Der 19. Juli 1979 ist lange her. Wer heute so alt ist wie diejenigen, die von diesem Tag an ihre Rucksäcke packten, um eine „ganz andere Revolution“ zu unterstützen, weiß allermeistens nicht einmal mehr mit dem Datum etwas anzufangen. Dabei hatten sich nach jenem Donnerstag, als die SandinistInnen in Managua einmarschierten, allein aus der BRD rund 15.000 Freiwillige aus etwa 400 Solidaritätskomitees aufgemacht, um als BrigadistInnen Aufbauhilfe in einem zentralamerikanischen Land zu leisten, das auch, aber nicht nur Projektionsfläche für Veränderungswünsche junger oder jung gebliebener Menschen in einem wandlungsunwilligen Westen war.
Vergessen und vorbei? Nicht wirklich. Der große Zulauf, den die im Folgenden gelobte Nicaraguakonferenz im Oktober 2012 hatte, zeigt, dass es auch heute eine generationenübergreifende Solidarität mit Nicaragua gibt. Unter anderen Vorzeichen als damals und das ist gut und wichtig so.
Nicht dabei gewesen? Kein Problem. Wer im letztjährigen Oktober in Wuppertal nicht mitdiskutieren konnte, kann sich nun mithilfe des nahua scripts 15 in die Debatte einklinken. Die stand unter dem Titel „Solidarität heute und morgen. Perspektiven gegenseitiger Unterstützung“. Konferenzüberschriften entgehen selten der Verklausulierung. Die Praxis, will sagen die Debatten in Wuppertal, war(en) viel saftiger.
Das erste Kapitel des Readers ist dem Thema Gewalt gegen Frauen gewidmet. Das ist eine klare politische Aussage und Absage an Zeiten, in denen ein zentralamerikanischer Machismo auch von der Solibewegung als Randproblem wahrgenommen wurde. Kirsten Clodius von der Christlichen Initiative Romero hat die wesentlichen Fakten und Positionen zusammengestellt. Sexuelle Gerwalt gegenüber Frauen, bis hin zu ihrer schlimmsten Form, dem Feminizid (Frauenmord), ist auch in Nicaragua nicht die Ausnahme, sondern Alltagserfahrung, Tendez steigend.
Zwischen 2006 und 2011 nahmen Anzeigen von Gewaltfällen von bereits hohem Niveau noch um weitere 55 Prozent zu. Weitgehende Straflosigkeit und die verbreitete Meinung, es handele sich um Kavaliersdelikte, oder innerhäusliche Gewalt gehe die Außenwelt nichts an, wirken geradezu als Stimulanzien. Die unheilige Allianz zwischen regierender FSLN und der katholischen Kirchenhierarchie führt zudem zu einer irrwitzigen Haltung Abtreibungen und Abtreibenden gegenüber, die selbst im Fall von Vergewaltigung als kriminell verfolgt und verurteilt werden, während Vergewaltiger nicht wirklich mit Strafe rechnen müssen. Frauengruppen, die in diesem Bereich arbeiten, sehen sich verleumdet und bedroht. Die wenigen Gesetze, die Gewalt gegen Frauen eindämmen sollen, greifen kaum.
„Aufbruch in Abhängigkeiten“ ist der vielsagende Titel des von Klaus Heß vom Infobüro zusammengefassten Kapitels zur Wirtschaftspolitik in Nicaragua. Wo Wachstum über Weltmarktintegration eines kaum über irgendwelche Industrie verfügenden Landes erreicht werden soll, kann der Weg nur über die Ausplünderung von Naturressourcen und Weltmarktfabriken mit gering qualifizierten Arbeitsrkäften erfolgen. Nach einer Betrachtung der Lage im Land geht es um die internationalen Handelsbeziehungen und insbesondere um das Assoziationsabkommen zwischen Zentralamerika und der EU. Dessen Kern ist ein Freihandelsabkommen, welches die nationalen Wirtschaftsgesetze in den kommenden Jahren stärker liberalisiert, als es im Freihandelsabkommen Zentralamerikas mit den USA der Fall ist. Die Hoffnung, das Freihandelsabkommen noch zu stoppen, hat sich seit dem Kongress zerschlagen. Im Dezember 2012 stimmte das Europaparlament dem Abkommen zu, einige Monate später Bundestag und Bundesrat. Nicaragua war ärgerlichweise das erste Land Zentralamerikas, das das Abkommen ratifizierte. Seit dem 1. August 2013 ist es provisorisch in Kraft.
Wie aus der Abhängigkeit vom Export herauszukommen wäre, fragt das Kapitel zu ländlicher Entwicklung und kleinbäuerlichen Strukuren, „Bessere Lebensperspektiven auf dem Land“, von Rudi Kunz. Es ist gefolgt von einem ergänzenden Beitrag der nicaraguanischen Menschenrechtsaktivistin Martha Flores zu Umwelt und Klimawandel sowie von Heinz Reinke zu Zuckerrohr und Agrosprit. In diesem wie auch im letzten, wiederum von Klaus Heß betreuten Kapitel geht es um Solidaritätsarbeit heute. Was die nicaraguanischen Gäste und deutschen Panelverantwortlichen dazu meinten, ist am Schluss zu lesen. Mir gefällt die Formulierung, hinzugucken, wenn „den einen … die Butter vom Brot genommen (wird, und) … die anderen häufen sie an“. Danke Rudi. So isses irgendwie.
Informationsbüro Nicaragua e.V. (Hrsg.): Solidarität heute und morgen. Perspektiven gegenseitiger Unterstützung. Themen der Nicaraguakonferenz. Wuppertal, nahua script 15, 2013, 26 Seiten, 5,- Euro