Wer Menschen in Afrika versklavte und nach Nord- oder Südamerika verschiffte, musste ein (wortwörtlich) vitales Interesse daran haben, möglichst viele von ihnen lebend in den fernen Häfen auf den Märkten an den Mann zu bringen – an die Frau ging schon aus rechtlichen Gründen nicht. Das bedeutete, für eine ausreichende Ernährung zu sorgen. Gleichzeitig sollte die Lebenserhaltung möglichst wenig kosten. Und schließlich durften die Lebensmittel nicht vorzeitig verderben. Eine zentrale Rolle spielten hierbei die Schiffsköche, immer Männer, die selbst oft Sklaven waren und für die Zubereitung der Nahrung auf Sklavinnen aus dem Schiffsbauch zurückgriffen.
Melina Teubner hat 2018 zu dem Thema eine hochgelobte Dissertation[fn]Für ihre Arbeit erhielt Melina Teubner 2020 den Dissertationspreis der „German Labour History Association“, die auch ihren Vortrag „A arte de cozinhar”. Sklavenschiffköche, Ernährung und Diaspora im südlichen Atlantik 1800–1870“ veröffentlicht hat. Die Broschüre (40 S.) kann unter https://www.germanlabourhistory.de/wp-content/uploads/2020/12/Broschur_GLHA_Online.pdf kostenlos heruntergeladen werden.[/fn] vorgelegt. Es geht darin um die möglichst genaue Herausarbeitung, wer die Protagonist*innen dieses überlebenswichtigen Aspektes der Sklaverei und was die Lebensumstände dieser Männer und Frauen waren, somit ist die Arbeit ein wichtiger Beitrag zur Sichtbarmachung der bislang weitestgehend Unbeachteten, Sozialgeschichte von unten mit dem äußerst schwierigen Bemühen, Biographisches über Marginalisierte, die seltenst selbst schreiben, ans Licht zu befördern. Gewählt ist eine klar umrissene Periode und ein Bestimmungsland, nämlich der Übergang von legaler zu illegaler Sklaverei in den ersten zwei Dritteln des 19. Jahrhunderts in Brasilien. Teuber ermittelte 220 Schiffsköche. Auch wenn viele Köche mehrmals den Ozean überquerten, war deren tatsächliche Zahl viel höher, wie sie betont.
Mehr als zwei Millionen Menschen wurden im 19. Jahrhundert versklavt nach Brasilien gebracht. Die brasilianische Elite zögerte zum Erhalt ihrer Plantagenwirtschaft das vom modernen kapitalistischen England vorangetriebene Sklavereiverbot hinaus: 1815/17 wurde der Sklavenhandel südlich des Äquators verboten, 1831 nördlich des Äquators. Trotzdem ging er noch über die Mitte des Jahrhunderts hinaus. Das Verbot des Sklavenbesitzes erfolgte erst 1888.
Die Arbeit Teubners liefert erste Anhaltspunkte zu den Fragen, wer die Ernährungssicherung bis zum Verkauf der Verschleppten in der Hand hatte, wie sie funktionierte und damit, wie die Reproduktion Produktion – die Sklav*innen waren die Ware – überhaupt erst ermöglichte. Denn Reproduzent*innen, die den blinden Fleck in der herkömmlichen Geschichtsschreibung und Ökonomie darstellen, markieren besonders deutlich, was sie sind: absolut unverzichtbar. Das sollte den Blick dafür schärfen, was für Auswirkungen dies für Machtverhältnisse hatte. Tatsächlich hatten die Köche nach Teubner zwar einen sehr niedrigen Rang mit geringer Bezahlung oder waren wie erwähnt oft selbst Sklaven, kamen aber im Prestige eher gleich nach dem Kapitän. Ihre Aufgaben umfassten auch medizinische Aspekte, da in den allermeisten Fällen kein Arzt an Bord war. Sie kochten für die in einem Zwischendeck zusammengepferchten Sklav*innen zweifellos geschmacklosen, aber offenbar hinsichtlich des Kaloriengehalts ausreichenden Brei sowie etwas besseres Essen für die Mannschaften. Für die Kapitäne und ihre Familie gab es auf größeren Schiffen einen zweiten Koch.
Köche waren mobil durch die vielen Schiffspassagen und in den verschiedenen Rebellionen äußerst wichtig. Dass ihr Leben in allen Fällen hart und von Gewalt begleitet war, braucht keine weitere Ausführung.
Einen weiteren interessanten Aspekt, bei dem ein feministischer Blick zu künftiger Forschung fruchtbar gemacht werden kann, deutet Teubner bei ihrer Befassung mit den Essensverkäuferinnen in den Häfen an. Die Schwarzen Verkäuferinnen waren ebenfalls mobil, denn ihr Bewegungs- und Handlungsspielraum unterstand weniger Kontrolle. Viele waren selbstständig, aber es wurden auch Sklavinnen von ihren Besitzern zum Essensverkauf auf die Straße geschickt. Manche nutzten das zur Flucht. Prekäre Wohnverhältnisse machten Essen auf der Straße vielfach notwendig. Das hebt die Bedeutung der sogenannten „Quitandeiras“. Das von ihnen Gekochte und Verkaufte verwandelt afrikanische Rezepte in brasilianische Nationalgerichte, ebenfalls ein Prestigegewinn. Die „Quitandeiras“ bildeten Netzwerke, „Familien“ ohne Blutsbande, damit nichtkapitalistische Verhältnisse, und vererbten untereinander. Die Sklavenschiffsköche verschwanden mit dem Ende der Sklaverei, die Straßenverkäuferinnen existieren fort. 1992 bildeten sie sogar eine eigene Gewerkschaft.
Ernährung, das weithin unbeachtete Thema der Reproduktion, ist in Wirklichkeit ein wesentlicher Ansatzpunkt, Geschichte zu verstehen. Was ich mir für eine weitere Forschung wünsche: Wie war die Beschaffung der Nahrungsmittel für die Schiffe organisiert? Wer bestimmte? Welche Aktionsräume eröffneten sich hierdurch? Wie verschieben sich in der Folge Machtverhältnisse, auch zwischen den Geschlechtern?