Mitten in einem autoritären System

Wie sieht aus Ihrer Perspektive die Situation in Guatemala aus? Alle Nachrichtenmeldungen sind sehr negativ.

Ja, die Situation hat sich sehr verschlechtert. Und jeden Tag wird es schlimmer, die sozio-politische und ökonomische Situation, Verletzungen von Menschenrechten, Einschränkungen der Presse. Große Sorgen bereitet mir, wie Justizbeamte kriminalisiert und drangsaliert werden. Wenn ich etwas Gutes über Guatemala sagen sollte, dann würde ich über die Sehenswürdigkeiten sprechen, aber es geht ja hier nicht darum, den Tourismus zu befördern. Es ist auch kein Ausweg in Sicht. Im Gegenteil, politische Rechte der Wähler*innen und Kandidat*innen werden eingeschränkt, und das sind auch Menschenrechte. Wir können also nicht mehr von einer Demokratie sprechen. Denn ohne politische Rechte, ohne politische Freiheit, ohne unabhängige Presse befinden wir uns bereits mitten in einem autoritären Regime.

Drei Kandidat*innen wurden bereits von der Wahl ausgeschlossen, möglicherweise kommt noch ein weiterer hinzu, neben Ihnen die einzige indigene Frau und drei mehr oder weniger konservative Kandidaten. Was bedeutet das für eine „Demokratie“?

Das ist schlimm. Aber man darf uns nicht in einen Topf werfen, denn die Gründe für den Ausschluss sind nicht dieselben. Uns, dem „Movimiento para la Liberación de los Pueblos“, hat der Staat die Tür verschlossen. Der Ausschluss der beiden konservativen Kandidaten hat mit Ressourcen, Problemen und Konflikten zwischen Parteien untereinander zu tun. Parteien sind in Guatemala keine klassischen politischen Parteien, sondern eher Handelsunternehmen, die politische Ämter und Aufträge der öffentlichen Hand verkaufen, als wären es Aktien. Das befördert Korruption. So kam es zum Streit zwischen den Parteien, der letztlich auf juristischer Ebene ausgetragen wurde.

Was bedeutet der Ausschluss der indigenen Kandidatin Thelma Cabrera?

Es ist ein Zeichen des Rassismus auf hohem Niveau. Die indigene Bevölkerung wird diskriminiert, in sozialer und ökonomischer und jetzt auch in politischer Hinsicht. Vor vier Jahren war Thelma auf dem vierten Platz gelandet. Dieses Mal hätte sie hohe Chancen gehabt, in die Stichwahl zu kommen, denn die Bevölkerung hat es satt, immer wieder die gleichen Kandidat*innen zu sehen. Sie war eine sehr starke Kandidatin, deswegen wurden wir blockiert.

Was halten Sie von einer Kandidatin wie Zury Ríos, der Tochter des Diktators Ríos Montt?

Sie ist ein Beispiel dafür, dass unsere politische Verfassung von den Gerichten nicht respektiert wird. Das überrascht mich im Grunde nicht, weil die Justiz so korrupt ist. Was da passiert ist, kann man verstehen, wenn man weiß, aus welchen Richtern sich das Verfassungsgericht zusammensetzt. Da ist zunächst Roberto Molina Barreto. Er war vor vier Jahren Anwärter auf die Vizepräsidentschaft, als Zury Ríos Präsidentin werden wollte. Molina Barreto ist heute Mitglied des Verfassungsgerichtes und hat einer Kandidatur von Zury Ríos zugestimmt. Dann ist da noch der Richter Luis Rosales, der Zury Ríos‘ Vater Efraín Ríos Montt in der Anklage wegen Genozids als Anwalt vertreten hat. Zury Ríos wird heute unterstützt von einer Koalition bestehend aus den Konservativsten der Konservativen. Sie repräsentieren die Nachkommen derjenigen, die die Bevölkerung massakriert haben, sprich Ríos Montt, und derjenigen, die die öffentlichen Güter privatisiert haben, sprich Álvaro Arzú.

Was denken Sie, fehlt es an internationalem Druck? Warum gibt es keine Aktionen der EU und keine Sanktionen von Seiten der USA?

Die kriminellen Allianzen und korrupten Pakte des Präsidenten Alejandro Giammatei haben gezeigt, dass er sehr geschickt im Umgang mit der internationalen Gemeinschaft ist. Er besuchte die Ukraine, hält die guatemaltekische Botschaft in Israel in Jerusalem, pflegt Beziehungen zu Taiwan. Außerdem ist für die USA das Thema Migration von großer Bedeutung, und Präsident Giammatei verkauft sich als „Karawanentöter“. Die USA könnten mehr tun, wenn sie wollten, denn sie haben einiges an Informationen darüber, wie das guatemaltekische Justizsystem Betrugsfälle unterstützt.

Welche Auswirkungen hat das Gerichtsverfahren gegen den Gründer der Zeitung „elPeriódico“, José Rubén Zamora?

Für die unabhängige Presse ist das eine beunruhigende Botschaft. José Rubén Zamora, auch Chepe Zamora genannt, ist ein auf nationaler und internationaler Ebene angesehener Journalist, der sehr tiefschürfende investigative Recherchen zu Korruption in den vergangenen Regierungen geführt hat. Jetzt wird er kriminalisiert, als hätte er Verbrechen gegen die Menschlichkheit begangen oder als sei er selbst ein großer Korrupter. Fünf Journalisten und zwei Kolumnisten des „elPeriódico“ wird der Prozess gemacht. Die Botschaft wirkt, so sehr, dass die Presse sich in letzter Zeit schon selbst zensiert. Was muss denn in Guatemala noch passieren, damit mehr internationale Sanktionen verhängt werden? Die Internationale Gemeinschaft sollte nicht nur ihre Sorge bekunden, sondern Taten folgen lassen.

Welche Perspektiven auf Verbesserung gibt es für die nähere Zukunft?

Auf präsidialer Ebene: keine. Der Betrug wurde schon durchgezogen, die Bevölkerung wird nicht frei wählen können. Auf der Ebene des Kongresses der Republik wäre es wichtig, dass möglichst viele progressive Abgeordnete einziehen. Auch die kommunale Ebene sollte nicht vernachlässigt werden, sie spielt insbesondere für den Drogenhandel eine wichtige Rolle. Die Wahlergebnisse werden vermutlich keine Änderung der politischen Machtverteilung bringen. Deswegen finde ich persönlich es wichtig, dass nach dem ersten Wahlgang alle demokratischen Kräfte die Ergebnisse auswerten, um eine Strategie zu entwickeln, was nun zu tun ist.

Der Oberste Wahlrat war seit dem Übergang zur Demokratie 1996 noch nie so korrupt wie heute. Gegen das Unternehmen, das die Auszählung der Stimmenübertragungen im Zählsystem vornehmen wird, liegen viele Vorwürfe vor. Das macht mir Sorgen.

Warum gibt es in Guatemala keine vereinte Linke? Es gibt fünf in etwa linke Parteien, aber kein Bündnis oder Ähnliches.

Ja, ich bedauere sehr, dass die Linke in Guatemala heute nicht die Reife aufweist, um ein gemeinsames politisches Projekt zu entwickeln. Warum das so ist? Weil es viele Egos, viel Machismus und viel Rassismus in der Linken gibt. Die Linke ist oft im Diskurs der 70er- und 80er-Jahre hängengeblieben. Dabei braucht es andere Dynamiken und Strategien, die die indigene Bevölkerung, Frauen und Menschen aus der LGBTI-Community einbeziehen. Aber viele der linken Parteien geben sich mit ihren fünf oder sechs Abgeordnetensitzen zufrieden. So können sie zumindest weiter existieren und es bleibt alles beim Alten. Aber ich erwarte, dass sie sich tiefgehend selbst reflektieren und Selbstkritik üben, um zu sehen, was kurz-, mittel- und langfristig auf uns zukommt.

Was sind Ihre Pläne für die kommenden Monate?

Ich denke, ich muss etwas Abstand gewinnen. Ich sehe meine Rolle nicht an vorderster Position. Ich habe stolz und dankbar angenommen, Vizekandidat von Thelma Cabrera zu sein. Alle anderen Einladungen linker Parteien, Abgeordneter zu werden, habe ich abgelehnt, auch wenn ich trotzdem dankbar dafür bin. Es wäre ein sicherer Weg gewesen, der mir Immunität garantiert hätte. Aber ich bereue es nicht, jetzt einen anderen zu gehen.