Neoliberale Naturverhältnisse

Als Ende Juni 2009 der linke Präsident von Honduras, Manuel Zelaya, vom Militär aus dem Amt geputscht wurde, erfuhr das mittelamerikanische Land auch international einige Aufmerksamkeit. Während die deutschen Liberalen von der FDP und die ihr nahe stehende Naumann-Stiftung den von Unternehmertum und rechten politischen Kräften getragenen Staatsstreich begrüßte und rechtfertigte, regte sich im Land selbst immenser Widerstand. Eine breite zivilgesellschaftliche Organisierung, an der sich unter anderem indigene, feministische und Umweltgruppen beteiligten, forderte die Wiedereinsetzung des Präsidenten, vor allem aber die Umsetzung der von ihm begonnenen Demokratisierungsmaßnahmen.

Diese sozialen Bewegungen machen einen der Schwerpunkte aus, die Magdalena Heuwieser in ihrem ausgezeichneten Buch „Grüner Kolonialismus in Honduras“ setzt. Es zeichnet die Grundlagen einer ökologisch diskursivierten Landnahme nach und stellt konkrete Beispiele dieser Praxis des Green Grabbing dar. Darüber hinaus geht es ihr jedoch um „Handlungsspielräume, das dekoloniale Potenzial von Konflikten sowie Alternativen zu dominanten Entwicklungen“ (16), zu deren Agenten die sozialen Bewegungen geworden sind.

Heuwieser macht sich aber auch keine Illusionen über die bestehenden Kräfteverhältnisse. Auch wenn sie die Green Economy als „noch keinesfalls hegemonial“ (S. 181) betrachtet, so verweisen die Strategien ihrer Durchsetzung doch auf ein Bündel soziopolitisch wie ökonomisch extrem mächtiger Akteure. Green Grabbing besteht aus institutionellen Maßnahmen, die im Rahmen des Klima- und Umweltschutzes konzipiert und betrieben werden und mit der Aneignung von Land und Ressourcen einhergehen. An seiner Durchsetzung arbeitet nicht nur die nationale Oligarchie, auch internationale Konzerne und NRO sind daran beteiligt.

Die Autorin diskutiert das Green Grabbing keineswegs als mittelamerikanisches oder gar honduranisches Phänomen. Sie stellt es in den Kontext der globalen multiplen Krise. So gerät die Suche des Kapitals „nach neuen Anlagemöglichkeiten in Sphären, die noch nicht oder noch nicht vollständig inwertgesetzt sind“ (S. 69), in den Blick, und die Ausdehnung der Verwertungslogik auf Land, Wasser sowie Nahrungsmittel wird verständlich.

Das ist auch der Rahmen, in dem in Lateinamerika in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Staudammprojekten entwickelt und zum Teil auch realisiert worden sind, meist mit Folgen, die dem ökologischen Anspruch völlig zuwiderlaufen, von den soziopolitischen Auswirkungen mal ganz abgesehen. Dies wird an den drei Fallbeispielen, den Wasserkraftwerken La Aurora I und Agua Zarca sowie dem sogenannten Waldschutzprogramm REDD+, besonders deutlich. Die Abläufe ähneln sich: Die Privatisierung von Gemeingütern wird ökologisch begründet und geht mit den (nicht eingehaltenen) Versprechen auf Arbeitsplätze und infrastrukturelle Entwicklung einher, wobei die betroffenen Gemeinden aber in Entscheidungen nicht einbezogen werden und auch von den Gewinnen letztlich nicht profitieren. Der daraufhin entstehende Widerstand wird mit dem Umweltargument delegitimiert und schließlich kriminalisiert.

Dass die Green Economy vor allem eine Verlagerung, keinesfalls aber die Ablösung neoliberaler Politik ist, wird in dem Buch mehr als deutlich. Aber ist sie auch ein Kolonialismus, wie der Buchtitel behauptet? Zwar ist es sicherlich nicht von der Hand zu weisen, dass die Green Economy, wie Heuwieser betont, „die für den traditionellen Kolonialismus typische Gewaltsamkeit und Aneignung der Reichtümer“ (S. 180) beinhaltet. Allerdings fehlt die bürokratische und pädagogische, auf die Denkweisen gerichtete Struktur, die für historische Kolonialismen kennzeichnend war und die die Ausbeutung von Ressourcen und Arbeitskraft stets flankierte.

Trotz dieses begrifflichen Einwandes ist es überzeugend, dass Heuwieser ihre Forschung im Rahmen der dekolonialistischen Theorie verortet. Diese zielt schließlich nicht nur auf die kolonialen Muster, die die Zeit überdauert haben. Es geht ihr in der Form der auch von Heuwieser für sich proklamierten „Aktionsforschung“ um einen partizipativen Prozess, in den die vermeintlichen Objekte der Forschung, Basisbewegungen und Widerstandsgruppen, mit einbezogen werden. Heuwieser legt damit eine für den deutschsprachigen Raum nach wie vor unüblich engagierte Studie vor, die wie zuletzt etwa Luz Kerkelings Buch zu indigenem Widerstand in Süd-Mexiko („Resistencia!“, Münster 2013) zugleich offen parteiisch und wissenschaftlich korrekt ist. Darüber hinaus kann Heuwiesers Buch mit seinem historischen Überblick und den vielen übersichtlichen Faktenkästen jeden Anspruch darauf erheben, als neues Hondurashandbuch zu gelten.