(Post)koloniale Macht über das Schöne

Schönheitsideale ändern sich. JedeR weiß, dass die Rubensfrauen heute nicht mehr den gängigen Idealen entsprechen würden. Wenn über Schönheit gesprochen wird, über die Einflussnahme auf den eigenen Körper hinsichtlich der eigenen Schönheit, ist eine eindeutige Trennung zwischen sozialen und ästhetischen Veränderungen des Körpers schwierig, da Schönheitsideale stets auch die herrschenden Machtverhältnisse reflektieren. So galt etwa in Europa bis in die 60er-Jahre gebräunte Haut als nicht schön, da sie einen niedrigen Sozialstatus implizierte. Braungebrannt war, wer hart auf dem Land schuften musste. Als es zu einem Zeichen der Besserverdienenden wurde, Ferien am Strand zu verbringen, wurde auch das Merkmal der gebräunten Haut zum Zeichen von Wohlstand und damit immer mehr als schön wahrgenommen. Die edle Blässe verschwand aus den Modemagazinen und unserer Wahrnehmung des Schönen. Ob allerdings allein die ökonomischen Hintergründe erklären können, was wir jeweils schön finden, steht infrage. Denn erweitern wir unseren Fokus auf die weltweit vorherrschenden gängigen Schönheitsideale, bemerken wir eine Struktur, die westlich weiße Vorherrschaft des Schönen aufgrund von (post-)kolonialen Strukturen.
Hugo De Burgos stellt in einem Text über Rassismus und Schönheitsideale fest, dass helle oder weiße Haut, helle Augen, egal ob blau, grün oder grau, sowie blonde, glatte Haare und eine hochgewachsene Statur fast global zu dominanten Schönheitsmerkmalen geworden sind. Sie sind eine eindringliche Inkarnation der kolonialen Macht seit der Invasion und der darauf folgenden Kolonialisierung Amerikas, so De Burgos. Diese Merkmale typischer hellhäutiger EuropäerInnen wiesen vor Jahrhunderten in Lateinamerika ausschließlich die KolonialistInnen auf. Diese physiognomischen Merkmale wurden zu Merkmalen der kolonialen Macht und kolonialisierten das Denken, indem sie Standards für Schönheit setzten. Bis heute, so sind sich viele ForscherInnen sicher, wirken die Merkmale dieser Überlegenheit nach. Ehemals Symbole der kolonialen Übermacht und Vorherrschaft, sind sie unverrückbar als weltweit bevorzugte Schönheitsideale festgelegt.

Eng verbunden mit diesem kolonialen Erbe ist das Konzept der Verbesserung der Rasse (mejorar la raza). Die koloniale Herrschaft beschränkte sich in Lateinamerika nicht nur auf die wirtschaftlichen, politischen, militärischen, religiösen und sozialen Aspekte des Lebens, ihre große Macht bestand auch darin, grundlegende Ansichten der kolonisierten Gesellschaften zu beherrschen. Die Kolonialisierung hat tiefgreifend auf die ästhetische Wahrnehmung und auf die materiellen, sozialen und ideologischen Werte eingewirkt. So hat die Herrschaft auch in den Individuen ihre Spuren hinterlassen und geformt, was persönlich als schön wahrgenommen wird. Ähnliche Beobachtungen haben auch die SoziologInnen John und Jean Comaroff in afrikanischen Ländern gemacht. Sie unterstützen die These, dass die Kolonialisierung der Bevölkerung auch eine Besiedlung des Gewissens vornahm. Die weiße Vorherrschaft zwang Menschen dazu, auf bestimmte Weise zu leben und zu handeln, und eroberte die Macht über das Denken, Sehen und Fühlen. Dieser Aspekt der Kolonialisierung war kein Nebeneffekt oder Kollateralschaden, sondern unterlag vollkommen der Absicht, das Denken zu kolonialisieren. Die Kolonialisten erlegten den Eroberten” Symbole, Praktiken und ästhetische Grundsätze einer weit entfernten Kultur auf.

Die konkreten Folgen dieser Strategie sind bis heute nachweisbar. In den USA wurde in den 40er-Jahren vom Ehepaar Mamie und Kenneth Clark ein bahnbrechendes Ergebnis vorgestellt. Die beiden ersten schwarzen PsychologInnen in der Geschichte der USA zeigten die Internalisierung der rassistischen Wahrnehmung von Schönheit anhand eines Experiments mit Puppen. Selbst unter schwarzen US-AmerikanerInnen, so konnte bewiesen werden, war das koloniale geistige Erbe noch zu spüren. Kenneth und Mamie zeigten Kindern aller Hautfarben zwei Puppen, die sich bis auf die Farbe nicht unterschieden. Eine der beiden sonst identischen Puppen war weiß, die andere dunkelbraun. In dem berühmten Puppenexperiment fragten sie Kinder, welche der beiden schöner sei. Im Jahr 1942 bevorzugten in den USA 72 Prozent der Kinder die weiße Puppe, in einer Wiederholung des Experiments 2009 in El Salvador bevorzugten sogar über 90 Prozent der Kinder die helle Puppe. Die Ergebnisse wurden als Nachweis für die Auswirkungen von institutionellem Rassismus auf Kinder interpretiert, denn fast alle Kinder hatten internalisiert, dass die weiße Puppe die schönere war. Das Ehepaar Clark präsentierte diese erschütternden Ergebnisse nicht nur, sondern war zudem aktiv in der US-amerikanischen Human-Rights-Bewegung. In späteren Wiederholungen erweiterten sie den Fragenkatalog und befragten die Kinder auch hinsichtlich der Wahrnehmung der eigenen Hautfarbe. In einer Untersuchung über Wahrnehmung von Schönheit in Haiti im Jahre 1972 wiesen Forscher ebenfalls wiederholt nach, dass die sogenannten kaukasischen Gesichtszüge deutlich bevorzugt werden, obwohl eine große Mehrheit der Menschen vor Ort dunkelhäutig ist.

Vor diesem Hintergrund analysiert die Anthropologin Isar Godreau im Jahre 2008, wie das Konzept der Verbesserung der Rasse in Lateinamerika aufrecht erhalten werden konnte. Die Vorstellung davon, dass Weißsein dem Schwarzsein überlegen ist, zeichnet sich im von ihr untersuchten Versuch ab, die Menschen in Puerto Rico durch eine gezielte Strategie des blanqueamiento aufzuhellen. In ihrer Studie erforscht Godreau den tiefen sozialen Einfluss von blanqueamiento auf PuertoricanerInnen. Die Regierung präsentiere ein weißeres und somit kulturell fortgeschritteneres Puerto Rico, schreibt sie und argumentiert, dass dies das Ergebnis der Konstruktion der nationalen Identität sei sowie der Anstrengungen, das schwarze Erbe zu vermindern.

In einer sehr ausführlichen Untersuchung über den Zeitraum von 1850 bis 1950 beweist Mara Loveman, dass die staatlichen Eliten in vielen lateinamerikanischen Ländern eigene ethno-rassistische Kategorien für ihre jeweiligen Projekte von blanqueamiento einführten. In den nationalen Zählungen wurde das Aussehen zum erfragten Merkmal und der Grad des Weißseins damit messbar. Regierungen in Lateinamerika versuchten stets, ihre Bevölkerung als weißer darzustellen. Dieses Weißerwerden der Bevölkerung wurde als kultureller Fortschritt interpretiert und aufgezeigt. In anderen Ländern Lateinamerikas, wie etwa Brasilien, wurden gezielt europäische MigrantInnen angeworben mit der Absicht, die Bevölkerung weißer zu machen. Dieser Eifer des blanqueamiento hat nicht zuletzt zu Verbrechen gegen die Menschlichkeit geführt. Im Jahr 1937 hat der Diktator Rafael Trujillo in einem Massaker Tausende HaitianerInnen und dunkelhäutige BewohnerInnen der Grenzregionen im Rahmen eines Projekts zum Weißermachen der Dominikanischen Republik gezielt ermorden lassen. Ein anderes furchtbares Beispiel ist das Blutbad an Indigenen in Uruguay im Jahr 1831. Auch in Mittelamerika wurden Völkermorde begangen, die zunächst anscheinend andere politische Motivationen verfolgten, jedoch bewirkten, dass die Bevölkerung weniger indigen wurde. Solche Massaker begingen Martínez in El Salvador im Jahr 1932, Somoza García 1941 in Nicaragua und Ríos Montt in Guatemala in den 80er-Jahren.

Aber ist das Konzept Schönheit so eindimensional kolonial geprägt? Bereits in den 90er-Jahren erforschte die in Zimbabwe geborene und in Südafrika aufgewachsene Wissenschaftlerin Anne McClintocks die Erotisierung kolonialer und postkolonialer Vorstellungen von Schönheit und Weiblichkeit. Sie nennt die sich verschränkenden Vorstellungen „Porno-Tropen der europäischen Imagination“. Das Fremde (also Nichteuropäische) wird darin als bis zum Fetisch sexualisiert beschrieben. Inhaltlich daran anschließend untersucht Doris Allhutter aktuell rassistische Kategorisierungen im Porno. Auf großen deutschen und US-amerikanischen Pornovideoseiten im Internet finden sich heute neben anderen Fetischkategorien auch die Begriffe Latina oder Negerinnen (sic!). Die Bezeichnungen rufen nicht nur rassistische, sondern ebenfalls sexistische stereotype Vorstellungen hervor. Darin wird bei der Beschreibung der sexuellen Wünsche und Vorstellungen vom Weißsein ausgegangen, der Fetisch entspannt sich um das exotische Andere, Fremde. Das transportiert ein verzerrtes und ebenfalls (post)kolonial geprägtes Schönheitsideal und öffnet die Tür für direkten Rassismus und Sexismus, die Stereotypisierungen willige Schwarze, heiße Latina und Mann nutzt Frau zur Befriedigung. Die Pornoindustrie fetischisiert Ethnien und manifestiert Rassen als Kategorien.

Aus internen Quellen ist zu hören, dass es dabei nicht bleibt: Die Privilegierung der weißen DarstellerInnen führt auch zu niedrigeren Gehältern für DarstellerInnen der Kategorie Schwarz (oder ebony). Weiße Pornodarstellerinnen nehmen bis zu 500 Dollar mehr für Sex mit schwarzen Männern als mit weißen, so ein Produzent. Jon Millward zeigt in einer Auswertung von über 10 000 Profilen von PornodarstellerInnen, dass sich zwar fast 90 Prozent ins Gesicht spritzen lassen, aber nur 50 Prozent mit Männern anderer Hautfarbe drehen wollen. Weiße Darstellerinnen begründen dies damit, dass sie ihre Fans nicht abschrecken wollen. Szenen zwischen weißen Frauen und schwarzen Männern zielen oft auf die Konnotation ab, dass die weiße Frau sich selbst damit schadet. Der Pornodarsteller und -produzent James Deen aus den USA zieht in einem Interview mit dem Magazin VICE Bilanz: „Ich bin wütend! Nur in der Pornoindustrie ist es noch möglich zu sagen, dass man nicht mit einem Darsteller zusammenarbeiten will, weil er schwarz ist. Das ist doch Wahnsinn!“ Im selben Text zitiert VICE einen weiteren schwarzen Darsteller: „Ich wünschte, interracial-Szenen wären gar kein eigenes Pornogenre.“

Die Ergebnisse der Untersuchung von Pornoseiten sind historisch betrachtet keine Überraschung. Koloniale sexuelle Ausbeutung hat eine dramatische Geschichte. Aber auch der Rassismus hinter der Suche nach physiognomischen Merkmalen, an denen die angebliche ausufernde Lust und Willigkeit der Schwarzen gezeigt werden sollte (große Penisse, Hintern, Brüste) hat massive Wirkungen gezeigt und hinterlässt historische Spuren in der pornografischen Darstellung schwarzer Körper. Noch heute wird bei schwarzen Frauen im Porno der Hintern als zentrales Merkmal hervorgehoben. Auf US-Pornoseiten wird aktuell im Zusammenhang mit Latinas auf die Situation des Sextourismus an der mexikanisch/texanischen Grenze verwiesen. Diese Verweise spielen mit einer Vorstellung von weißer Macht und damit möglicher Ausbeutung der illegalen Grenzgängerinnen. Auf einer dieser Seiten ist zu lesen: „Braune, heiße, junge Latinas von der Straße, die absolut alles tun, um die Staatsbürgerschaft zu bekommen.“

Die Aufzählung der Beispiele ließe sich beliebig ausweiten. An dieser Stelle sollte deutlich geworden sein, welche Auswirkungen (post)koloniale, rassistische Stereotype auf das Konzept von Schönheit hatten und haben. Diese Darstellung ist einseitig, denn vollkommen ausgelassen wurde die Perspektive der Gegenwehr, des Widerstands gegen diese Kolonialisierung des Denkens. Zahlreiche Beispiele der Geschichte des politischen Kampfes zeigen, wie wichtig die Aneignung der Schönheit ist und war. Am markantesten wurde die Forderung nach Schönsein im Slogan Black is beautiful formuliert. Den Einfluss des Rassismus auf die kolonialisierten Subjekte untersuchen Grada Kilomba und Homi Bhabha, um Werkzeuge der Aneignung aufzuzeigen und Möglichkeiten der Einflussnahme zu eröffnen. Sie stellen fest, dass die Folgen der weißen Vorstellungen von Schönheit und Weiblichkeit bei den Menschen im globalen Süden schwere psychosoziale Auswirkungen haben und nennen dies koloniale Traumatisierungen. Eine innovative Vorstellung von Aneignung des Eigenen als schön beschreibt Gloria Anzaldúa im Aufflammen eines neuen Mestiza-Bewusstseins als Jonglage mit Idealen und Selbstdarstellungen. Sie stellte bereits 1987 diese Strategie der Selbstwahrnehmung und -darstellung als kreativen, positiven Vorschlag für den feministischen Kampf gegen starre rassistische und (post)koloniale Bilder und Körpervorstellungen vor: mit der eigenen Rolle und Identität zu spielen, Widersprüche auszuhalten und aufzuzeigen.