Referendum stellt Systemfrage

Die CAFTA-Befürworter um den sozialdemokratischen Präsidenten und Friedensnobelpreisträger Oscar Arias („Partei der Nationalen Befreiung“, PLN) versprechen Arbeitsplätze und Wirtschaftsaufschwung, wenn das „Ja“ im Oktober gewinnt. „Es geht auch um Glaubwürdigkeit. CAFTA wurde von meiner Vorgängerregierung unterschrieben, es fehlt nur die Ratifizierung durch das Parlament. Ich strebe auch ein Freihandelsabkommen mit der Europäischen Union an, aber das können wir vergessen, wenn wir uns bei CAFTA nicht als verlässlicher Verhandlungspartner zeigen“, sagte er gegenüber Journalisten. Innenpolitisch sieht er die Lage in Costa Rica heute angespannter als zu Zeiten der mittelamerikanischen Bürgerkriege in den 80er Jahren während seiner ersten Regierungszeit (1986-1990). Das Referendum bezeichnete er als geeignet, um die Spaltung zu überwinden. 

CAFTA-Gegner denken indes, dass sich der Staatschef mit fremden Federn schmückt. „Der Volksentscheid geht auf eine außerparlamentarische Initiative zurück. Als das Oberste Wahlgericht dem Volksentscheid zustimmte, sprang die Regierung auf diesen Zug auf, um ihn unter Kontrolle zu bringen und die Basisbewegung zu schwächen. Trotzdem ist es ein großer Schritt voran“, sagte José Merino, einziger Abgeordneter der Linkspartei Frente Amplio. Er kritisiert unter anderem, dass CAFTA den US-Firmen uneingeschränkten Zugang zum Markt der mittelamerikanischen Länder gewährt. Bis 2015 müssen alle Importhürden für US-Produkte abgebaut sein. Doch gerade die Importregulierung, v. a. durch Zölle, ist ein wichtiges Instrument dieser Staaten um die wirtschaftliche Entwicklung im eigenen Land zu schützen. Die soziale Bewegung fürchtet eine Zunahme der sozialen Ungleichheit zwischen den USA und den anderen Teilnehmern sowie eine Verschlechterung von sozialen und ökologischen Standards. Als schlechtes Beispiel zitieren sie das ganz ähnlich gestrickte NAFTA-Abkommen zwischen Mexiko, Kanada und den USA, das bereits 1994 in Kraft trat. Unter anderem hat kaum ein kleiner oder mittelständischer Landwirt in Mexiko die direkte Konkurrenz mit der hochsubventionierten Hightech-Landwirtschaft im Norden überlebt.

Dass es in Costa Rica überhaupt zu einem Referendum kommt, ist der starken sozialen Bewegung zu verdanken. Im Parlament verfügt die Pro-CAFTA-Koalition aus PLN, Christsozialen (PUSC), Neoliberalen (ML) und zwei Kleinparteien über eine Dreiviertelmehrheit von einer Stimme. Trotzdem gelingt es den CAFTA-Kritikern seit mehr als zwei Jahren durch Massenmobilisierung die Abstimmung zu verhindern. Und das sei nur der Anfang: „Die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und der Telekom stehen zum Generalstreik bereit“, versicherte Gewerkschaftsvorsitzender (ANEP) Albino Vargas. Denn CAFTA bedeutet mehr als nur die Schaffung einer Freihandelszone. Es handelt sich um die regionale Umsetzung der vom damaligen US-Präsidenten George Bush Senior ins Leben gerufenen ALCA-Politik für eine Freihandelszone von Alaska bis nach Feuerland, so wie schon NAFTA zwischen den USA, Mexiko und Kanada. CAFTA bestimmt politische Rahmenbedingungen im Geiste des 1998 offiziell beerdigten Multilateralen Investitionsabkommens MAI. Investitionsvorhaben der Konzerne sollen schwerer wiegen als nationale Gesetze, zudem dient das Abkommen als Türöffner für Privatisierungsvorhaben in allen Bereichen. In den 3500 Seiten des Vertrags versteckt sich die volle Agenda des Neoliberalismus.

Der starke Widerstand in Costa Rica mag erstaunen. Eine starke parlamentarische Linke fehlt seit dem jahrzehntelangen Verbot der Kommunistischen Partei nach dem Bürgerkrieg im Jahr 1948. Im Gegensatz zu El Salvador oder Nicaragua, wo Farabundisten bzw. Sandinisten fast die Hälfte der Abgeordneten stellen. Überall gab es Proteste von sozialen Organisationen, aber sie beeinflussten den parlamentarischen Gang nicht. „Die Grundlage für den Anti-CAFTA-Protest wurde in den Jahren 2000/2001 gelegt durch die Massenbewegung gegen das COMBO-Gesetz zur Privatisierung“, sagte Adriana Sanchez von Sulá Batsú. Der costaricanische Wohlfahrtsstaat basiert auf einer Grundversorgung durch Staatsbetriebe; Wasserversorgung und Elektrizitätswerke sind in öffentlicher Hand, es gibt ein kostenloses Bildungs- und Gesundheitssystem für alle, eine Rentenversicherung. Besonders die Telekom ICE gilt als vorbildlich in Lateinamerika: Die Grundversorgung mit Festnetztelefonen ist auf europäischem Niveau, in urbanen Zentren gibt es schnelle DSL-Internetverbindungen zu kleinem Preis und die Handytarife sind die niedrigsten der Welt. Zum Beispiel werden in Costa Rica pro Person mehr SMS-Kurznachrichten versendet als in Japan.

Die damalige christsoziale Regierung hatte 2000 ein Gesetzespaket zur Privatisierung der staatlichen Telekom ICE und der Energiewirtschaft vorgelegt und vom Parlament verabschieden lassen. Erst danach entzündete sich eine beispiellose Protestbewegung in Costa Rica: Landwirte, Studierende und Beschäftigte des öffentlichen Dienstes gingen im ganzen Land buchstäblich auf die Barrikaden. Auch Chiphersteller Intel setzte die Regierung daraufhin unter Druck und drohte mit einer Abwanderung aus der Hauptstadt San José, sollte nicht Ruhe und Ordnung wieder hergestellt werden. Das COMBO-Gesetz wurde zurückgezogen. „Die Bewegung hat dadurch viel Selbstbewusstsein gewonnen. Viele Aktivisten blieben in zahlreichen Komitees miteinander verbunden, sie sind das Gedächtnis der Bewegung“, sagte Sozialwissenschaftlerin Adriana Sánchez. 

Der Charakter der Bewegung ist sehr heterogen. Politikwissenschaftler vergleichen sie mit der „No“-Bewegung gegen die EU-Verfassung in Frankreich. Es findet sich dort alles, was links ist: Anarchistische Kleinstgruppen, die Überbleibsel der kommunistischen Vangardia-Partei, Trotzkisten, Frente Amplio und einige mehr. Alle großen Gewerkschaften des Landes beteiligen sich, aber auch Unternehmer, wie die Generikahersteller Costa Ricas. Religiöse Gruppen wie die lutherische Kirche und katholische Gemeinden fehlen ebenso wenig wie Landwirte, Indígenas und Frauengruppen. Die Studierenden haben in der Bewegung sogar den Rückhalt der meisten Präsidien der staatlichen Unis des Landes.Gewaltsame Proteste wie in den Jahren 2000/2001 blieben gegen CAFTA bislang aus. An der bislang größten Demonstration nahmen Ende Februar diesen Jahres mehr als 100 000 Leute in San José teil. In der Hauptstadt leben nicht viel mehr als 400 000 Einwohner, ganz Costa Rica zählt 4,5 Millionen.

Überall im Land schießen derweil „patriotische Komitees“ aus dem Boden, welche die Kampagne gegen CAFTA unter dem Motto „Mein Herz sagt NEIN!“ organisieren und in die fernsten Winkel des Landes trägt. „Ein großes Problem ist Information“, konstatiert Seidy Salas vom Netzwerk für das Recht auf Kommunikation. „Die Massenmedien stehen unter Kontrolle oder auf Seite der Regierung. Ein Dialog findet nicht statt, die Argumente der CAFTA-Kritiker finden keine Beachtung“. Beim unabhängigen Observatorium für freie Meinungsäußerung (OLE) teilt man diese Einschätzung; Ende Mai wandte sich das Observatorium mit einer Petition an das Oberste Wahlgericht (TSE) in der es einen ausgeglichen Zugang zu den Medien für Vertreter beider Seiten fordert. 

Besorgt zeigt sich Heriberto Valverde, Präsident des Journalistenkollegs COLPER und Observatoriumsmitglied: „Es ist bedauerlich, welchen Schaden CAFTA in der costaricanischen Gesellschaft bereits angerichtet hat. Das Land ist in zwei radikale Lager gespalten ohne eine Möglichkeit zum Dialog und ohne die Bereitschaft, sich an einen Tisch zu setzen und Gemeinsamkeiten zu finden. Leider sind die Massenmedien für die Schaffung dieses Klimas mitverantwortlich“. Valverde kritisisert zudem die plötzliche — angeblich aus administrativen Gründen vollzogene — Schließung einiger Programmplätze im Privatfunk und dem staatlichen Fernsehsender Canal 13, die auch anderen Meinungen Sendezeit einräumten. Darunter sein eigener Programmplatz auf Radio Monumental. Die Schließung der Sendeplätze verurteilt Valverde, aber — das ist ihm wichtig — nicht aus ideologischen Gründen. „Es geht um die Freiheit, seine Meinung zu äußern und andere Meinungen hören zu können. Egal ob für oder gegen CAFTA“, stellt der Kommunikationswissenschaftler und Philosoph klar.

Als Antwort auf den fehlenden Zugang zu den traditionellen Medien verbreiten die CAFTA-Gegner ihre Botschaft über alternative Kanäle. „Unsere Bewegung für das Recht auf Kommunikation hat durch die schlechte Erfahrung vieler Costaricaner mit den Medien ganz neue Impulse bekommen“, sagt die alternative Journalistin Seidy Salas. Im spanischsprachigen Internet finden sich zahllose Weblogs gegen CAFTA. Auf Youtube finden sich Dokumentationen und Kurzfilme wie die lustigen Werke von Kamuk oder die Nachrichtensendung La otra cara, alternatives Programm gibt es auch zu hören bei den neuen Internetradios Radio Dignidad, Radio Ciudadana und Radio Estación. Webradios wie Lokalradios, die über CAFTA aufklären wollen, sind dabei angewiesen auf Zuarbeit von anderen Medienmachern. Das Kommunikationszentrum Voces Nuestras etwa produziert Jingles und ein wöchentliches Radiomagazin namens La Vistada zur kostenlosen Weiterverbreitung (zu finden auf der Website www.vocesnuestras.org).