Mit ihrem Film Sachamanta (siehe ila 362) haben uns die KameradistInnen einen Einblick in die Bewegung der KleinbäuerInnen im Norden Argentiniens ermöglicht. Die Bauernbewegung MOCASE (Movimiento Campesino de Santiago del Estero) kämpft in der Provinz Santiago del Estero seit 25 Jahren um ihr Recht auf Land. Dieser beharrliche Widerstand gegen die Agrarkonzerne fordert immer wieder große Opfer, aber er verbreitet mit seinen Erfolgen auch Hoffnung. Ende 2012 fuhren die KameradistInnen wieder nach Argentinien. Ergebnis dieser Reise sind zwei neue Filme.
Bei den Vorführungen von Sachamanta in Deutschland hatten die KameradistInnen das Publikum gebeten, ihre Fragen und Kommentare für die BäuerInnen aufzuschreiben. So brachten sie bei ihrem erneuten Besuch den Campesin@s nicht nur den Film mit, sondern auch Leinwände mit Reproduktionen der Briefe. In Schuppen und auf Plätzen wurden mit einem Bettlaken an der Mauer improvisierte Kinos eingerichtet, wo die ProtagonistInnen ihren Film sehen und die Botschaften der Menschen aus Deutschland lesen konnten. Diese teilweise sehr bewegenden Szenen sind in dem Kurzfilm Tincunacuy festgehalten, der auf der Website der KameradistInnen zur Verfügung steht.
Der Film „Ohne Rast. Ohne Eile.“ beginnt mit einer lautstarken Demonstration vor dem Parlament. Die Campesin@s sind in die fast 1000 Kilometer entfernte Hauptstadt Buenos Aires gefahren, um gegen ein Gesetz zur Privatisierung von Saatgut und gegen Landvertreibungen zu protestieren. Sie erinnern mit traurig-wütenden Sprechchören an die ermordeten Compañeros von MOCASE, Cristian Ferreyra (23) und Miguel Galván (40), die in der Auseinandersetzung um den Landraub umgebracht wurden. Die Multis ziehen immer neue Zäune hoch, um sich das angestammte Land der Indigenen anzueignen. Dabei drohen sie mit Schusswaffen und schüchtern selbst Kinder ein, die sich teilweise nicht mehr in die Schule trauen. Zwar gibt es ein Gesetz in Argentinien, dass Land nach 20 Jahren in das Eigentum derjenigen übergeht, die es in dieser Zeit bestellt haben. Da Weiden aber nicht zählen und es in der Gegend nur wenige Häuser und Äcker gibt, ist dieses Gesetz für den traditionellen Besitz der indigenen Gemeinden kein Schutz. Die Campesin@s erwarten nichts mehr von Politik und Justiz. Sie kämpfen selbst gegen die Zäune, um den Vormarsch des Agrobusiness zu stoppen, das sich überall mit seinen Monokulturen von gentechnisch verändertem Soja breit macht. Argentinien ist zu einem Freiluftlabor für Monsanto und Co. geworden. Ihr Pestizid Roundup (Glyphosat), das bei genmanipulierten Pflanzen eingesetzt wird, schädigt menschliche Zellen. Und die Behauptung, dass durch diese Sojaproduktion Ernährungsprobleme gelöst werden könnten, hat die Bewegung längst als Lüge entlarvt. Wo früher Lebensmittel angebaut wurden, wächst jetzt Viehfutter für den Export. Diese Sojapflanzen stillen nur den Hunger des Viehbestandes in den reichen Ländern.
Die Ermordung der Compañeros war ein schwerer Schlag für die Bewegung, aber die tägliche Erinnerung an die Freunde ist auch ein Antrieb, nicht aufzugeben. Die Bewegung ist stärker geworden und bekannter, sie hat über die Landesgrenzen hinaus Kontakte. PraktikantInnen kommen, sind begeistert und bleiben. MOCASE kämpft nicht nur gegen die mächtigsten Konzerne für eine andere Welt. Im Kleinen wird schon an der neuen Welt gebaut. Im Film Sachamanta konnten wir miterleben, wie sich die BäuerInnen mit Radios eine eigene Infrastruktur für Kommunikation aufgebaut und das Radiomachen gelernt haben. Inzwischen haben sie selbstverwaltete Schulen und sogar eine Universität. Der Unterricht ist gratis. Für Erwachsene ohne Schulabschluss gibt es eine Abendschule und die Uni nimmt auf die Arbeitszeiten ihrer StudentInnen aus der Arbeiterklasse Rücksicht. Für Abschlüsse arbeiten sie mit den Unis von Quilmes und La Plata zusammen, aber inhaltlich sind sie autonom. Die Lehre orientiert sich an der Educación Popular, der Bildung von unten, bei der Lehrende zu Lernenden werden und umgekehrt. Von zwei KoordinatorInnen der Seminare kommt jeweils nur eineR aus dem akademischen Bereich. Das Projekt startet mit vier Fächern: Agrarökologie, Land- und Menschenrechte, selbstverwaltete Kommunikation sowie Indigene Kunst und Musik. „Indio“ galt früher als Schimpfwort. Mit der Bewegung haben die Compañer@s einen neuen Bezug zu ihrer Herkunft entwickelt.
Auch in diesem Film gibt es keinen Kommentar von außen, nur die O-Töne der Interviewten, unterlegt oder unterbrochen durch Bilder vom Landleben und von der Demonstration in der Stadt. Die Interviewten werden erst im Abspann vorgestellt, was etwas irritierend, aber im Sinne der Educación Popular stimmig ist: In diesem Kollektiv spielt es keine Rolle, ob jemand Bäuerin, Anwalt oder Biologe ist. Der Film wird im „Schwarmverleih“ verbreitet. Wer eine öffentliche Vorführung organisiert, kann ihn kostenlos bekommen. Empfehlenswert!