Das Lateinamerika-Magazin

Musiker, Kulturbotschafter, Garífuna

Abschied von Andy Palacio (1960-2008)

Vorangegangen war eine dramatische Odyssee im Ringen um sein Leben. Nach einigen Tagen des Unwohlseins brach Andy Palacio am 16. Januar zusammen, kam in mehrere Krankenhäuser in Belize und wurde dann im Auftrag von Premierminister Said Musa zur weiteren Untersuchung nach Chicago geflogen. Er lag bereits im Koma, als der Ambulanzflug – zur Einreisekontrolle, so der Pressetext seines Produzenten Ivan Durán – in Mobile/Alabama landete, wo die Ärzte wegen schwerer Hirnschäden keine Hoffnung mehr für ihn sahen. Auf Wunsch der Familie wurde er zurückgeflogen, um in Belize zu sterben. Am 25. Januar wurde er mit einem Gedenkkonzert und Staatsbegräbnis geehrt (siehe Ländernachrichten). Einen Tag später fand Andy Palacio in seinem Heimatdorf Barranco seine letzte Ruhe.

2007 war für Andy Palacio ein Jahr rastloser Arbeit und kaum fassbarer Erfolge und Ehrungen: nationaler Verdienstorden von Belize, UNESCO Artist for Peace 2007, Womex Award 2007 der Weltmusikmesse für ihn und seinen Produzenten Ivan Durán und BBC Radio 3 World Music Award 2008 als bester Musiker beider Amerikas, der ihm, ungeachtet des offiziellen Vergabetermins im April, schon vor der Trauerfeier posthum zugesprochen wurde. Andy Palacio sah diese Ehrungen vor allem als Anerkennung der Idee, dass Musik ein höheres Ziel als nur Unterhaltung habe. Mit bewegenden Dankesworten nahm er den Womex Award am 28. Oktober „stellvertretend“ entgegen. Für alle Künstler der Welt, besonders Mittelamerikas und der Karibik, in der Hoffnung, dass ihr Wirken „Kulturen des Widerstands und Stolz auf die eigene Kultur“ fördern möge.

Vor allem aber für seine Vorfahren: „Aber die wahren Helden hinter meiner Musik sind jene ersten Garífuna-Kämpfer, die sich im 18. Jahrhundert auf der Insel Yúrumein (St. Vincent) auflehnten gegen Sklaverei, Kolonisierung und kulturelle Beherrschung und die sich für die Erhaltung ihrer Identität und der Nation der Garífuna entschieden. Viele von ihnen, darunter ihr höchster Führer Joseph Chatoyer, bezahlten dafür mit dem Leben. Dann kamen jene, die den Völkermord überlebten und an die Karibikküste Mittelamerikas zwangsumgesiedelt wurden. Dieser Preis ehrt jene Mütter und Väter, die unser Erbe (samt Sprache, Musik, Tanz, Folklore und Spiritualität) an ihre Kinder weitergegeben haben, damit wir heute zu dem kulturellen Reichtum und der Vielfalt beitragen können, die unsere Welt zu einem besseren Ort für alle machen. Hätte man dies dem formalen Erziehungssystem überlassen, wäre es wohl nie geschehen.“

Er dankte allen, die die Garífuna-Musik am Leben hielten, „um unsere tiefsten Gefühle auszudrücken“, wie der Altmeister der Paranda-Balladen, der 79-jährige Paul Nabor, der seit über zehn Jahren mit Andy Palacio auf der Bühne stand. Und er dankte im Namen aller Garífuna „unseren Vorfahren und dem allmächtigen Vater für die vielen Gaben und Segnungen, durch die wir Garífuna die Zeiten überdauert haben“.  Die tiefe Spiritualität dieser Worte war es auch, die seiner Musik ihre bewegende Kraft und seiner Persönlichkeit jene Ausstrahlung gab, die alle, die ihn trafen, zutiefst beeindruckte – seine Wärme und Offenheit, seine Bescheidenheit und sein Großmut. 

Andy Palacio – der junge Musiker zwischen Reggae, Rock und der Musik seiner Ahnen, die den Alltag in Barranco begleitete; – der engagierte Lehrer, dessen Schüler Garífuna sein durften, als in Belize gerade die Kolonialzeit endete; – der Alphabetisierungshelfer in Nicaragua 1980, der im Garífuna-Dorf Orinoco sein Lebensziel fand, nämlich zu verhindern, dass die Garífuna-Kultur in Belize ähnlich niedergehen könnte wie dort; – der Moderator, der das Garífuna als Sprache im Radio einführte; – der Star des Punta-Rock, der den traditionellen Tanz mit Rockmusik verschmolz; – der Kulturbotschafter, dank dessen Arbeit die UNESCO 2001 Sprache, Musik und Tanz der Garífuna zum Kulturerbe der Menschheit erklärte; – der rastlose Sucher nach einer perfekten Synthese seiner Tradition mit dem Geist der Zeit. Mit „Wátina“ hat er sie gefunden und sich tief in die Seele seiner Zuhörer gespielt.

Gern erzählte er, wie er die Sandinisten auf die Existenz der unter Somoza totgeschwiegenen Garífuna hinwies und nach einem Presseinterview die Schlagzeile las: „Neuer Volksstamm an der Atlantikküste entdeckt.“ 27 Jahre später hat die Welt dank Andy Palacio die Garífuna und mit ihnen Belize entdeckt. Sein Lebensziel hat sich erfüllt. Er hat seine Musiker um die Welt geführt, von Cartagena bis Sarawak, von Mexico-Stadt bis Ljubljana. Nur der Traum jedes Garífuna, den er in „I wish I could see the land of Africa“ besang, blieb unerfüllt. Er hat Belize und der Kulturrenaissance der Garífuna bleibende Impulse gegeben. Das Garífuna Collective hat einen Andy Palacio Garífuna Music Education Fund gegründet und geht mit der Gruppe Umálali im April 2008 zu seinem Andenken auf Tournee. Andy Palacios Musik lebt weiter.

Vgl. auch einen Beitrag zu Andy Palacio in ila 306 und zum Garifuna Collective in ila 368.