„Unten sind ein paar Typen“ nennt sich der neue, mittlerweile dritte Roman des argentinischen Autors Antonio Dal Masetto, der deutschsprachigen LeserInnen bereits durch seine spannenden, im Dorf Bosque angesiedelten Romane ein Begriff ist (Siehe Besprechungen in ila 297 und ila 307). Die hatten Lust gemacht auf weitere Romane aus der Feder des Italo-Argentiniers, und es sei gleich vorweg genommen: Auch der neue Roman, der im spanischsprachigen Original bereits 1998 erschien, hat es wieder in sich. Der/die LeserIn wird das Buch erst wieder aus der Hand legen, wenn er/sie am Ende des Romans angelangt ist.

Die Handlung spielt in Buenos Aires, am Vorabend des Endspiels (Argentinien gegen die Niederlande) der Fußball-Weltmeisterschaft von 1978, auf dem Höhepunkt der brutalen Militärdiktatur Videlas. Wir erinnern uns an die Zeit, als in Europa darüber diskutiert wurde, ob eine WM in einer solch brutalen Diktatur überhaupt stattfinden darf, ob damit nicht das Regime legitimiert wird, als gerade in Deutschland gesagt wurde, der Sport stehe über der Politik und habe damit nichts zu tun. Heute wissen wir, dass die argentinischen Militärs unzählige Menschen folterten und rund 30 000 Menschen beseitigten, ihre Körper aus Flugzeugen in den Atlantik warfen oder an geheimen Orten verscharrten.

Im Juni 1978, in den Tagen vor dem WM-Endspiel stehen unten vor Pablos Haus „ein Paar Typen“ und scheinen etwas oder jemanden zu observieren. Pablo ist Journalist, ein vermeintlich unpolitischer Kolumnist, der glaubt, er habe nichts zu befürchten. Erst allmählich wird dem Protagonisten klar, dass die Observierung ihm gilt, dass die „Typen“ ihn auszuspionieren scheinen. Nach und nach verliert Pablo seine Freunde, ehemals gute Bekannte distanzieren sich von ihm, wollen plötzlich nichts mehr von ihm wissen. Von Kapitel zu Kapitel steigern sich die Spannung und die Bedrohung, wirken die argentinische Hauptstadt und ihre aufgeputschte Atmosphäre beängstigender und beklemmender auf Pablo und seine Freundin Ana. Und der Leser leidet mit. 
„Hast du gesehen, dass die Typen wieder da sind?“
Pablo starrte sie an und spürte, wie sich sein Magen verkrampfte und Übelkeit in ihm aufstieg.
„Die Typen?“
„An der Ecke. Du hast sie doch gesehen, oder?“ (…)
Tatsächlich standen zwei Männer an der Ecke, Sie standen an genau derselben Stelle wie am Tag zuvor. Pablo schaute auf die Straße, sah dann Carmen an und überlegte fieberhaft.“

Wie schon die beiden Bosque-Romane weist auch Dal Masettos neues Buch wieder filmtechnische Elemente auf, etwa Elemente des Dokumentarfilms, die an Originalaufnahmen erinnern, mit denen ein Spielfilm dokumentarisch angereichert wird. Diesen Eindruck gewinnt der/die LeserIn auf dem Höhepunkt des Romans, als Argentinien schließlich Weltmeister wird: „Das Fernsehbild wurde klar, und drei Oberbefehlshaber tauchten auf und überreichten dem Kapitän der Nationalmannschaft den Pokal und schüttelten den Spielern, die an der Ehrentribüne vorbeidefilierten, die Hand. Dann wurde die Mannschaft aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt, wie sie mit ein paar Spielern auf den Schultern die olympische Ehrenrunde drehte. (…) Es folgten Luftaufnahmen des Stadions und der Tribünen, über denen ein dichter Konfettiregen niederging. Und noch einmal die Oberbefehlshaber und die Übergabe des Pokals.“

Zugleich erreicht aber auch das Gefühl der Bedrohung für den Protagonisten seinen Höhepunkt: „Der Pokal wanderte von Hand zu Hand, hoch über den Köpfen der Spieler, mitten im Jubel der Tribünen und ihrer wehenden Fahnen überall. Pablo sah ihn im Blitzlichtgewitter glänzen und hatte vor sich das Bild einer mit Gift gefüllten Trophäe, die den achtzigtausend Zuschauern im Stadion und den Abermillionen, die sich wie er die Zeremonie ein uns andere Mal im Fernsehen anschauten, dargeboten wurde. (…) Es war, mehr als je zuvor, ein Gefühl von Schutz- und Machtlosigkeit. Und Angst. Es war, als hätte er zum ersten Mal in seinem Leben Angst.“

Dal Masetto verzichtet auf Interpretationen. Er schildert eine äußerst bedrohliche und beklemmende Atmosphäre, die dem Leben in der brutalsten der argentinischen Militärdiktaturen sicherlich nahe kommt oder gerecht wird. Immer wieder gibt es im Roman Hinweise auf den Terror: „Eine Stadt im Partyrausch, (…) in einer Stadt, in der seit Jahren jede Versammlung von mehr als drei Personen als verdächtig galt.“ Oder: „An Stränden tauchen andauernd Leichen auf. Sie werden vom Meer angeschwemmt.“ Dal Masetto liefert Schilderungen von Razzien oder willkürlichen Festnahmen in Gaststätten oder auf der Straße. All diese Szenen beschreiben, wie sich die Militärherrschaft für die Bevölkerung im Alltag auswirkte. Überhaupt ist der Roman so etwas wie eine Parabel der totalitären Herrschaft, ein Gleichnis für die Ohnmacht des Einzelnen gegenüber der omnipräsenten, alles beherrschenden Macht.

Dal Masettos Erzähltechnik wurzelt im Prinzip der Sparsamkeit. Seine Sprache ist wie immer konzis. Sie wurde von der Übersetzerin Susanna Mende in überzeugender Weise ins Deutsche übertragen. Der Autor bringt die Handlung auf den Punkt, ohne vom Thema abzuschweifen. Die Dialoge überzeugen durch ihre Prägnanz und Natürlichkeit. Außer den scheinbar immer und überall gegenwärtigen „Typen“ gibt es im Roman nur vier Protagonisten, weitere, vereinzelt auftauchende Figuren spielen nur am Rande eine Rolle. 
Das Ende des Romans ist offen, bricht sozusagen mitten im 20. Kapitel ab. So schreit auch dieser spannende Roman wieder nach mehr und Fortsetzung, die hoffentlich bald kommt. 

Antonio Dal Masetto, Unten sind ein paar Typen, Rotpunktverlag, Zürich 2007, 146 Seiten, 16,- Euro

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