Das Infobüro ist einer der ältesten Zusammenhänge aus der Solibewegung mit Nicaragua, es ist schon vor der Revolution 1979 entstanden – wie waren die Anfänge des Büros?
Klaus: Die ersten Aktivitäten liefen zum Sturz der Somoza-Diktatur und im Hinblick auf die Forderung an die Regierung der Bundesrepublik, die diplomatischen Beziehungen zu Nicaragua abzubrechen. Die Gruppe gründete sich 1977. Den Kern bildeten einerseits die in Deutschland lebenden Nica-Studenten, andererseits Enrique Schmidt Cuadra, Hermann Schulz und andere. Die Gruppe wollte unabhängig von der literarischen Schiene um Ernesto Cardenal, der zu der Zeit hier sehr präsent war, Solidaritätsarbeit leisten. Auch in anderen deutschen Städten entstanden schnell Gruppen. Es gab ein gemeinsames Periodikum, die „Nicaragua-Nachrichten“, das vom Wuppertaler Büro herausgegeben wurde. Schnell zeichnete sich ein Dualismus ab, der sich bis in die 90er Jahre hineingezogen hat: Das Infobüro war sowohl eine eigenständige politische Gruppe als auch eine Koordinationsstelle.
Wie ist es dazu gekommen, dass das Büro eine so zentrale Stelle einnahm?
Klaus: Die ersten vier Soligruppen in Deutschland hatten das so vereinbart, weil in Wuppertal Personen tätig waren, die gute Kontakte zur Befreiungsbewegung hatten, wie Enrique Schmidt Cuadra. Das Infobüro hatte sich entsprechende infrastrukturelle Einrichtungen angeschafft, wie das Telex, ein wichtiges Kommunikationsmedium, ein riesiger Kasten, wo man Löcher in ein endlos langes Band gestanzt hat, das kann sich heute keiner mehr vorstellen! Aber es war eine wichtige Kommunikationsstruktur für die ganze Bewegung in Deutschland.
Die Anzahl der Gruppen hat nach dem Triumph 1979 enorm zugenommen, es waren mehrere hundert. Es gab Bundestreffen, die mindestens zweimal im Jahr stattfanden, und Rundbriefe als internes Kommunikations- und Koordinationsmittel.
Wie war euer Selbstverständnis in den ersten Jahren? Was war wichtiger: der Kampf hier oder dort?
Klaus: Wir haben uns oft in Widersprüchen bewegt: zwischen der Ländersolidarität im Sinne von politischer und materieller Unterstützung, die erfolgreicher ist als im eigenem Land, aber auch die entsprechenden Deformationen aufweist – karitativ tätig sein, Projektionen, Paternalismus, Eurozentrismus – und andererseits der Position, dass es gar keinen Sinn ergibt, eine Bewegung in Form von Ländersolidarität zu unterstützen, sondern dass die Kämpfe hier in der Bundesrepublik entscheidend sind: Erst wenn ausbeuterische Strukturen im eigenen Land bekämpft werden und der Weltkapitalismus hier gestürzt worden ist, ist die Voraussetzung gegeben, in der Dritten Welt etwas zu bewegen.
Wir haben uns immer in diesem Dualismus bewegt, haben gesagt, wir müssen das Eine tun, ohne das Andere zu lassen. Wir haben uns abgegrenzt von einer klassischen Ländersolidarität, die man zugespitzt als Freundschaftsgesellschaft bezeichnen könnte, aber auch von einem verkürzten Antiimperialismus, der sagt, es ergibt überhaupt keinen Sinn, eine solche fachlich unterstützte Solidaritätsarbeit zu machen, die auch das von einer Revolution Erreichte absichert. Wir haben uns immer von beiden Seiten aus angreifbar gemacht – bewusst.
Wie habt ihr das in der konkreten Bündnispolitik umgesetzt, gerade als Koordinationsgremium – es gab doch sicher auch Solikomitees, die nicht eure Positionen teilten?
Klaus: Wir haben unsere eigenen Positionen erarbeitet und auf Bundestreffen eingebracht. Das konnte man bei allen praktischen Kampagnen festmachen, bei der Arbeitsbrigadenkampagne z.B. gab es nicht wenige Leute, die gesagt haben, die Politik ist falsch: „Ihr zieht die Leute ab“, die man hier besser brauchen könnte, um z.B. die Raketenstationierung zu verhindern. Wir haben immer versucht, die Arbeitsbrigadenkampagne auch in einen bundesdeutschen Kontext zu stellen: Wir haben gesagt, die müssen nicht dort möglichst viele Kaffeebohnen ernten, sondern die müssen nach ihrer Rückkehr Öffentlichkeitsarbeit machen, über das, was Imperialismus und US-Intervention bedeutet oder was die Bundesregierung macht, wenn sie die 40 Millionen bereits bewilligter Entwicklungshilfegelder nicht auszahlt. Das ist dann allerdings nicht immer passiert. Um diesen Anspruch gab es stets Diskussionen. In den Brigaden und Projekten gab es auch Leute, die einiges anders sahen als wir, die z.B. gesagt haben: „Das ist mein Projekt, das so und so zu laufen hat, alles andere ist uns egal.“ Eine Kollegin von uns hat z.B. in einer Untersuchung herausgefunden, dass von der nicaraguanischen Bevölkerung unsere Solidaritätsarbeit häufig gar nicht von der offiziellen Entwicklungshilfe unterschieden werden konnte!
Annette: Von der Innendarstellung ist es sicherlich so, wie Klaus es sagt, von außen wird es noch mal anders wahrgenommen. In der Zeit wurde ja sehr oft an das Infobüro der Vorwurf gerichtet, Kaderpolitik zu betreiben. In dem Augenblick, wo man Knotenpunkt einer Solidaritätsbewegung ist, findet eine Machtkonzentration statt. Die besseren Zugänge, die schnelleren Verständigungswege und die hauptamtliche Struktur wurden genutzt, um die eigene Politik durchzudrücken – nach innen und nach außen. Das löste auch innerhalb des Büros Diskussionen aus, weshalb Leute u.a. das Büro verlassen haben.
Klaus: Jetzt sind wir schon zehn Jahre weiter, bei der Organisationskritik und bei der Verschiebung der Machtverhältnisse. Nach dem Verlust der Regierungsmacht der FSLN haben wir solche Prozesse aufgearbeitet, die uns vorher nicht so einfach fielen. Machtverhältnisse, die sich in und durch Organisationen oder NGOs zementieren, das war auch zentrales Thema eines BUKO-Kongresses in Wuppertal. Dabei haben wir auch einiges gelernt aus unserer Auseinandersetzung mit dem, was in der FSLN passiert ist.
Annette: Vor allem durch das, was die Frauen der FSLN angestoßen haben, die schon 1985/86 die hierarchischen Strukturen, die undemokratische Entscheidungsfindung, die mangelnde Diskussionskultur und den gallo machismo (gallo = Gockel) innerhalb der FSLN kritisiert haben. So hat sich 1992 ein Frauenbüro innerhalb des Infobüros etabliert und neue Diskussionen ins Büro gebracht. Das wurde dann Mitte der 90er Jahre umgewandelt in eine „Querschnittsaufgabe“, die wir wiederum bald in „Querschnittslähmung“ umbenannten: Die Themen des Frauenbüros wurden zu allgemeinen Themen. Das Problem ist ja, wenn diese Themen nicht explizit eingebracht werden, werden sie zwar additiv mitgenannt, aber nicht mehr zentral durchdacht.
1982 gab es einen Bruch, wodurch kam er zustande?
Klaus: Ulla würde sagen, das Infobüro zeichnet sich dadurch aus, dass es in seiner ganzen Geschichte permanent Brüche gab und dass das Büro dauernd in der Krise ist. Das ist in der Tat so und hat auch was Produktives.
Wenn man die Rundbriefe durchliest, wird einem deutlich, was für schwierige Zeiten wir durchgemacht haben. Wie oft haben wir geschrieben, dass das Infobüro aus dem letzten Loch pfeift. Unser letzter Öffnungsprozess war 1997, da sah es für uns ganz dramatisch aus. Mit der Öffnung wollten wir eigentlich ganz viele Ehrenamtliche gewinnen und es endete damit, dass auf einmal ganz viele Hauptamtliche da waren. Deshalb würde ich 1982 gar nicht als markanten Bruch identifizieren. Damals war es einerseits ein Streit zwischen haupt- und ehrenamtlicher Struktur, also über die Frage, ob das Infobüro eher eine politische Gruppe sein soll oder eine professionelle Einrichtung, die Öffentlichkeitsarbeit auf hohem Niveau macht, mit einem eigenen Verlag, mit Spendenakquise etc. Die Personen, die für die politische Gruppe standen, haben letztlich gewonnen, aber dann daraus etwas Professionelles gemacht!
Annette: Dazu kam der Konflikt zwischen der sog. Praxisfraktion und der TheoretikerInnenfraktion sowie Fragen der Finanzierung. Früher gab es einen kollektiven Einheitslohn, der nach Bedürfnissen ausgezahlt wurde, was bedeutete, dass wir uns mindestens zwei Mal im Jahr in unendlich langen Bedürfnisdiskussionen ergingen, was ganz furchtbar war! Nach dem Bruch 1997 gingen dieses Kollektiv und die kollektive Absicherung zu Ende.
Judith: Diese Diskussion zieht sich bis heute durch: Begreifen wir uns als Kollektiv? Wahrscheinlich müssten wir erst klären, was wir unter einem Kollektiv verstehen. Ich würde aber so weit gehen und sagen, wir sind nach wie vor ein Kollektiv. Wir arbeiten in kollektiver Struktur zusammen, tragen kollektiv Verantwortung und kümmern uns um die Jobsicherung – was nicht heißt, dass es gar keine Hierarchien gibt.
Nochmal zu Nicaragua – wie sah euer Verhältnis praktisch aus, seid ihr z.B. regelmäßig nach Nicaragua gefahren?
Klaus: In den 80ern hatte unser offizielles Gegenüber bei den SandinistInnen, die DRI (Abteilung für internationale Beziehungen), ein recht quadratisches Verständnis davon, was die Aufgabe der Solidaritätsbewegung ist – zugespitzt etwa wie eine Freundschaftsgesellschaft, die ihre Außenpolitik absichern soll. Die Außenpolitik bestand darin, die Sozialdemokratie einzubinden, die Blockade Nicaraguas zu durchbrechen, die Wirtschaftsbeziehungen auszubauen und die Unterstützung gegen den Contra-Krieg zu gewährleisten. Das gipfelte in den drei Positionen der Blockfreiheit, des Parteienpluralismus und der gemischten Wirtschaft, die sie akzeptiert haben wollten. Sie sahen es als unsere Aufgabe an, auf die Sozialdemokratie freundlich einzuwirken. Aber wir verstanden uns ganz anders.
Ulla: Wir hatten immer eine relativ unabhängige Denkweise von der offiziellen Politik der FSLN, auch schon in den 80er Jahren. Die Miskito-Frage1 z.B. ist genau analysiert und auch im Infobüro kontrovers diskutiert worden. Die Umsiedlungs- und Konzentrationspolitik, die sehr rigiden Maßnahmen wurden kritisch gesehen. Es wurden auch Miskito-Positionen veröffentlicht, um die Diskussion zu erweitern.
Klaus: Wir haben immer versucht, die Politik der FSLN zu erklären, haben gesagt, diese Politik ist nicht gut, hier werden Leute vertrieben, haben versucht den Finger in die Wunden zu legen. Aber es gab den Handlungsdruck für die FSLN und wir haben versucht, um Verständnis zu werben: Die Sandinisten haben zwar Fehler gemacht, es gab aber Gründe dafür und ab jetzt machen sie es anders. Sie haben dann im Fall der Miskito auch erkannt, dass sie eine Kolonialisierungspolitik betrieben haben, erst recht, als sich dadurch die Basis für die Contra erweitert hat. Dann haben sie gesagt, so geht es nicht, wir brauchen eine Autonomiepolitik, nicht Selbständigkeit. Wir wollen ein integriertes Land bleiben und wir wollen denen auch „die Entwicklung bringen“ – das kann man weiter kritisieren – aber wir wollen, dass ein Teil der Bodenschätze bei ihnen bleibt, im Rahmen einer nationalen Entwicklung, nicht einer separatistischen. Dementsprechend wurde Mitte der 80er Jahre das Autonomiegesetz verabschiedet, das aber erst – Ironie der Geschichte – 1990 mit den Wahlen umgesetzt worden ist.
Annette: In den 90er Jahren gab es viel Streit, innerhalb der FSLN-Parlamentsfraktion und zwischen den beiden Lagern. In dem Zusammenhang haben wir sehr viel Kritik an dem Diskussionsstil und der mangelnden kohärenten Oppositionspolitik der FSLN geübt, was uns von der FSLN viel Kritik eingebracht hat, aber auch von der Solibewegung. Dazu kam zwischen 1991 und 1996 eine heftige Auseinandersetzung mit der LandarbeiterInnenorganisation ATC. Wir hatten die Kampagne zum Aufkauf der Fincas unterstützt. Die volkseigenen Betriebe, die Fincas, sollten privatisiert, d.h. an die Alteigentümer rückübertragen werden. Wir gingen davon aus, dass die besetzten Betriebe ihre Rechte über die Fincas nicht geltend machen konnten, wenn sie nicht aufgekauft würden. Zudem gab es eine Regierungsofferte, dass – wenn die Gelder bis zu einem Stichtag da sind – die Fincas weit unter ihrem Wert erworben werden konnten. Deshalb haben wir dafür geworben, bis zu dem Stichtag ungefähr 12 Fincas aufzukaufen und zu Gunsten der ArbeiterInnen zu privatisieren. Das ganze lief über die LandarbeiterInnengewerkschaft ATC. Die Gelder sind jedoch veruntreut worden. Gleichzeitig hatten wir das Problem, dass die Kampagne hier noch lief und wir uns mit den Kreditgebern einerseits und dem ATC andererseits auseinandersetzen mussten. Das führte zu heftigen Konflikten, bis hin zu Morddrohungen gegen unseren Vertreter in Nicaragua.
Klaus: Wir dachten, aus diesen aufgekauften Fincas könnten Genossenschaften entstehen. Formaljuristisch wurden aber diese Betriebe auf eine Sociedad, etwa sieben bis acht Leute, übertragen, die sich daran bereichert und die Arbeiter verarscht haben. Als wir dann Gegenkampagnen starteten, haben sie angefangen uns zu bedrohen.
Heute habt ihr ja mit der FSLN nicht mehr so viel am Hut …
Klaus: Die FSLN hat heute auch nicht mehr viel mit dem Sandinismus am Hut!
Welche Marksteine gab es auf dem Weg der Entfremdung von der FSLN?
Annette: Der erste Markstein war der Miskito-Konflikt, der zweite war die Debatte um machismo und Frauenorganisierung, der nächste Markstein war die Frage nach der Führung des Wahlkampfes, die Kritik daran, dass alles auf den gallo Ortega zugeschnitten wurde, der nächste war dann das, was zur Spaltung MRS-FSLN führte – die Parlamentspolitik der FSLN und die Politik, die Ortega von außen betrieb, die Debatte über interne Demokratie und das Selbstverständnis der Partei, dann der ATC-Konflikt, des weiteren der Pakt zwischen Alemán und Ortega, die Vergewaltigung der Stieftochter von Ortega, die ganzen Korruptionsfälle, Ortegas Zustimmung zum Abtreibungsverbot. Viele der theoretischen Momente darin, z.B. über die Frage, wie Organisierung stattfindet, welche Rolle Frauen darin spielen, haben auch hier in der Gruppe Debatten angestoßen.
Ulla: 1997 gab es keine Arbeitskontakte mehr zur FSLN, sondern zu Einzelpersonen, NGOs, Projekten.
Klaus: Aber viele von unseren heutigen Projektpartnern haben ihren politischen Sozialisierungsprozess in dieser Zeit erfahren und in der Abarbeitung mit dem, was passiert ist. Sie verstehen sich heute entweder als die bewuss-ten Sandinisten, haben aber mit der Partei nichts mehr zu tun, oder sie verstehen sich als Dissidenten, die bewusst gegen das agieren, was heute noch FSLN ist – aber alle beziehen sich in irgendeiner Form auf den Sandinismus. Unsere heutigen Ansprechpartner sind aus dem LandarbeiterInnenbereich, die aus den besetzten Betrieben entstanden sind, alternative Produktionsgruppen, Frauengruppen – aus dem feministischen Bereich, aber auch Landarbeiterinnen, Frauen im Produktionsbereich oder städtische Frauengruppen, die in barrios mit Jugendlichen arbeiten – unabhängige Menschenrechtsorganisationen wie CENIDH und Theoriegruppen.
Unser Projektbegriff bezieht sich nicht mehr darauf, dass wir irgendwohin Geld liefern, sondern ein Projekt heißt für uns Austausch, d.h., dass die von uns und wir von denen lernen. Dazu gehört, dass man sich in seinen Zielsetzungen unterstützt.
Judith: Wobei ich das sehr idealtypisch finde, wie du das gerade beschreibst, ich wünsche mir manchmal, dass es so wäre! Ich habe das Gefühl, dass im Alltag der Austauschaspekt eher hinten runter fällt, neben dem organisatorischen Aufwand, dem Geld beschaffen, dem Anträge abrechnen etc.
Klaus: Wobei ich rückblickend sagen kann, dass die Berichte, die wir heute bekommen, um Nummern besser sind als das, was wir vor zehn Jahren bekommen haben. Was die Frauenorganisationen uns schreiben, warum sie bestimmte Schulungs- oder Bildungs-Workshops machen, entspricht eher einem Austauschverständnis als die formalen Spendenverwendungsberichte von früher.
Der Austauschgedanke ist doch erst im Laufe der Zeit gekommen – in den 80ern sind viele nach Nicaragua gefahren, ohne die Sprache zu können, und die Ziele der Solidarität waren politisch sehr hoch gesteckt.
Ulla: Viele begeisterte Menschen sind nach Nicaragua gefahren, ohne dass sie ausreichend Zeit hatten Spanisch zu lernen. Heute stellen wir jedoch eher den Austausch in den Vordergrund. Das schönste Beispiel ist eine Projektreise 1999 nach Nicaragua, in deren Anschluss wir ein Seminar zu Verschuldung veranstaltet haben, mit verschiedenen Arbeitskreisen und Workshops, wo ein gleichberechtigter Austausch stattfinden konnte.
Judith: Es fand tatsächlich ein Austausch zwischen Landfrauen und Akademikerinnen aus der Stadt statt.
Aber wie hat das in den 80ern funktioniert, wenn nur sehr wenige wirklich Spanisch konnten?
Klaus: Wenn die Zielsetzung für die Brigadenkampagne lautet, dass sie ihren Schwerpunkt in der Bundesrepublik hat, dann war das richtig so. Wenn also das Hauptziel nicht war, in Nicaragua zu wirken, auf so einer Völkerverständigungsebene, sondern symbolisch, als Schutzschild gegen die Invasionspolitik, dass aber der Haupteffekt hinterher hier in der Bundesrepublik liegen sollte – dann hat auch die Sprache einen nicht so hohen Stellenwert, dann reichen drei Dolmetscher in der Gruppe. Wenn ich aber die Zielsetzung im Austausch sehe, dann muss die Sprachfertigkeit natürlich vorhanden sein.
Andererseits: Wir hatten gerade in Münster das 20jährige Treffen von einer Arbeitsbrigade. Von den damals 30 waren fast alle da und die haben rund um die Uhr gesagt, sie hätten es alle viel besser gefunden, wenn sie damals Spanisch gekonnt hätten.
Judith: Ich frage mich gerade, wie ich Bildungsarbeit in Deutschland mache, wenn ich aus Nicaragua zurück komme, wo ich mich mit keinem Menschen richtig unterhalten konnte.
Klaus: Da gab es ja ÜbersetzerInnen …
Annette: Die Sprache war immer ein Konfliktpunkt, wer spricht Spanisch, wer hat dadurch einen anderen Blick auf die Vorkommnisse in Nicaragua und muss dann manchmal Dinge vermitteln, die hier nicht so gerne wahrgenommen werden. Einmal waren wir sogar an dem Punkt angelangt, das Büro umzubenennen, da nur noch eine Minderheit einen Nicaragua-Bezug hatte, was sich auch entlang der Sprachkenntnisse festmachte.
Klaus: Es gab auch Stellenausschreibungen, wo wir explizit jemanden mit Spanischkenntnissen gesucht haben. Es ist richtig, dass das immer ein Problem gewesen ist, aber diesen Konflikt muss man aushalten. Das ist der gleiche Konflikt wie um den Schwerpunkt der Solibewegung – ist es eine primär auf Nicaragua bezogene Ländersolidarität oder ist es eine, die primär in der Umsetzung hier agiert. Und deshalb muss ich auch mit Leuten zusammen politisch arbeiten, für die es nicht prioritär ist, Spanisch zu sprechen.
Und wie sieht es umgekehrt aus, Arbeit mit Latin@s im Büro?
Annette: Hier gab es nie sehr viele Latin@s, zwei Chileninnen und ein paar Ehrenamtliche.
Die erweiterten Themenfelder des Infobüros sind in den 90er Jahren entstanden?
Annette: Das Thema „Perspektiven des Internationalismus“ hat 1992 mit der Veröffentlichung „Odranoel – die Linke zwischen den Welten“ angefangen, dann 1994 „Ya Basta“, die erste Buchveröffentlichung zu den Zapatistas; im Rahmen des BUKO 1995 haben wir eine Stellungnahme zum Wuppertal-Institut und ihrem TechnokratInnenmärchen vom nachhaltigen Wirtschaften verfasst; dann haben wir viel zur Kritik des Entwicklungsdenkens gemacht. Die Lokale Agenda-Thematik kam noch hinzu, und Antirassismus, wozu wir ebenso eine Buchveröffentlichung hatten.
Wo verortet ihr euch heute in der linken Szene?
Klaus: Wir verorten uns zwischen Ländersolidarität und globalisierungskritischer Bewegung, machen also keine Ländersolidarität im alten Sinne mehr, haben aber eine länderspezifische Kompetenz. Wir machen mit bei der BUKO und beim Wuppertaler Sozialforum.
Judith: Aktuell ergeben sich über die persönlichen Bezüge der Infobüro-MitarbeiterInnen, die gleichzeitig in anderen Zusammenhängen stehen, Kontakte und ein Austausch von Diskussions-Inputs. Ich habe z.B. den Anspruch, dass internationalistische Perspektiven in die Debatten um Sozialkahlschlag einfließen.
Klaus: Um die Themenliste des Infobüros zu komplettieren, müssen noch Freihandel und EU-Osterweiterung genannt werden.
Was sagt ihr zur Kritik, das Infobüro hätte sich durch seine hauptamtliche Struktur zu einer NGO entwickelt?
Klaus: Wir bewegen uns stets in Widersprüchen und da ist NGOisierung nur einer davon.