Mich fasziniert die Widersprüchlichkeit

Ana Cristina, „Alba“ ist dein erster Langfilm, nachdem du bereits einige Kurzfilme gedreht hast. Was bedeutet das für dich?

Einerseits ist es ganz anders, einen Kurzfilm zu machen als einen Langfilm. Die Drehzeit ist ja auch viel länger, sechs Wochen erfordern deutlich mehr Kraft, Wissen und Konzentration als drei oder fünf Tage, als Leiterin des Teams ist das eine sehr emotionale Zeit. Bei einem Kurzfilm, den man in so wenigen Tagen dreht, ist die Gefahr auch nicht so groß, dass etwas schiefläuft. Beim Dreh von Alba kam ich schon an einen Punkt, an dem ich dachte, der Film verliert gerade alles, was ihn besonders macht – das war frustrierend. Aber wenn du es am Ende dann doch schaffst, ist das wundervoll. Die Erfahrung, einen Langfilm zu machen, war total einzigartig. Ich glaube, dass ich bei keinem anderen Film noch einmal das Gleiche fühlen werde, was ich jetzt bei meinem ersten Film gefühlt habe, denn alles war neu. Für mich war es einer der größten Lernprozesse meines Lebens, sowohl persönlich als auch auf meine Arbeit bezogen. Jetzt meinen ersten Film fertig zu haben und zu sehen, dass er zu dem geworden ist, was ich mir vorgestellt hatte, und vielleicht sogar zu noch mehr, ist ein großartiges Gefühl. Ich habe jetzt noch mehr Lust weiterzuarbeiten, das war ein großer Impuls für mich. Es ist nicht so, als sei ein Film nur gut, wenn er von den Leuten ein Häkchen verpasst bekommt, aber die Reaktion des Publikums ist doch sehr wichtig. Das gibt mir mehr Selbstvertrauen, ja, einen Impuls.

Du sprichst vom Publikum. Für welches Publikum sind denn deine Filme?

Das ist schwierig zu beantworten. Aber ich denke, dass Alba Anklang bei zwei verschiedenen Arten von Publikum findet: einerseits bei einem Publikum, das viele Filme sieht und sich mit Kino auskennt, aber andererseits auch bei Leuten, die einfach sensibel sind und sich vom Thema der weiblichen Pubertät berühren lassen. Und genau das wollte ich auch, diese beiden Seiten ansprechen, nicht ein rein intellektuelles Publikum, aber auch nicht nur jenes, das sich wenig mit Filmen auskennt.

Wie ist es denn für dich, deinen eigenen Film bei den Festivals dieser Welt wieder und wieder anzusehen?

Bei dem Festival in Rotterdam habe ich Alba mehrmals gesehen, bei jeder Vorführung. Jetzt sehe ich ihn mir nicht mehr jedes Mal an. Aber ich betrete gern in ganz bestimmten Momenten den Saal, um zu sehen, wie das Publikum den Film fühlt, ob es konzentriert ist, ob da diese Energie ist; das fühlt man ja im Kino. Ich empfinde viel Zuneigung für den Film, denn ich merke, dass er eine Seele hat. Aber natürlich sehe ich auch die Dinge, die ich heute anders machen würde, bei denen ich weiterkommen will. Aber er gefällt mir, der Film gefällt mir. Obwohl ich das Drehbuch geschrieben habe, als ich sehr jung war und in der Zwischenzeit viel erwachsener geworden bin, aber ich habe das Gefühl, der Film ist mit mir gewachsen. Der Film hat mich wachsen lassen und ich den Film.

Und in deinem Entwicklungsprozess, welches Kino hat dich da beeinflusst? Hast du cineastische Vorbilder?

Als ich angefangen habe, das Drehbuch zu schreiben, hatte ich das Gefühl, dass es in Ecuador eine Stille gab. Es gab weder große Regisseure noch Orte, an denen man Autorenfilme sehen konnte, noch wurden in der Schule solche Filme gezeigt. Und es gab auch eine gewisse Ignoranz, eine Stille, andere Dinge zu hören. Also habe ich kein so markantes Vorbild. Aber natürlich habe ich später dann angefangen, viele Filme zu sehen, die das unterstützt haben, was ich aussagen wollte, und die mich beeinflusst haben. Was mir diese Filme gegeben haben, sind einerseits vor allem Natürlichkeit und Intensität der Schauspielperformance, andererseits Eindrücke der Mischung aus Sanftheit und Schmerz der Pubertät, so wie in den Fotos von Sally Mann.

Wenn du von dieser Stille oder einer gewissen Ignoranz sprichst: Wie ist es denn, in Ecuador Filme zu machen? Glaubst du, dass es schwieriger ist als in anderen Ländern?

Mittlerweile gibt es schon einige sehr gute Filme in Ecuador. Und diese Ignoranz, das betrifft weniger Ecuador, sondern war eher mein persönliches Empfinden während meines Lernprozesses. Ich habe den Eindruck, dass es in Ecuador eine Menge Talent gibt, aber das Filmemachen ist schwierig. Wegen der Wirtschaftskrise steckt auch die Filmbranche in der Krise, gerade im Moment zerfällt deswegen der Filmfonds. Gerade erst hatte es angefangen, Geld zu geben, viele Filme wurden gedreht, da war es zehn Jahre später auch schon wieder vorbei. Das ist gravierend; ich weiß nicht, wie wir jetzt wieder aufstehen sollen aus dieser Krise.

Hast du das Gefühl, dass es neben der wirtschaftlichen Situation andere Rahmenbedingungen gibt, zum Beispiel die Kulturpolitik Correas, die dich persönlich in deiner Arbeit als Regisseurin beeinflussen?

Diese Regierung hat das Kino sehr unterstützt, viel mehr als andere Regierungen. Was jetzt gerade passiert, ist aber ein bisschen widersprüchlich. Erst gibt es so eine große Unterstützung, und dann verliert das Kulturschaffen in der Wirtschaftskrise seine Priorität. Solche Dinge sollten eigentlich so unberührt wie möglich von der Krise bleiben. Gerade im Moment befindet sich Ecuador aber im Ausnahmezustand, wir erleben die Folgen des Erdbebens, da wage ich es nicht, viel über Politik zu urteilen.

Und wenn die staatliche Förderung ausbleibt, welche Alternativen siehst du dann?

Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, sind internationale Filmfonds. Ich überlege gerade, einen Film im Ausland zu drehen oder eine Koproduktion zu machen. Alba öffnet für mich jetzt Türen auch in anderen Ländern.

Dann lass uns mal über deine persönliche Motivation reden, Filme zu machen: Warum bist du Regisseurin geworden?

Schon als Kind, mit etwa fünf Jahren, habe ich angefangen, mit der Kamera von meinem Vater eigene Kurzfilme zu drehen und mit meinem Bruder Videos zu machen. Dieses Bedürfnis hatte ich schon ganz früh, das war immer eine sehr markante Leidenschaft. Mit acht Jahren habe ich dann bei den Theaterstücken meiner Cousins und Cousinen Regie geführt. Ich meinte immer „Ich, ich, ich!“. Dann gab es einen Moment, als ich mich ein wenig vom Filmemachen entfernt habe, denn meine Schule damals unterstützte die Kunst nicht besonders. Ich hätte mir vorstellen können, etwas im Bereich Tierschutz oder Meeresbiologie zu machen. Aber sobald ich meinen Abschluss hatte – na ja, eigentlich wusste ich immer, dass ich Filme machen wollte, es war schon ein echtes Bedürfnis.

Und war dir immer klar, dass du hinter und nicht vor der Kamera stehen wolltest?

Mehr oder weniger! Ich wollte immer hinter der Kamera stehen, ja, aber ich habe auch geschauspielert, das mag ich auch gerne. Vor kurzem war ich Hauptdarstellerin in einem ecuadorianischen Film, der bald herauskommt, Sed („Durst“) heißt er.

Was inspiriert dich zu deinen Filmen?

Das, was ich wahrnehme. Jegliche Empfindung inspiriert mich. Ich bin sehr offen für… meine Träume, Erinnerungen an bestimmte Momente, Bilder. Viele Dinge… Sehr persönliche Dinge, Ängste. Für mich sind es fast immer die ganz persönlichen Empfindungen, die mich inspirieren. Es passiert selten, dass ich mir ein Thema vornehme, über das ich kaum etwas weiß, und darüber recherchiere. Das ist ja auch eine Art, Filme zu machen, aber eben nicht meine. Meine Themen entspringen einfach meinem Instinkt.

Findet sich also auch in deinen Charakteren viel von dir selbst?

Ja, total. Auch in Alba.

Viele deiner Filme behandeln ja das Frausein und Frauwerden. Was bedeutet das für dich?

Das ist eine sehr schwierige Frage, ich kann gar nicht genau beantworten, was das für mich heißt: Frau zu sein. Aber ich habe das Gefühl, dass die Weiblichkeit eine ganze Welt ist, die ich jeden Tag mehr entdecke. Ich muss noch so viel über Weiblichkeit lernen, über meine eigene Weiblichkeit. Das macht mich neugierig und gespannt. Ich finde, das ist etwas ganz Großes. Eine große Kraft, für die ich noch zu jung bin, um sie von Grund auf zu verstehen, aber die ich Stück für Stück besser kennenlerne. In letzter Zeit habe ich mich mit dem Heranwachsen von jungen Mädchen beschäftigt, mit einer abrupten und auch schmerzvollen Weiblichkeit; damit, wie sie verschiedene Dinge entdecken. Dabei sind mir Sensibilität und Instinkt wichtig, meine eigenen und auch die der Charaktere. Es sind immer Charaktere, die Bauchgefühle haben, die die Welt aus einer ganz bestimmten Perspektive wahrnehmen, die ganz genau beobachten.

Was bewegt dich so an dieser Mischung aus „Sanftheit und Schmerz“, die du immer mal wieder erwähnst?

Ich erforsche gerne. Mich fasziniert alles, was zwei widersprüchliche Seiten hat, nicht nur bei Mädchen, sondern auch in der Umgebung. Wenn zum Beispiel ein Ort gleichzeitig verlassen und wunderschön ist, oder wenn eine schwache Person in ihrer Schwäche eine ganz besondere Schönheit besitzt. Mich interessiert also die Schönheit in allem Merkwürdigen. Damit identifiziere ich mich, und auch mit anderen KünstlerInnen, die diese Schönheit thematisieren.

Wo wir von Weiblichkeit sprechen: Hast du den Eindruck, dass es im ecuadorianischen Kino Sexismus gibt?

Ich hatte das Glück, im Allgemeinen mit sehr respektvollen Leuten zu arbeiten, mit sensiblen und femininen Männern mit gutem Herzen. Aber es ist unbestreitbar, dass wir alle irgendwo Machismo in uns tragen. Das macht sich an kleinen Dingen bemerkbar, die die Arbeit beeinflussen, einige Kommentare zum Beispiel. Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir weiblichen Regisseure härter sein, uns mehr behaupten müssen. Für Männer kann es schwierig sein, eine starke weibliche Führungsperson anzuerkennen. Du als Frau wirst dazu gezwungen, strenger zu sein. Manchmal hatte ich schon den Eindruck, dass ich nicht so hart sein müsste, wenn ich ein Mann wäre, weil ich einfach wegen der Tatsache, männlich zu sein, mehr respektiert worden wäre. Das ist real, und es ist schwierig. Wo ich das besonders gemerkt habe, war in der Werbung. Eigentlich interessiert mich Werbung nicht so, aber eine Zeit lang habe ich mich damit beschäftigt. Um gewisse Dinge zu erreichen, ist als Frau dein Aussehen manchmal wichtiger als alles andere. Und dann gibt es ja auch deutlich mehr männliche Regisseure als weibliche. Dabei sind es in der Schule ja noch zur Hälfte Mädchen und zur Hälfte Jungen, aber von den Frauen schaffen es viele dann nicht so weit, Regie zu führen, irgendwo bleiben sie auf der Strecke. Auch auf den Filmfestivals sind die meisten Ausgezeichneten Männer. Ich bin keine Expertin, aber es ist offensichtlich, dass es da ein Ungleichgewicht gibt.

Ist das auch eine Botschaft, die du mit deinen Filmen senden willst?

Nicht unbedingt, zumindest möchte ich nicht bewusst eine bestimmte Botschaft senden. Der Film transportiert schon Botschaften, er bietet verschiedene Interpretationsmöglichkeiten, aber darum geht es mir nicht hauptsächlich. Der Grund für meine Filme ist eher das Bedürfnis, etwas auszudrücken, und das versuche ich auf die ehrlichste Art und Weise zu tun. Das kann dann für andere Personen zu einer Botschaft werden.

Du hast mal gesagt, dass deine Filme nicht viel sagen sollen, sondern viel fühlen lassen wollen.

Ja, die Filme, die ich am meisten mag, gefallen mir nicht wegen der Geschichte. Ich erinnere mich später nicht an die Handlung, sondern an die Atmosphäre, an die Empfindungen, Gefühle. Das ist eine eher körperliche Erfahrung, ich erinnere mich an den Geschmack, den ein Film hinterlässt. Ich gehe also mehr von einer Empfindung aus als von einem Konzept oder einem bestimmten Thema. Was ich jetzt nicht schlecht finde, es ist nur einfach nicht meine Art.

Was sind denn deine neuen Geschmäcker? Hast du neue Projekte?

Ja, ich habe zwei neue Projekte: Eins heißt La piel pulpo („Tintenfischhaut“), das andere Mujer Conejo („Hasenfrau“). Das erste handelt von Geschwisterliebe, von brüderlicher Intimität. Der Film spielt an einem Strand, wo ich in meiner Kindheit viel Zeit verbracht habe und wo es viele Tiere gibt. Der andere Film hat einen fantastischeren Ton. In der Umgebung eines ecuadorianischen Waldes behandelt er schwierige weibliche Themen wie den Menschenhandel. Den einen würde ich gerne komplett in Ecuador drehen, den anderen teils in Ecuador, teils in Mexiko. Erstmal suchen wir aber noch für Alba Filmverleihe in Lateinamerika, damit der Film größere Kreise als die BesucherInnen der Filmfestivals erreicht.