„Blut und Spiele“ heißt der zweite Roman in deutscher Übersetzung des (aus Norditalien stammenden) argentinischen Autors Antonio Dal Masetto. Das spannende Buch kann als Fortsetzung des ebenso spannenden Erstlingswerks, „Noch eine Nacht“ (Besprechung in ila 297), das ebenfalls im vergangenen Jahr im Züricher Rotpunktverlag erschien, angesehen werden. Der Leser kehrt zurück nach Bosque, diesmal allerdings mitten im nebligen Winter, während die Kleinstadt damals im Sommer einem Glutofen glich. Erneut kommen die Abgründe des idyllisch scheinenden Kleinstadtlebens zum Vorschein, und schon bald geht es hoch her in jenem argentinischen Twin Peaks.

Noch einmal geht es um jene grausame kollektive Hetzjagd, die in Bosque stattfand, nachdem vier Fremde die örtliche Bank überfallen und vergeblich versucht hatten, mit ihrer Beute aus dem Ort zu entkommen. Ein Polizist hatte auf sie geschossen und einen Autoreifen getroffen, so dass sie einen anderen Fluchtwagen organisieren mussten. Die Bevölkerung war gewarnt und hatte so Zeit gefunden, die beiden einzigen Ortsausgänge zu blockieren. Fast alle beteiligten sich an der Jagd, die bis in die Nacht gedauert hatte. So war Bosque für die vier Fremden zu einer tödlichen Falle geworden. Auch vier Dorfbewohner fanden damals inmitten einer Orgie der Gewalt den Tod.

In „Blut und Spiele“, im Original heißt der Roman schlicht „Bosque“, kommt der Protagonist Muto in die Kleinstadt, nachdem er im Wartezimmer seines Zahnarztes in Buenos Aires in einem Revolverblatt einen Bericht über die Ereignisse gelesen hatte und dabei über den Namen seines alten Feindes Dante Arditi gestolpert war. Dieser hatte ihm vor Jahren die Frau ausgespannt und war, so stand es in dem Bericht, als einer der Bankräuber von dem aufgestachelten Mob in Bosque zu Tode gehetzt worden. Mutos Neugierde ist geweckt, er will den Ort sehen, wo sein Feind von einem Pick up an einer Friedhofsmauer zerquetscht wurde. Den Dorfbewohnern stellt sich Muto unter falschem Namen als Drehbuchautor aus Buenos Aires vor. Die Ereignisse von Bosque sollen verfilmt werden, alle, die darin eine Rolle gespielt hatten, könnten als Laienschauspieler engagiert werden. Umfangreiche Nachforschungen über den Banküberfall und die sich anschließende Verfolgungsjagd seien notwendig. Er lässt sich die Geschehnisse von verschiedenen Personen berichten. So lässt Dal Masetto sie also nochmals unter unterschiedlichen Perspektiven Revue passieren, wobei der Leser immer neue Einzelheiten und Deutungen kennen lernt.
 
Doch auch in der Gegenwart kommt es wieder zu unglaublichen Ereignissen. Kleinere Vorfälle wie das Abschlachten eines Kalbes auf einem rollenden Viehwaggon, das Ab-fackeln eines Autos auf der Bundesstraße oder das Autowettrennen auf einer einsamen Landstraße dienen eher der Ausschmückung und Umrahmung der eigentlichen Handlung und scheinen der Vorliebe des Autors für das Kino geschuldet. Darüber hinaus aber erlebt Bosque wieder grausame Mord- und Todesfälle, hinterhältige Intrigen werden gesponnen und ein zweiter Bankraub findet statt. Dabei löst der Autor nicht alle Rätsel auf, manche Fragen bleiben unbeantwortet, etwa die, wer Claudia Legarrete, jene nackte Tote im Bett des dicken Agroingenieurs Zamudio, auf dem Gewissen hat oder welches Schicksal Varinis Schlägerbande für den ehemaligen Priester und seine Geliebte vorgesehen hat.

Die meisten Personen, zum Teil höchst skurrile und groteske Charaktere, sind dem Leser bereits aus dem ersten Roman bekannt. Er kennt ihre Spleens und Marotten, eben den dicken, nunmehr nach einem Unfall an den Rollstuhl gefesselten Zamudio mit seiner Vorliebe für die Großwildjagd, den Bankdirektor mit seiner Zinnsoldatensammlung, der die Schlacht von Waterloo im Miniaturformat nachspielt, die nymphomanische Schuldirektorin und ihr seltsames Verhältnis zu ihrem minderjährigen Neffen sowie insbesondere den zu allem fähigen Anwalt Varini, der seine Frau auf dem Gewissen hat, das halbe Dorf manipuliert und „seine Jungs“ immer wieder zu üblen Späßen aufhetzt. In „Blut und Spiele“ manipuliert er den tumben Juan, stachelt ihn zum Mord an seinem Geschäftspartner auf, so wie seine Tochter Leda den verrückten Pedro manipuliert und ihn als Mordwaffe gegen ihren Vater einsetzt.

Meisterhaft wird der Leser in die Irre geführt, durch eine perfekt aufgebaute, spannende Story an die Handlung gefesselt und schließlich durch eine überraschende Auflösung des Geschehens wieder in den Alltag entlassen. Dabei legt der Autor unzählige Fährten für weitere Handlungsstränge, an denen weiter gesponnen werden kann. Der Roman schreit also geradezu nach einer Fortsetzung und, wie bereits „Noch eine Nacht“, nach Verfilmung. Denn auch „Blut und Spiele“ strotzt von filmtechnischen Elementen, lebt von seinen Dialogen, überzeugt durch seine konzise Sprache, die einem raschen Fortschreiten der Handlung nicht im Wege steht. Dal Masettos zweiter Roman macht wieder Lust auf mehr. Zugleich zeigt er klipp und klar, dass der Autor zu den wirklich großen zeitgenössischen Erzählern Argentiniens gehört. 

Antonio Dal Masetto, Blut und Spiele, Rotpunktverlag, Zürich 2006, 230 Seiten, 19,80 Euro