich glaube, deshalb kommen wir beim Publikum so gut an. Cubanische Percussion und harte Gitarren. Oft müssen wir das Publikum beruhigen, damit sie nicht komplett durchdrehen. Wir fühlen die Musik und das merken die Leute. Wir singen immer auf Spanisch, weil wir aus Cuba kommen, weil wir hier unsere Wurzeln haben. Unsere Musik ist durch die afrocubanischen Elemente in der cubanischen Kultur verwurzelt und der Gesang auf Spanisch verbindet uns damit. 

Seid ihr in Cuba schon richtig bekannt?

Ja, inzwischen haben wir schon zwei Alben veröffentlicht, wir sind die einzige cubanische Rockband, die das bis jetzt geschafft hat! Re-evolución, die erste CD, erschien 2001 bei der deutschen Plattenfirma System Shock. Seitdem haben wir hier in Cuba ziemlich viel Öffentlichkeit. Die erste CD konnte man auch in Europa kaufen und ein Lied, „Sin Futuro“, ist sogar mal im Radio irgendwo gelaufen. Insgesamt haben wir aber nur 200 CDs verkauft. Die Aufnahmequalität von Re-evolución war ziemlich schlecht. Im Internet haben wir gute Rezensionen gekriegt, aber die Klangqualität haben alle bemängelt.

Das neue Album haben wir jetzt in einem der besten Studios Cubas aufgenommen. Es heißt „Rebeldes“ und ist Anfang dieses Jahres erschienen, am 20. Januar haben wir es in Havanna vorgestellt. Wir sind im Salón Rosado des Tropical (berühmtestes Cabaret in Havanna) aufgetreten – als Rockgruppe! Da spielen sonst Bands wie Los Van Van. Die Halle war mit über 5000 Leuten restlos ausverkauft. Ein unglaubliches Gefühl, da aufzutreten, wo sonst die bekanntesten Gruppen Cubas auftreten, und dann haben wir auch noch den Rekord der meistverkauften Eintrittskarten gebrochen!

Wir waren auch im Fernsehen, bei den Musiksendungen 23 y M und bei Cuerda Viva. Da sind wir auch für den Preis als beste Hardrockgruppe und als populärste Musikgruppe des Landes nominiert worden und vom Instituto Cubano de la Música als beste Band und für das beste Coverdesign! Die neue Plattenfirma, eine cubanische, ermöglicht uns, unsere eigenen Ideen umzusetzen, sie unterstützt uns sehr. Ich würde sie um nichts in der Welt tauschen wollen! „Rebeldes“ soll auch in Brasilien und Deutschland erscheinen. Außerdem sollen Videoclips gedreht werden und wir gehen in ganz Cuba auf Tour, um das Album hier bekannt zu machen. 

Hättet ihr gerne auch international Erfolg? 

Wir haben die ganze Zeit versucht sowohl berühmt zu werden als auch weiterhin underground zu spielen. Alles, was wir in diesem Jahr gemacht haben, die ganzen Fernsehauftritte, Konzerte und so, haben aber nur ein Ziel: Wir hören nicht auf, bis wir in der internationalen Metalszene Cuba repräsentieren, so wie Sepultura Brasilien. Bis jetzt sind wir noch nicht im Ausland aufgetreten, aber wenn wir das erste Mal auf Tour gehen, werden wir Europa die Augen öffnen. Trotzdem werden wir nie aufhören, auf beiden Seiten zu stehen, oben und unten. Wenn andere Bands lieber underground bleiben wollen, respektiere ich das allerdings.

Ist Rock in Cuba eine Modeerscheinung? Man sieht immer mehr Jugendliche, die sich wie Rocker anziehen…

Es gibt viele, die wirklich mit dem Herz dabei sind, und viele, die nur der Mode wegen so rumlaufen. Aber Rock ist im Kommen: Im Fernsehen gibt’s inzwischen sogar eine wöchentliche Rocksendung, super, oder? Sogar im Canal Educativo werden Konzerte von Clapton, Billy Joel oder Metallica gezeigt. Aber als in den Nachrichten dann vom Tod des Gitarristen von Panthera berichtet wurde, war ich erstaunt. Das sind Sachen, über die früher nie berichtet worden wäre. Die Medien haben auf jeden Fall dazu beigetragen, den Rock groß zu machen. Programme wie Cuerda Viva werden von allen geguckt, danach reden die Leute über die Gruppen, die aufgetreten sind. Dass da mal eine Rockgruppe spielen würde, hätte früher niemand gedacht. Aber als wir da aufgetreten sind, waren wir sogar der Höhepunkt der Show, vor allen Salsabands.

Hat der generelle Erfolg des Rock die Sichtweise der Menschen auf die Rockers geändert oder gibt es noch immer Vorurteile?

Ja, Langhaarige werden komisch angeguckt. In unser erstes Video haben wir deshalb Kinder einbezogen, das sind ja die Erwachsenen von morgen, die hoffentlich mit den Vorurteilen von heute aufräumen werden. Das erste Video hat auf die Bevölkerung großen Eindruck gemacht, ein bisschen hat sich schon getan. Wenn ich jetzt die Straße langgehe, werde ich oft von Menschen angesprochen. Gestern bin ich an einem Kindergarten vorbeigekommen und ein kleiner Junge kam rausgerannt, hat Tendencia gerufen und mir gesagt, er würde gerne Rocker werden, wenn er groß ist. Unglaublich! Man sieht also, dass sich das Bild vom Rocker schon ändert, und das war auch immer unser Anliegen. Jetzt ist der Stein einmal ins Rollen gekommen und immer mehr Türen werden sich für den Rock öffnen. Wir sind für Musikpreise nominiert, das zeigt, dass Rock gesellschaftsfähig wird. 

In Cuba hat die Hippiebewegung in den Köpfen der Bevölkerung ziemlich viel Schaden angerichtet. Eigentlich war das ja eine linke, positive Bewegung, aber in Cuba war die gesellschaftliche Denkweise zu dieser Zeit so zurückgeblieben, dass sie mit den Hippies nichts anfangen konnte. Die Art, wie sie sich kleideten und verhielten, das hatte was Rebellisches an sich, was in die normale Denkweise von damals nicht reingepasst hat. In kultureller Hinsicht hat uns die Spezialperiode gut getan. Sie durchleben zu müssen hat geholfen, ein toleranteres kulturelles Bewusstsein zu entwickeln. 

Hattet ihr als junge Band Unterstützung von irgendeiner Seite?

Die größte Unterstützung haben wir von der Asociación Hermanos Saiz (AHS) bekommen. Das ist eine NRO, die aber vom Kulturministerium unterstützt wird. Sie fördert besonders talentierte KünstlerInnen, die jünger sind als 35 Jahre. Die Aufgabe der AHS ist es, diese KünstlerInnen in ihren Projekten zu fördern und bekannt zu machen, auf nationaler Ebene und wenn es geht auch international. Die Leute in der Organisation werden von den KünstlerInnen selbst gewählt. Durch unseren guten Ruf haben inzwischen zwei Mitglieder von Tendencia in der Asociación Ämter: Sergio, unser Gitarrist, repräsentiert die Asociación in Pinar del Río und ich bin Präsident der Organisation. Das ist natürlich eine ganz schöne Verantwortung. 

Wir müssen Rockmusiker genauso unterstützen wie HipHopper oder bildende Künstler, Literaten, Theatergruppen oder jemanden, der mit audiovisuellen Medien arbeitet. Vielleicht könnte man ja den Austausch mit deutschen Organisationen ein bisschen ankurbeln? Im Moment arbeiten wir an einem Antifaschismusprojekt, wenn jemanden das interessiert, der das Interview liest, kann er sich mit uns in Verbindung setzen. Uns freut es auch, wenn Leute sich für unsere Band interessieren. Ich spreche Englisch und Spanisch! Wer will, kann uns schreiben. 

Wie ist euer Verhältnis zu anderen Musikgruppen? Kommt ihr in Gewissenskonflikte, wenn ihr für die AHS Künstler anderer Richtungen nach vorne bringen sollt?

Nein, überhaupt nicht. Wir verstehen uns super, sonst würden wir ja nicht zu Vertretern der Organisation gewählt werden. Wir haben immer andere Gruppen unterstützt und sind nicht neidisch, weil wir unseren eigenen Stil bereits gefunden haben. Unser Erfolg mit Tendencia nützt auch den anderen, weil wir viele Kontakte zu den Medien haben. Wir versuchen, diese dann auch für die anderen Bands zu nutzen. Auf unsere Tour z.B. nehmen wir andere Rockbands als Vorgruppen mit, was ihnen Auftrittsmöglichkeiten, Transport, Unterbringung, Interviews usw. garantiert. Sie müssen nur selbst spielen und überzeugen. Auf unsere Tour nehmen wir aber z.B. auch Schriftsteller oder bildende Künstler mit, die dann da, wo wir auftreten, Lesungen oder Ausstellungen veranstalten. Die anderen Künstler verteidige ich, als ob es meine eigene Band wäre, da lass ich mir von keinem was bieten. 

Hier in Pinar proben fast alle anderen Bands mit unseren Instrumenten und mit denen treten sie auch auf. Wir hoffen, dass wir uns irgendwann mal bessere kaufen können. Die Rockgruppen hier unterstützen sich gegenseitig ziemlich. In Havanna ist die Szene größer, da wird mehr geheuchelt. 

Pinar gilt als Rockstadt, warum ist das so? Man hört kaum was vom HipHop oder? 

Das stimmt so nicht ganz. Letzten Monat haben wir hier z.B. ein HipHop-Festival organisiert. Aber es ist richtig: Pinar ist eine Stadt des Rock n’ Roll. Der HipHop hat hier bis jetzt nicht richtig Fuß gefasst, wir versuchen aber trotzdem, auch ihn zu fördern. Im Moment unterstützen wir eine junge HipHop-Gruppe, Dos Veces Yo heißt die.

Sie fangen gerade erst an, müssen noch viel dazulernen, sind aber schon ganz gut. Sie haben kürzlich bei einem regionalen HipHop-Festival einen Preis als beste Newcomer gewonnen. Die Hip-Hop-Szene ist bis jetzt ziemlich schwach in Pinar. Wir tun was wir können, um die Gruppe zu fördern, aber es ist an ihnen, hier eine Szene entstehen zu lassen, alles können wir uns nicht auf die Schultern laden. 

Rock ist in Pinar eine feste Größe, es gibt feste Strukturen. Jedes Jahr findet hier ein Rockfestival statt, dieses Jahr vom 28. April bis 2 Mai. Wir organisieren es schon seit 1995, dieses Jahr ist das zehnjährige Jubiläum! Im Moment machen wir eine Umfrage, wen die Leute dabeihaben wollen, und danach werden die Gruppen ausgewählt. Die Gruppen reißen sich darum, hier spielen zu können, das zeigt, wie bekannt und beliebt das Festival ist, dass es Qualität hat. In den anderen Provinzen ist das nicht so.