Ärzte, Pflegepersonal und Patienten gehen gegen den akuten Pflegenotstand in Guatemala auf die Straße und niemand hört ihnen zu. Zumindest weder Interimspräsident Alejandro Maldonado noch sein designierter Nachfolger Jimmy Morales gingen auf die Proteste und Forderungen ein. Und das, obwohl Morales in seinem Wahlkampf „Gesundheitsversorgung“ neben „Bildung“ noch zu einem Hauptthema gemacht hatte. Der unternehmerfreundliche Berufspolitiker und Anwalt Maldonado ist seit Übernahme der Amtsgeschäfte nach dem Rücktritt von Otto Peréz Molina blass geblieben, versprochene oder erhoffte Reformen blieben im Ansatz stecken. Das von der organisierten Zivilgesellschaft geforderte neue Parteiengesetz wurde in erster Lesung von den Parlamentariern stark verändert und ist bis heute nicht in Kraft getreten. Das neue Migrationsgesetz verschärft die Lage für Migrierende. Maldonados grundlegende Strategie ist offenbar Ausharren bis zur Staffelübergabe im Januar.
Der Wahlgewinner und TV-Komiker Morales nutzt diese Zeit für zahlreiche Reisen. Er diente sich zunächst örtlichen Unternehmern an und ist aktuell in den anderen Ländern Zentralamerikas unterwegs. Viel über sein künftiges Regierungsprogramm hat er bisher nicht verraten, es geht vor allem um Geschäfte und seine Selbstdarstellung als Witzeerzähler. Bei Anekdoten bleibt er aber auch, denn weiterhin ist unbekannt, mit welchen Personen er sein Kabinett im kommenden Jahr besetzen möchte. Die wenigen Namen, die für das Übergangsteam genannt wurden, lassen aber Schlimmstes befürchten: Es handelt sich um alte Generäle aus der reaktionären ALVEMIGUA-Riege.
MenschenrechtlerInnen, soziale Organisationen und die zersplitterte Linke sind besorgt. „Wir befürchten, dass sich mit Jimmy Morales die harten ultrarechten Militärs in Guatemala durchsetzen werden, positive Prozesse wird er bremsen und das Minimum an verbliebenem öffentlichen Eigentum weiter privatisieren“, sagte Enrique Corral von der Fundación Guillermo Toriello, einer Stiftung, die nach dem Friedensschluss 1996 gegründet wurde, um die Interessen der demobilisierten Ex-Guerilleros der URNG zu vertreten.
„Sandra wäre besser gewesen“, findet Corral und hatte ebenso wie die politische Führung der linken Kleinparteien zur Wahl von Sandra Torres aufgerufen, die als First Lady an der Seite von Präsident Álvaro Colom (2008-2012) wirkte und sich 2011 von ihm scheiden ließ. Ihre Unterstützer hofften, dass unter einer Regierung Torres die positiven Elemente von Colom wieder belebt werden könnten, so hatte sich dieser zum Beispiel als erster Staatschef für die Massaker an der indigenen Bevölkerung entschuldigt. Die große Mehrheit der Bevölkerung sah das offenbar anders und lehnte Torres als Verkörperung der korrupten politischen Kaste ab, gegen die es von April bis September eine Massenbewegung in Guatemala gegeben hat, die in der Verhaftung von Präsident Otto Pérez Molina gipfelte. Seither ist die Bewegung abgeflaut, und seit dem ersten Wahlgang am 6. September sind die Massenproteste geschmolzen wie Neuschnee in der Sonne.
In seinen TV-Shows hat Jimmy Morales immer wieder ein Faible für rassistische und frauenfeindliche Witze gezeigt, und hinter seiner Kandidatur steht der ultrarechte Flügel des Militärs, welches das Friedensabkommen 1996 nicht unterzeichnen wollte. Politisch und vor allem ökonomisch ist es indes der reaktionäre Unternehmerverband CACIF, der die strategischen Vorgaben für Morales machen dürfte. In der Realpolitik ist also eher eine Rolle rückwärts als irgendein noch so kleiner Fortschritt in dem tief gespaltenen Land zu erwarten. Bisher hat Morales weder Namen für die Ministerämter genannt, noch ein Regierungsprogramm veröffentlicht. Seine politischen Aussagen beschränkten sich im Wahlkampf auf Allgemeinplätze wie: „Er werde alles anders machen“, „er sei weder ein Dieb noch korrupt“. Zu seiner Haltung zur „UN-Ermittlungsbehörde gegen Korruption in Guatemala“ CICIG schwieg er sich aus.
„Was hat sich in Guatemala in den vergangenen sechs Monaten eigentlich geändert?“, fragte Iván Velásquez, CICIG-Leiter, polemisch am Wahltag per Twitter. Für Enrique Corral von der FGT sind die Ermittlungsergebnisse der CICIG indes ein wichtiges Instrument für den Kampf gegen die korrupte politische Elite im Land. Das sehen aber nicht alle so: Zahlreiche linke und soziale Aktivisten stehen der Institution mit Misstrauen gegenüber. Sie sei am Ende eben kein Instrument der Zivilgesellschaft, sondern der US-Botschaft, die in der Innenpolitik Guatemalas so sichtbar agiert wie sonst wohl nirgendwo. Finanziert werde die Arbeit von CICIG zu großen Teilen mit Mitteln aus dem US-Haushalt, und unbeantwortet sei auch die Frage, wo die Behörde eigentlich die Mitschnitte der vielen tausend Telefongespräche hat, die ihr als Ermittlungsgrundlage dienten. Angeeckt ist Velásquez unterdessen mit seinem Vorschlag einer Steuer zur Finanzierung der Arbeit von CICIG, damit hat er vor allem Wohlwollen in der Unternehmerschaft verloren. Denn bei Geld hört der Spaß auf, auch in Guatemala.