Menschen stellen überdimensionale Pappfiguren mit seinem Konterfei auf, Kinder, Strafgefangene und Passanten lesen aus seinen Gedichten, Frauen erinnern sich an ihn als Ehemann und Liebhaber, Männer sprechen über die gemeinsame Zeit im Knast, bei Prostituierten oder in der Guerilla, WeggefährtInnen aus unterschiedlichen Ländern würdigen ihn als Autor, Bohemien und Revolutionär.

Das ist ganz kurz zusammengefasst das Konzept des 86-minütigen Films „Roque Dalton – Erschießen wir die Nacht“ von Tina Leisch. Ob aus solchen Zutaten ein lebendiges Portrait des 1975 ermordeten salvadorianischen Schriftstellers und Revolutionärs entstehen kann, hängt davon ab, inwieweit es der Filmemacherin gelingt, GesprächspartnerInnen aufzutun, die etwas zu sagen haben, und sie dann vor der Kamera dazu zu bringen, das auch zu tun. Und wie sie das im Film dann verwendet und zusammenstellt.

Das Ergebnis ist im Ganzen schlüssig. Wie Tina Leisch sich Roque Dalton annähert – an Drehbuch und Konzeption hat der Schriftsteller Erich Hackl mitgewirkt – überzeugt. Sie hat, vor allem in El Salvador und Cuba, sehr viele Menschen interviewt, die mit Roque Dalton zu tun hatten, mit ihm befreundet waren oder mit ihm zusammengearbeitet haben und so etliches über ihn berichten konnten. Einige konnten auch sehr anschaulich die Stimmung und die Zeitumstände der Jahre zwischen 1955 und 1975 rüberbringen, in denen Roque Dalton mit ihnen zusammen politisch aktiv war, mit einigen auch im literarischen Austausch stand und allein mit sich und seiner Schreibmaschine seine Gedichte und Romane verfasst hat. Leider kommen indessen auch einige Leute zu Wort, die eher wenig über Roque Dalton zu sagen haben. 

Es bleibt mir ein Rätsel, warum jeder Dokumentarfilm, der sich mit der revolutionären Linken in Lateinamerika beschäftigt, unbedingt eine Interviewsequenz mit Regis Debray beinhalten muss. Dieser war zwar in seiner Sturm-und-Drang-Phase Ende der sechziger Jahre aus Paris losgezogen, um die Revolution in Lateinamerika zu machen, ist nunmehr aber bereits seit Jahrzehnten außenpolitischer Berater der französischen Regierungen und hat längst nichts mehr mit emanzipatorischer oder gar revolutionärer Politik am Hut.

Aber davon abgesehen, entsteht durch die Aussagen der tatsächlichen WeggefährtInnen Daltons ein sehr facettenreiches Bild eines Menschen und Schriftstellers, der leidenschaftlich gelebt hat und für den Literatur und politischer Kampf immer untrennbar verbunden waren.

Sehr gelungen fand ich die Darstellung der Umstände der Ermordung Daltons durch einige führende Mitglieder des Revolutionären Volksheers (ERP), dem der Dichter damals angehörte. Ehemalige Mitglieder des ERP machen im Film die militärische Struktur der Organisation und die Eifersucht des Comandante Joaquín Villalobos, der Dalton sowohl intellektuell wie auch in der Ausstrahlung nicht das Wasser reichen konnte, für die Tat verantwortlich. Es war die Logik jener, die, so Eduardo Sancho alias Comandante Fernán Cienfuegos im Film, in einem Teller Suppe noch den Feind sehen.

Roque Daltons Söhne Jorge und Juan José, die beide ebenfalls zu Wort kommen, haben ein Verfahren gegen die mutmaßlichen Mörder Joaquín Villalobos und Jorge Meléndez angestrengt. Dieses wurde aufgrund von Verjährung jedoch eingestellt, einer der unzähligen Fälle von Straflosigkeit in El Salvador. Villalobos lebt übrigens heute überwiegend in Großbritannien und hat verschiedene Regierungen, darunter den ultrarechten kolumbianischen Präsidenten Alvaro Uribe, im Umgang mit bewaffneten Oppositionsgruppen beraten.

Einen besonderen Reiz des Films machen die anfangs erwähnten Szenen aus, in denen sehr unterschiedliche SalvadorianerInnen, von denen niemand Roque Dalton persönlich kannte, seine Gedichte vorlesen. Man spürt, dass sie sich in deren Bildern und Witz wiederfinden. Es hat mich, der ich mich bisher nur für seine Romane interessiert habe, beeindruckt, wie lebendig und kraftvoll die Poesie Daltons ganz offensichtlich ist. Die Gedichtrezitationen sind keine literarischen Einsprengsel, sondern rücken Roque Dalton und damit auch den Film nahe an den Alltag und das Leben im heutigen El Salvador heran.

Es ist toll, dass heute, wo engagierte Literatur unmodern zu sein scheint (die deutschsprachigen Übersetzungen der Bücher Roque Daltons aus den frühen achtziger Jahren sind allesamt nicht mehr lieferbar) und vom Feuilleton entweder ignoriert oder belächelt wird, ein umfangreicher Dokumentarfilm über Roque Dalton realisiert wurde. Und noch erfreulicher ist, dass er ästhetisch wie politisch überzeugt. In Österreich ist der Film seit Anfang des Jahres zu sehen, in Berlin hat er am 20. Mai im Arsenal Premiere gehabt und wird danach hoffentlich auch in anderen guten Kinos laufen.