Am 1. Juli wählt Mexiko ein neues Staatsoberhaupt. Die sechsjährige Amtszeit Felipe Calderóns von der christdemokratisch-konservativen PAN-Partei geht am 1. Dezember zu Ende. Sein zentrales Thema war die Bekämpfung der Organisierten Kriminalität, insbesondere der mächtigen Drogenkartelle. Durch welche Maßnahmen war dieser Kampf gekennzeichnet?
Als die Regierung Calderón 2006 den Kampf gegen die Organisierte Kriminalität aufnahm, griff sie vor allem zu polizeilichen, das heißt in diesem Falle militärischen, Mitteln, um diese kriminellen Organisationen direkt anzugreifen. Einer der größten Kritikpunkte an der Regierung Calderóns im Kampf gegen die organisierte Kriminalität jedoch ist, dass hier von Anfang an eine wirkliche Strategie fehlte, um die inneren, vor allem ökonomischen, Strukturen dieser Mafia kontrollieren und angreifen zu können.
Als konkrete Maßnahme wurden in vielen Bundesstaaten militärische Kräfte auf die Straße geschickt, um die Polizei in ihrer Arbeit zu unterstützen. Denn man war der Meinung, dass die Polizei nicht über ausreichend Kapazitäten verfüge, um gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen. Außerdem wusste man, dass die Polizei sehr korrupt ist; dies wurde von Seiten der Regierung bekräftigt. Eine Strategie, um gegen die Korruption innerhalb der Polizeistruktur vorzugehen, gab es jedoch ebenfalls nicht.
Aus Angst, dass die Polizei wichtige Informationen preisgeben könnte, wird sie deshalb in wichtige Aktionen des Militärs meist nicht eingeweiht. Die Koordination zwischen Militär und Polizei ist katastrophal – sie agieren weitestgehend getrennt voneinander.
Das klingt so, als ob Calderón den Kampf gegen die Drogen verloren hat.
Absolut. Ich glaube, dass sein Kampf gegen die organisierte Kriminalität total gescheitert ist. Seitdem das Militär auf der Straße ist, hat sich weder der Schmuggel von Drogen über die mexikanische Grenze hinweg noch der Waffen nach Mexiko reduziert. Die Menschenrechtsverletzungen sind in den letzten Jahren sogar drastisch gestiegen.
In diesen Tagen werden einige hochrangige Militärs vor Gericht gestellt. Sie werden beschuldigt, auf der Seite eines bestimmten Kartells zu arbeiten. Das Militär ist also teilweise genauso unterwandert wie die Polizei. Es ist einfach zu viel Geld im Spiel. Egal, wer der aktuelle Gegner dieser mächtigen Kartelle ist, sie schaffen es immer wieder, ihn zu korrumpieren.
Glaubst du, dass sich mit einem neuen Präsidenten bzw. einer neuer Präsidentin etwas ändern wird?
Das ist eine Frage, die bis jetzt niemand beantworten kann. Alle Kandidaten sagen natürlich, dass sie die organisierte Kriminalität bekämpfen werden. Aber sie müssen mit ihren Aussagen auch vorsichtig sein und deshalb geben sie darüber, auf welche Art und Weise sie vorgehen werden, keine Auskunft. Weil die Politik Calderóns sehr unpopulär geworden ist, halten sich die Kandidaten bedeckt, ob sie die gleiche Linie verfolgen werden.
Können denn Nichtregierungsorganisationen in Mexiko etwas an der schwierigen Lage ändern?
Ich glaube, viele Leute in Mexiko haben verstanden, dass der einzige Weg überhaupt derjenige ist, sich außerhalb von Parteistrukturen zu organisieren. Sehr viel Aktivität ging vor kurzem z.B. von der Friedensbewegung Movimiento por la Paz con Justicia y Dignidad (MPJD) aus, die vom Schriftsteller und Dichter Javier Sicilia repräsentiert wird, dessen Sohn umgebracht wurde. Er hat zu einer Mobilisierung aufgerufen, der sich viele Leute, auch Intellektuelle, anschlossen. Unter zwei Mottos ¡Estamos hasta la madre! (Uns reicht´s!) und ¡No más sangre! (Kein Blutvergießen mehr!) fanden Friedensmärsche statt, die bis nach Ciudad Juárez führten, der gefährlichsten Stadt der Welt.
Aber auch diese Organisationen müssen zunehmend auf Sicherheit achten. Immer wieder werden Menschenrechtler bedroht. Einige der Mitglieder von Movimiento por la Paz con Justicia y Dignidad wurden in den letzten Monaten ermordet.
Warum erhalten diese Organisationen und MenschenrechtlerInnen keinen besseren Schutz von Seiten der Regierung?
In der Theorie wird ihnen zwar Schutz zugesagt. Das Problem ist aber, dass diejenigen Instanzen, die Schutz geben sollen, selbst so korrumpiert sind, dass dies in der Praxis nicht funktioniert.
Können Projekte wie „Menschenrechte Mexiko“ des Allerweltshauses in Köln weitab vom eigentlichen Geschehen überhaupt etwas bewirken?
Zuerst einmal sehen wir uns als eine Initiative, die nicht nur politische, sondern auch kulturelle Arbeit leisten möchte. Die direktesten Wirkungen, die wir erzielen können, sind die, dass in Nordrhein-Westfalen lebende Mexikaner und Mexikanerinnen, Lateinamerikaner und Lateinamerikanerinnen hier miteinander in Kontakt kommen und sich austauschen können.
Die andere Sache ist die, dass wir es geschafft haben, durch kulturelle Projekte wie z.B. Lesungen bei vielen Leuten Interesse an der derzeitigen Situation in Mexiko zu wecken.
Was man von Deutschland aus bewirken kann ist natürlich eine Frage, die wir uns in der Gruppe schon oft gestellt haben. Aber ich glaube, dass man in einer Situation, wie sie derzeit in Mexiko herrscht, nicht einfach sagen darf: „Okay, ich glaube nicht, dass das was bewirkt, also mache ich nichts.“ Obwohl wir nicht genau wissen, was wir bewirken können, werden wir weitermachen und dies ist, glaube ich, auch eine ganz wichtige Einstellung.
Unsere Hauptaufgabe besteht unserer Meinung nach darin, uns selbst zu informieren, um andere informieren zu können. Die Tatsache, informiert zu sein, sehen wir als Ausgangspunkt für jede Auseinandersetzung.
Gerade weil die Menschenrechtsarbeit in Mexiko schwieriger geworden ist, ist es für die Menschen dort wichtig und gut, zu wissen, dass hier in Europa die Aufmerksamkeit für die Probleme in Mexiko vorhanden ist und der Blick nicht abgewendet wird.
Dass ein Mexikaner (Abel Barrera Hernández) 2011 von Amnesty International den Amnesty-Menschenrechtspreis verliehen bekam, ist schon eine Art Schutz für Menschenrechtler in Mexiko, denn die mexikanische Regierung reagiert sehr empfindlich darauf, wie sie vom Ausland gesehen wird.
Fühlst du dich als Musiker mit mexikanischen Wurzeln verpflichtet, mit deinen Liedern auch politisch zu handeln?
Verpflichtet würde ich das nicht nennen. Da in meinen Liedern sowieso die Themen zur Sprache kommen, die mich interessieren, fließen eben auch solche ein, die mit der schwierigen Lage in Mexiko zu tun haben. Ich habe, glaube ich, nie das Gefühl gehabt, ich müsse jetzt auf jeden Fall über diese oder jene Situation in Mexiko ein Lied schreiben. Es ergibt sich vielmehr einfach so, dass, wenn ich damit konfrontiert bin, was gerade in Mexiko passiert, und dann ein Lied komponiere, diese Themen ganz automatisch mit einfließen.
Wirst du am 1. Juli wählen gehen? Oder glaubst du, dass deine Arbeit im Projekt und als Musiker mehr bewirken kann als ein Stimmkreuz?
Ich kann nicht wählen gehen. Aber aus dem einfachen Grund, dass ich mir aus organisatorischen Gründen keinen Wahlausweis ausstellen lassen konnte. Ich würde aber wählen gehen, wenn ich den Wahlausweis hätte. Ich weiß nicht, ob meine Arbeit im Projekt und als Musiker mehr bewirken kann, als meine Stimme abzugeben, aber auf jeden Fall bin ich mir der Wirkung viel bewusster. Wenn ich singe oder spiele, kann ich direkt einschätzen, ob das viel oder wenig bewirkt – beim Stimmkreuz habe ich viel weniger Ahnung.
Die Mexiko-Initative Köln/Bonn trifft sich jeden 4. Dienstag im Monat um 20 Uhr im Allerweltshaus Köln e.V. Weitere Infos unter www.allerweltshaus.de • Kontakt: menschenrechte-mexiko@allerweltshaus.de