Nur Menschen vom energischsten Charakter und abenteuerlichsten Sinne

Während der ersten größeren Auswanderungswelle aus Deutschland ab 1816/17 zog es nur wenige Menschen nach Zentralamerika. Hübner weist darauf hin, dass die damals existierenden Reiseberichte nicht geeignet waren, „Deutsche ernsthaft für einen Besuch oder gar eine Auswanderung in den entlegenen Erdwinkel zu bewegen“. Hübner nennt Reisende, die El Salvador aus eigener Anschauung kennenlernten, darunter einige, die an den Aufständen von 1848 teilnahmen und nach deren Niederschlagung nach Nord- oder Südamerika flohen. Einer von ihnen, Julius Fröbel, Neffe des Pädagogen Friedrich Fröbel, kam zu dem Schluss, dass „nur Menschen vom energischsten Charakter und vom abenteuerlichsten Sinne als Einwanderer hier ihre Rechnung finden“.

Für die Zeit von der Jahrhundertwende bis in die 1960er-Jahre stellt Hübner Reiseschriftsteller, Forscher und Maler vor, die zum Teil Nationalsozialisten waren, etwa Max Vollmberg, der einige Zeit in El Salvador lebte. Vermutlich hat dieser Josef Goebbels portraitiert, denn dieser notierte laut Hübner: „Dem Maler Vollmberg und dem Bildhauer Breker Modell gesessen. Sie leisten etwas.“[fn] Der Maler und Grafiker Max Vollmberg (*1882) reiste zwischen 1912 und 1930 auf Einladung des guatemaltekischen Konsuls fast 15 Jahre lang malend, zeichnend und fotografierend durch El Salvador, Guatemala und Mexiko. Als Todesjahr Vollmbergs wurde bisher 1930 angegeben. In einer seiner Publikationen sind die Illustrationen aber mit „1931“ signiert. Im Oktober 1932 oder später soll er Joseph Goebbels porträtiert haben.[/fn] Auf der anderen Seite lernen wir Hans Helfritz kennen, der in den 1950er-Jahren Mittelamerika bereiste und wegen seiner Homosexualität und seiner politischen Haltung 1939 fliehen musste.

Erfolgsgeschichte in der Landwirtschaft

„An der deutschen Gesamtauswanderung fiel Zentralamerika praktisch nicht ins Gewicht, was umso mehr noch für El Salvador galt“, stellt der Autor fest. Hübner nennt als Hauptgründe für die deutsche Zurückhaltung die geringe Menge verfügbaren Landes und die isolierte Lage am Pazifik. Die salvadorianischen Regierungen wiederum hatten Interesse an der Einwanderung kapitalkräftiger Europäer mit entsprechenden Berufserfahrungen und Ausrüstungen, um die Wirtschaft anzukurbeln. „Als 1858 das erste preußische Konsulat in San Salvador eröffnet wurde, gab es dort ‚ein paar‘ Deutsche. Der erste namentlich genannte Deutsche in El Salvador suchte in der Landwirtschaft sein Glück: Walter Bogen.“ Auf die Familie Bogen-Deininger geht der Autor ausführlich ein, nicht zuletzt, weil ihm mit dem Buch „Ein Bogen von Preußen nach Mittelamerika. Die Geschichte El Salvadors und die Chronik der Familie Bogen-Deininger bis 1952“ von Gerd Jaspersen aus dem Deininger-Clan eine umfangreiche Quelle zur Verfügung stand. Die Geschichte beginnt mit den vier Söhnen des Kaufmanns Johann Louis Bogen. Der Älteste, Walter, bewirtschaftete im Jahre 1854 eine kleine Hacienda in der Nähe von San Salvador. Als die Hauptstadt San Salvador nach dem großen Erdbeben von 1854 an anderer Stelle wieder aufgebaut werden sollte, wurde Walter Bogen in die zuständige Regierungskommission berufen. Francis Bogen kaufte um 1863 ein erstes Terrain in der Nähe der Hacienda seines Bruders Walter, auf dem er Zuckerrohr anbaute. Weitere Landkäufe kamen hinzu, wobei Francis Bogen dem Zuckerrohranbau treu blieb. Im Jahr 1877 holte Francis seinen Neffen Fedor Deininger nach El Salvador und betraute ihn mit der Leitung eines neuen Ingenios (Zuckerfabrik). Der junge Deininger zerstritt sich mit seinem Onkel, wurde Verwalter eines anderen Ingenios und stieg in das Kaffeegeschäft ein: indem er Kaffee-Fincas aufkaufte, einschließlich die seines Onkels Francis Bogen. Hübner resümiert: „Weitere Ankäufe ließen Deininger schließlich zu einem der ‚14‘ werden, den größten Landeigentümern El Salvadors.“ Und fährt fort: „Das Unternehmen wurde nach Fedors Tod 1911 durch dessen Sohn Walter (Thilo) weitergeführt. Walter ist heute wegen seiner umfangreichen Stiftungen in den Bereichen Erziehung, Gesundheit, Kirche und Ökologie von Bedeutung. Nach Walters Tod 1968 führen die Nachfahren das Familienunternehmen weiter.“

Elitenwanderung und Aufschwung zum Kaffeeland

Im Gegensatz zu den in Gruppen organisierten „Siedlungs­kolonien“ in Brasilien, Argentinien und Chile handelt es sich bei der deutschen Einwanderung nach El Salvador um eine „Elitenwanderung“ von jungen, starken, arbeitsamen Leuten mit etwas Vermögen, die etwas von Landwirtschaft oder verschiedenen Gewerben verstehen. Zwischen 1880 und 1910 profitierten diese Immigrant*innen von der Abschaffung der Gemeindeländereien in El Salvador: Dadurch wurden Land und Arbeitskräfte für die Kaffeewirtschaft frei. Die Immigrant*innen steuerten das Kapital bei, das man braucht, um die Zeit von der Anpflanzung bis zur ersten Kaffeeernte, etwa drei bis fünf Jahre, zu überbrücken.

Kapitel sechs und sieben befassen sich mit den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen bis 1872 und mit der Blütezeit des deutsch-salvadorianischen Handels, von den 1880er-Jahren bis zum Beginn des Ersten Weltkrieges. Dazu schreibt der Autor: „Das große Problem für den Warenaustausch zwischen Europa und El Salvador war, dass das Land nur Häfen auf der Pazifikseite besaß. Eine Reise um das Kap Horn dauerte ca. ein halbes Jahr.“ Was wurde exportiert? Indigo, Tabak, Balsam, Zucker, Mais, Bohnen, Reis, Kakao, Vanille, „Rhubarber“, Baumwolle, Kaffee, Schmuckhölzer und Edelmetalle. Davon wurden nur Mais und Zuckerrohr in größeren Mengen angebaut. Der Anteil an deutschen Schiffen war freilich gering: „Von insgesamt 69 Schiffen, die zwischen Oktober 1857 und Oktober 1858 in den Häfen El Salvadors einliefen, kamen zwei aus Hamburg und eines aus Bremen.“

Über die Blütezeit des bilateralen Handels schreibt Hübner: „Der Kaffee-Anbau in El Salvador begann seinen Aufstieg ab Mitte der 50er-Jahre des 19. Jahrhunderts. In dieser Zeit, in der El Salvador seinen Aufschwung zum Kaffeeland nimmt, fällt eine zweite Phase deutscher Einwanderung.“ Wer kam? Hübner zählt auf: Arnoldo Gallont, ein Seemann aus dem Elsass, der eine Sprudelfabrik gründete; die Familie Noltenius aus Bremen, die Kaffee und Baumwolle im zentral gelegenen Departamento Usulután anbaute; die Familie Schonemberg, die ebendort in Santiago de María in die heimische Kaffeeelite einheiratete; Albert W. Augspurg, der 1885 die spätere „Banco Salvadoreño“ gründete und Teilhaber der Brauerei „La Constancia“ war; Alexander Porth, der 1905 das „Hotel Nuevo Mundo“ gründete, seinerzeit das modernste und größte von San Salvador. In dieser Blütezeit kam im Durchschnitt der Jahre 1909 bis 1912 ein Neuntel aller salvadorianischen Einfuhren aus Deutschland, während ein Fünftel aller Ausfuhren nach Deutschland ging. In beiden Fällen war das Deutsche Reich nach den USA der wichtigste Handelspartner El Salvadors. Der Erste Weltkrieg unterbrach diese Handelsentwicklung und verschob die Handelsbeziehungen weiter in Richtung Vereinigte Staaten.

Deutsche Besonderheiten

In Kapitel acht widmet sich Hübner einigen deutschen Besonderheiten. Berlín zum Beispiel, im Departamento Usulután gelegen, hieß ursprünglich Agua Caliente und wurde 1885 auf Vorschlag eines Berliners, der einen Schiffbruch überlebt hatte, umbenannt. Oder die Geschichte des deutschen Arztes Herrmann Prowe, der mit dem Schriftsteller Ruben Darío befreundet war, eine Zeit lang in San Salvador praktizierte, in Guatemala den Typhus bekämpfte und 1910 in Amapala auf der honduranischen Insel El Tigre im Golf von Fonseca verstarb. Ein anderer war Paul Preuß, Leiter des botanischen Gartens in Victoria in der deutschen Kolonie Kamerun, der in dieser Eigenschaft eine Expedition nach Mittelamerika unternahm. Von El Salvador nahm er große Mengen an Samen des Perubalsam-Baumes mit nach Berlin und ließ sie in die deutschen Kolonien Togo, Deutsch-Ostafrika, Kamerun und Samoa verschicken.

Das salvadorianische Militär und das öffentliche Bildungs­wesen suchten die Mitarbeit von deutschen Experten und Einwanderern, wie zum Beispiel Mechaniker, Militärkapellmeister, Schulleiter, Ingenieure, Architekten. Umgekehrt gingen Salvadorianer vereinzelt nach Deutschland, um dort zu studieren. Weil die „deutsche Kolonie“ insgesamt klein blieb, passten sich die Eingewanderten eher der salvadorianischen Kultur an. Die Deutsche Schule etwa wurde erst 1965 gegründet.

Öffentliche Feiern zu Hitlers Geburtstag

In Kapitel neun und zehn geht es mit den 1920er- und 1930er-Jahren sowie der Diktatur des Generals Maximiliano Hernández Martínez und dem Zweiten Weltkrieg weiter. Hübner schreibt dazu: „Gegenüber dem nationalsozialistischen Deutschland und dem faschistischen Italien gab es eine positive Stimmung. 1939 gab es in den Straßen öffentliche Feiern anlässlich Hitlers Geburtstag. Mit dem Eintritt der USA in den Krieg im Dezember 1941 und der Loyalitätserklärung El Salvadors für die Nordamerikaner änderte sich die Situation der Deutschen. Die Schwarze Liste nannte die Namen der Bürger der drei Achsenmächte, deren Vermögen eingefroren wurden. Die Deutschen wurden später in Lager in die USA verschickt.“ Und interniert.

Der deutsch-jüdischen Einwanderung, der jüdischen Gemeinde und der Rettung tausender Juden und Jüdinnen durch einen salvadorianischen Diplomaten widmet Hübner mehrere Abschnitte und das ganze Kapitel elf. León Liebes wanderte 1886 ein und gründete mit seinem kalifornischen Kompagnon das Kaufhaus Goldtree-Liebes. Im Jahr 1911 ging er mit seiner Frau nach Hamburg zurück, von wo sie mit Beginn der Hitler-Verfolgung wieder nach El Salvador flohen, wo sie die salvadorianische Staatsbürgerschaft annahmen. Im Jahr 1888 wanderte der Schlesier Felix Mugdan ein. Die Mugdan-Familie gründete die Casa Mugdan, die zu einem der größten Exporteure für Kaffee, Zucker, Indigo, Balsam und Lederwaren wurde und eine Kerzen- und Seifenfabrik betrieb. Weitere deutsch-jüdische Immigrant*innen waren der Schlesier Bruno Hecht, der ein Warenhaus betrieb sowie Kaffee und Kakao anbauen ließ, der aus Krankheitsgründen nach Deutschland zurückkehrte, „wo Bruno dank seines salvadorianischen Passes die Nazi-Diktatur überlebte“ und 1948 nach El Salvador zurückkehrte; die Brüder Levin, die bei Goldtree-Liebes arbeiteten, sowie die Brüder Rosenblum, die Kaffee exportierten sowie Autos und Pianos verkauften. „Die noch heute bedeutende Kaufhauskette Freund“, fährt Hübner fort, „begann 1930, errichtet durch den Oberschlesier Max Freund, der 1923 nach El Salvador ausgewandert war.“ Max Freund heiratete Herta Cohn. Die beiden wollten nach zehn Jahren nach Deutschland zurück, um dort ihre Kinder großzuziehen. Hitlers Machtergreifung durchkreuzte ihre Pläne.

In den 30er-Jahren kam eine Reihe von Juden über familiäre Bande nach El Salvador. Eugen Liebes half dabei unter anderen den Familien Reich und Milner und seinem Neffen Enrique (Heinz) Gutfreund. Ernesto (Ernst) Reich wanderte 1938 über Amsterdam aus, wo er Wilma Bloch kennenlernte, deren Bruder Max mit Enrique Gutfreund befreundet war. Ernesto nahm Wilma gleich mit und holte später Mutter und Schwester nach El Salvador. Susi Traumann kam aus Hamburg, über Prag und London, wo sie den Kaufmann Georg Lewinsky heiratete, nach El Salvador. Georg war schon 1926 ausgewandert, Susi folgte ihm nach der Heirat 1939. Im Jahr 1957 ging die ganze Familie Lewinsky in die USA, wo Georgs Enkelin Monica zu kurzer Berühmtheit gelangen sollte.[fn]Monica Lewinsky war Ende der 1990er zur Amtszeit Bill Clintons Praktikantin im Weißen Haus. Die sexuellen Handlungen zwischen den beiden und Präsident Clintons Falschaussagen vor Gericht hatten ein Amtsenthebungsverfahren und eine innenpolitische Krise zur Folge. [/fn]

Deutsche Nazis und deutsche Juden: für die USA alles Deutsche

Wegen der Verfolgung in Nazi-Deutschland wuchs die kleine jüdisch-deutsche Gemeinde. Die meisten wohnten im wohlhabenden Stadtteil Colonia San Benito von San Salvador. In einem Interview sagte Quique Gutfreund 1981, dass von Antisemitismus nichts zu spüren gewesen sei, man sei, wie andere auch, etwa Palästinenser*innen, als Fremde behandelt worden. Als Diktator Martínez vom Freund der Achsenmächte zum Freund der Alliierten wurde, kamen die deutschen Juden in El Salvador in eine absurde Situation: nach Deutschland zurückzukehren bedeutete den sicheren Tod, in den USA interniert zu werden, war aber auch keine Alternative. Der US-Regierung gelang es in keiner Weise, zwischen deutschen Juden, deutschen Nazis und deutschen Antifaschisten zu differenzieren.

Im elften Kapitel erzählt Hübner von der „Rettung tausender Juden durch einen salvadorianischen Diplomaten“. Oberst José Arturo Castellanos freundete sich schon vor dem Zweiten Weltkrieg mit dem ungarisch-jüdischen Geschäftsmann George Mandel an. Als die Judenverfolgungen begannen, machte Castellanos Mandel zum Honorarkonsul El Salvadors, der schon bald salvadorianische Visa an Juden ausgab. „Als ab 1942 die Ausstellung von Visa nicht mehr ausreichte, begannen Castellanos und Mandel die salvadorianische Staatsangehörigkeit zu verleihen. Insgesamt wird geschätzt, dass zwischen 9000 und 13 000 Visa und Staatsbürgerschaftsurkunden an Juden aus ganz Europa ausgegeben wurden.“

Das letzte Kapital handelt von der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Einen Eindruck von den Veränderungen in den deutsch-salvadorianischen Beziehungen durch den Zweiten Weltkrieg gibt die Liste der Deutschstämmigen unter den 30 größten Kaffeeexporteuren von 1956/57. Waren es 1934/35 noch zehn, angeführt von Goldtree-Liebes auf Platz 2, waren es 1956/57 nur noch fünf, mit Goldtree-Liebes auf Platz 23. Hübner resümiert: „El Salvador als Einwanderungsland jedoch scheint weniger denn je von Interesse. Die Beziehungen werden durch Institutionen, Organisationen und weltweit operierende Firmen strukturiert, deren Personal für einen festgelegten Zeitraum vor Ort arbeitet. Ca. 60 Prozent der Absolventen der Deutschen Schule, die zu 95 Prozent von Salvadorianern besucht wird, gehen inzwischen nach Deutschland zum Studium.“