Mestizo Music
Sozialforen sind also doch irgendwie Popevents: Auf dem europäischen Sozialforum in Paris 2003 kamen einige junge Leute auf die Idee, den Sound der Globalisierungskritik auf einer CD zu kompilieren. Unterstützung bekamen sie dabei von dem Verein „Articulation – Kultur in sozialen Bewegungen“. Die musikalische Reise entlang der Protestpfade ging zunächst nach Lateinamerika bzw. zu ihren diasporischen Weiterentwicklungen in Europa – eine kluge Beschränkung, wirken doch weltweite Sampler meist etwas beliebig zusammengestellt. Außerdem hat Lateinamerika eine Menge zu bieten, musikalisch wie politisch. Ganz nebenbei kann man sich so auch auf weitere Sampler zu anderen Regionen freuen. Auf der Kompilation „Mestizo Music – Rebelión en América Latina“ werden Bands vorgestellt, die Teile von sozialen Bewegungen sind, auf der Straße spielen und mitdemonstrieren, aber auch Bands, die sich auf politische Aussagen in ihren Texten beschränken oder Solidaritätskonzerte organisieren. Mit dabei sind alte Bekannte – Panteón Rococó, Sergento García, Amparanoia oder Karamelo Santo – aber auch unbekanntere Acts wie die Ska-Combo Coffee Makers und die Hiphopper Bellavista Social Club (beide aus dem kolumbianischen Medellín) oder Mundo livre s/a aus dem brasilianischen Recife, die uns ihren Manguebeat näher bringen (eine Mischung aus nordostbrasilianischen traditionellen Musikstilen wie maracatú, afoxé, embolada etc. mit Hiphop, Dub und Elektro).
Im schön gestalteten CD-Booklet werden nicht nur die einzelnen Bands und ihre jeweiligen besonderen Anliegen vorgestellt, sondern auch Musikstile und Begriffe erklärt sowie Infohäppchen zu politischen Themen eingestreut: zu den Zapatistas, zur gesamtamerikanischen Freihandelszone ALCA, zur Sozialforumsbewegung, zur brasilianischen Landlosenbewegung MST oder zu Straßenkindern. Bei der Kürze der Texte geht das natürlich nicht in die Tiefe, verschafft aber einen guten Überblick. Pop meets Politik funktioniert hier ganz gut. Damit die Botschaften der Bands auch ankommen, sind teilweise die Songtexte abgedruckt, auszugsweise auch auf Deutsch übersetzt.
Musikalisch spielt sich alles im mittlerweile ganz gut eingeführten Mestizo-Bereich ab – Latin Ska, Hiphop, Cumbia, Reggae etc. Äußerst apart: Eine waschechte und ziemlich lange, ziemlich hymnisch klingende Hymne ist auch dabei, nämlich von der MST. Dazu hätte man gerne mal den Text gelesen, der aber leider fehlt. Anspieltipps: Zum Tanzen gibt’s natürlich kaum ein mitreißenderes Stück als „La Carencia“ von Panteón Rococó. Und so richtig explizit politisch wird’s bei den bekennenden Trotzkisten (!) von Las Manos de Filippi: „Los métodos piqueteros“.
Culcha Candela
Auch recht kämpferisch oder zumindest sozialkritisch bewegt kommt die zweite CD der Berliner Band Culcha Candela daher. Die sieben Jungs waren 2004 mit ihrer ersten CD „Unión Verdadera“ angetreten, damit sich – wie der Pressetext meint – „Deutschland endgültig von seinen Klischee-Vorzeigeausländern trennen kann“. Culcha Candela ist nämlich eine Combo mit kolumbianischem, koreanischem, ugandischem und polnischem Migrationshintergrund. Stereotype zu konterkarieren ist auf jeden Fall erst einmal ein unterstützenswertes Anliegen. Bloß sollte darauf geachtet werden, nicht selber in die Falle zu tappen und zur nächsten Generation der weichgespülten Multikulti-Helden zu werden. Aber egal, zunächst einmal haben sie mit ihrer zweiten Platte ein musikalisch äußerst überzeugendes Produkt hingelegt.
Die Texte werden gekonnt gemixt auf Spanisch, Englisch und Deutsch gerappt oder gesungen. Musikalisch überwiegen die lateinamerikanischen Einflüsse, aber auch die mittlerweile universalen Stile Reggae, Ska und Hiphop werden gleichberechtigt eingeflochten. Insgesamt ist ein verblüffend vielseitiges Album herausgekommen, wobei der Stilmix an keiner Stelle bemüht ist. Höchstens könnte man ihnen vorwerfen, dass sie Meister des Zusammenklauens sind, aber was ist schon selbstgemacht oder authentisch, gerade in der Popkultur? Auf jeden Fall haben sie damit Erfolg, auch verdient, denn sie sind zudem eine ziemlich geile Live-Band (die bis Anfang November auf Tour ist!).
Auf „Next Generation“ dürfen natürlich nicht die bewährten Feierhits fehlen („Fuego“ „Tanz!“ „Partybus“ oder das wunderbare und vergleichsweise unsexistische Reggaeton-Stück „Una Serenata“). Sozialkritisch bewegt sind „Mother Earth“ (der Titel sagt schon alles), der Hiphoptrack „Una Cosa“ (thematisiert die zerstörerischen Wirkungen von Kokain-Produktion, -Transport und –Konsum), die Anti-Kriegs-Hymne „More Peace“ oder „Scheinwelt“ (Medien- und Konsumkritik). Des Weiteren sind nette Alltags- und Mädelsgeschichten am Start (der lässige Salsa-Reggae-Mix „Jeder Tag ist ein Comeback“ oder das rührende „2ter Blick“). Insgesamt für LiebhaberInnen der besagten Stile eine CD, die wirklich glücklich macht.