Salsa-Thiéboudiene*

Die Formation der „Afro-Salseros“ im Jahr 2001/2002 hat einen politischen Hintergrund, ist ein Teilprodukt der zuvor im Jahr 2000 neu aufgenommenen diplomatischen Beziehungen zwischen dem Senegal und Cuba, diplomatische Beziehungen, die der neu gewählte „konservative“ Präsident Abdoulaye Wade aufnahm, die der „sozialistische“ Präsident Senghor allerdings nie für wichtig gehalten hatte. Auch historisch betrachtet sind die politischen/diplomatischen Beziehungen zwischen den seit den 1960er Jahren unabhängigen westafrikanischen Staaten und der Karibikinsel nach der cubanischen Revolution von Bedeutung gewesen für die Schaffung der konkreten Situationen, durch die musikalische Inspiration, Austausch und Wissen möglich wurden.
So bereisten z.B. die guineischen Musiker von Bembeya Jazz in den 70er Jahren Cuba und kamen dort im Rahmen von Konzertauftritten mit cubanischen Orchestern und Musikern in Kontakt. Ein für die Entwicklung westafrikanischer Populärmusik nicht unbedeutender Musiker wie Boncana Maiga aus Mali, späterer Arrangeur unter anderem von Africando, besuchte ab 1964 das Konservatorium Alejandro García Catura de la Havana in Cuba wie auch alle anderen malischen Musiker der im Folgejahr als Maravillas de Mali aufgenommenen Band. Der Gründung der „Maravillas“ folgte eine Konzerttournee durch ganz Cuba, die sich anschließende Schallplattenproduktion gleicht einem Spiegelbild cubanischer Musik, allerdings mit hörbaren westafrikanischen „Interventionen“: Danzon, Chachacha, Montuno, Guaracha, Boogaloo, letzterer offenbar 1965 bereits „zurück“ in Cuba.
Prägend für die erste Aneignung cubanischer Musik in West- und in sehr starkem Ausmaß auch Zentralafrika war allerdings ihre Verbreitung über Tonträger, zuerst Schellack- und dann Vinylschallplatten, und Radiostationen, die diese Musik spielten. Schallplatten erreichten die französischen Kolonialgebiete Westafrikas vor allem über die koloniale Metropole Paris, aber auch über Brüssel, London und New York, bevor seit etwa den 1950er Jahren eine lokale Musikwirtschaft entstand. Radio Brazzaville als einziger überregionaler (französisch-kolonialer) Sender versorgte Zentral- und Westafrika mit cubanischen Tänzen, Liedern und Rhythmen: Mambo, Chachacha, die Rumba und der Son, en vogue in der kolonialen Metropole Paris seit spätestens den 1930er Jahren, waren auch für die afrikanischen Kolonien bestimmt. (vgl. dazu auch den Beitrag „Rumba im Kongo“ in dieser ila)
 Cubanische Musik löste in vielen Teilen der Welt einen „Latin-Boom“ aus. Pérez Prado, Benny Moré, Félix Chappotin… In den 50er Jahren erreichte dies seinen Höhepunkt, New York und Havana waren die Zentren des „Latin-Fiebers“. In England wird der „Boom“ meistens mit Edmundo Ros assoziiert, der dort in den 40er/50er Jahren zum Star der „Latin-music“ wurde.
In den französischen Kolonialgebieten bzw. in West- und Zentralafrika kam die cubanische Musik auch bei den einheimischen Musikern an. Cubanische Musik von Gruppen wie dem Orchesta Aragon und Johnny Pachecos Band wurden adaptiert und reinterpretiert, man könnte sagen reafrikanisiert. Sie gehörte in dieser Art zum festen Repertoire der modernen Tanzbands in Westafrika seit den 50er Jahren. Ohne auf die „gefühlte Afrikanität“ afrikanisch-karibischer Musik an dieser Stelle näher eingehen zu können, lassen sich die dynamischen Aneignungs- und Verarbeitungsprozesse verstehen durch ein Wiedererkennungspotential, das die im Zusammenspiel europäischer und afrikanischer Musik kreolisierte afrikanisch-karibische Musikkultur in Hinsicht auf ihr west- und zentralafrikanisches Erbe bewahrt hat und das die cubanische Musik sowohl in ihrer traditionellen als auch modernen Dimension für afrikanische Musiker als Teil der eigenen Kultur klanglich und affektiv wiedererkennbar machte.
In Verbindung mit und verstärkt durch ihre weitreichende Popularität und Verbreitung über Live-Musik, Tonträger und den Rundfunk in Amerika und Europa, weniger über erstgenanntes in Afrika, konnte eine „Relokalisierung“ afrikanisch geprägter Musik der Neuen Welt in Afrika stattfinden, die diese zumindest im westlichen Afrika zu einer zweifellos einheimischen Musik in der modernen Populärkultur seit Mitte des letzten Jahrhunderts gemacht hat. Auch die Verwandlung afro-cubanischer bzw. newyorkinischer Musik im Kontext der puertorikanischen barrios in New York – Son, Guaracha, Danzon, Chachacha, Mambo, Pachanga etc. – in die so genannte Salsa in den 60er Jahren trug hierzu bei. Johnny Pachecos Musik bzw. die durch sein Label Fania Records veröffentlichte z.B. von Ray Barretto, Willie Colon oder Lerry Harlow wurde in Westafrika rezipiert, das Schlagwort „Salsa“ (generell eine Bezeichnung für Sauce, Geschmack oder Würze, aber auch mit einer langen Geschichte in der karibischen Musikkultur) für die neue, aber doch stark auf die vielfältigen cubanischen Rhythmen und vor allem den modernen Son zurückgreifende Musik blieb.
Diese transatlantischen Zusammenhänge brachten den senegalesischen Trompeter Ali Penda bei seinem ersten Cubabesuch im Jahr 2001 zu dem Schluss, dass die Cubaner „seine“ Musik spielten, die Musik, die seine Vorfahren nach Cuba gebracht haben mussten. Eine ähnliche, wenn auch auf eine andere im westlichen Afrika prägende karibische Musik, den trinidadischen Calypso, bezogene „Theorie“, hatte bereits der Calypsonian Ali Ganda aus Sierra Leone in den 50er Jahren: „Calypso belongs to Africa, but has been developed overseas, but I want to bring it back to its homeland.“ Ähnliche Selbstauslegungen und „Aneignungsstrategien“ können auch für die senegalesischen und andere afrikanische Musiker angenommen werden, die die „Heimkehr“ cubanischer Musik in West- und Zentralafrika bestätigten und feierten.

Senegal kann als gutes
    Beispiel für die „Wiedererkennung“, Aneignung und kreative Reinterpretation afrikanisch-cubanischer Musik gelten, betraf dort aber nicht nur senegalesische Musiker. In Musikklubs mit Namen, die zunächst auf andere kulturelle Kräfte hinweisen, wie dem Miami, Calypso, Guinea Jazz, Moulin Rouge oder Saloum in Dakar spielten die populärsten Orchester in den 60er Jahren – die Star Band mit Pap Seck, Mar Seck, Doudou Sow und dem Nigerianer Dexter Johnson oder die Super Star Band Johnsons, gegründet nachdem er die Star Band verlassen hatte. Letztere trat im Club L’Etoiles mit polyglotter Besetzung auf: einer Band aus nigerianischen und senegalesischen Musikern, die das Publikum nicht nur aber vor allem mit „Copyrights“ cubanischer Musik versorgten. Zentrum dieser populärkulturellen Veränderungen war Ibra Kassés Miami-Club. Die Star Band spielte Musik, die sie als traditionell cubanisch aber auch traditionell senegalesisch verstanden, in modernem Gewand, und eben die „Copyrights“: El Manicero, Vamos A Bailar, Caramelo von Johnny Pacheco oder Malaguena, auf einer der frühen Star Band-Schallplatten einem gewissen Elpidio Ramírez zugeschrieben.
Dexter Johnson verließ Dakar bereits 1964 in Richtung Abidjan, von dort reiste er nach New York, um sich mit dem Vokalisten Raymond Fernadez dem Projekt der Conjuntos Estrellas Africanas zu widmen. Mindestens zwei Schallplattenveröffentlichungen resultierten aus diesem Zusammentreffen. Auch im Senegal aktive Musiker wie z.B. Laba Sosseh aus Gambia, ehemals Mitglied der Star Band und Superstar de Dakar, spielten in den 80er Jahren in den USA zusammen mit cubanischen Musikern. Ein Koprodukt davon waren Aufnahmen, die später als Laba Sosseh – El Sonero de Africa, für den afrikanischen Markt veröffentlicht wurden. Die auch wechselseitige musikalische Inspiration in dieser Zeit zeigt sich an der vom cubanisch-newyorkinischen Orchesta Tipica Ideal Ende der 70er Jahre veröffentlichten LP Vamonos Pa’ Senegal Para Bailar y Gozar.
Während in Mali in der Reinterpretation cubanischer Musik Flöten und Streicher eingesetzt wurden, letzteres begünstigt durch die in der traditionellen Musikkultur vorhandenen Streichinstrumente und die direkte Erfahrung von Musikern wie den Maravillas de Mali in Cuba, wurde im Senegal „nur“ die Musik reimportiert. Cubanische Instrumente wurden durch lokal vorhandene ersetzt. Einzig die Timbales tauchen hin und wieder auf. Meist wird jedoch der Rhythmus auf Djembe, Sabar und Cowbell gespielt – die Cowbell wird dann vom Schlagzeuger gespielt, nicht vom Perkussionisten. Die in der cubanischen Musik elementaren Instrumente Guiro und Claves sind so gut wie nicht zu finden, ebensowenig Streichinstrumente. In diesem Jahr (2005) setzte Gitarrist Yahya Fall unter begeistertem Applaus seiner senegalesischen Fans erstmals eine cubanische Tres ein, die ihm ein „salsainfizierter“ Amerikaner mitgebracht hatte.
Zur populären cubanischen Musik in Senegal wurden nach anfänglichen Imitationen bzw. teilweiser lautmalerischer Reproduktion der spanischen Liedtexte spätestens seit den 60er Jahren Wolof-Texte gesungen. Die Sons, Rumbas, Guarachas, Sambas etc. wurden auch sehr bald mit einheimischen Instrumenten wie der Tama senegalisiert. Die kulturelle Dekolonisierung betraf auch (zumindest an der Oberfläche) das Verhältnis zur cubanischen Musik, die politisch mit den Vorlieben der Kolonialherr(inn)en assoziiert wurde. Die melodischen Mbalax-Rhythmen der äußerst populären Ringkämpfe waren das dominante einheimische Element, das in die populäre Musik transponiert wurde; ohne Zweifel im Zuge kreativer Handlungen, um im Sinne eines kulturellen Nationalismus eine „wirklich senegalesische“, nationale Populärmusik zu schaffen. Der Name der Rhythmen wurde zur Stilbezeichnung für den seit der zweiten Hälfte der 70er Jahre quasi-hegemonialen populären Mbalax. Afrocubanische Musik geriet für mehr als ein Jahrzehnt in den Hintergrund.

Ab 1992 kann eine deutliche Rückbesinnung auf cuba-
    nische Musik erkannt werden. In den folgenden Jahren arbeiteten senegalesische Musiker an einer musikalischen Fusion, die dann als Salsa-Mbalax bezeichnet wurde. Die ersten, die mit dieser neuen Spielart Erfolg hatten, war die Gruppe Super Cayor de Dakar. Bezeichnend ist in diesem kreativen Prozess, dass die Plattensammlung des Bandleaders von Super Cayor, M‘Bol Cissé, die Hauptinspirationsquelle der „ReSenegalisierung“ afrocubanischer Musik in den 90er Jahren, ausschließlich aus US-Pressungen bestand, dass die senegalesische „Salsa“ der Folgezeit selbst aber eher „típico“ ist, näher an den früheren Varianten afrikanisch-cubanischer Musik z.B. eines Orchesta Aragon, Orchesta Original de Manzanilla oder den New Yorker Son-Variationen eines Johnny Pacheco als am neuen, schnelleren und möglicherweise „aggressiveren“ New York-„Sound“ der 70er, 80er und 90er Jahre. Allerdings waren auch Platten vom „Broadway Orchestra“ dabei, einer der in den 70er Jahren gegründeten cubanisch-newyorkinischen Bands, die den sanfteren Charanga-Klängen und -Rhythmen treu blieben. Ende der 90er Jahre waren in und um Dakar mindestens fünf Salsabands aktiv, die als Teil einer transatlantischen, aber auch westafrikanischen „Son/Charanga-Tradition“ gelten können: Super Cayor, African Salsa mit den Sängern Pap Fall (ex-Star Band) und Balla Sidibe (Orchestre Baobab), Africa 2000, geleitet von Mar Seck (ex-Star Band, ex-No.1 de Dakar), Super Sabador, geleitet von Nicolas Menheim (ex-Africando) und Doudou Sow (ex-Star Band, ex-No.1). Viele musikalische Moden wie Rhythm’n Blues oder Rock kamen und gingen in Senegals Musikkultur, wurden dort zeitweise akkomodiert, cubanische Musik dagegen kam (zurück) und ist geblieben.
Im Januar 2001 wurde die Aufnahme diplomatischer Beziehungen in Dakar gebührend gefeiert. Der cubanische Botschafter in Conakry, jetzt auch für den Senegal zuständig, konnte den Klängen der besten Soneros von Dakar lauschen – und er war beeindruckt, so beeindruckt, dass er die Musiker nach Cuba einlud. Diese Einladung der senegalesischen „Salsa“-Musiker nach Cuba löste so etwas wie die „cubanische Revolution der senegalesischen Salsa“ aus: Bands, die sich sonst im Ringen um Zuhörer und Ruhm gegenseitig ausstechen wollten, arrangierten gemeinsame Benefizkonzerte um das Geld für die Flugtickets nach Cuba zu verdienen, denn die Flüge waren im Angebot des cubanischen Botschafters nicht enthalten. Ein guter Teil des Geldes kam zusammen, die senegalesische Regierung legte den Rest dazu, und im Juli 2001 kamen sechzehn senegalesische „Salseros“ in Cuba an. Am Ende der Reise hatten sie acht Titel, eingespielt in den alten Egrem Studios in Centro Habana, mit im Gepäck (pam 407 – Los Afro-Salseros de Senegal en la Habana).
Als wir im Januar 2003 in Dakar ankamen, überraschte uns eine neue Entwicklung: Die Zusammenarbeit der „Afro-Salseros“ ging weiter, hatte jetzt auch eine neue Form gefunden: „La Nuit de Salsa chez Iba“. Jeden Montag ziehen die afecionados de salsa de dakar zu diesem Club im Vorort Dieupeul I., der sich reger Popularität erfreut. Jeder Sänger, der gerade vor Ort ist, kann drei Titel präsentieren, begleitet von der Band des Hauses. Yahya Fall, Gitarrist und Bandleader der bedeutenden Number 1 de Dakar, leitet diese Band. Sie war es auch, die im Sommer 2005 in Europa ihre neusten Versionen senegalesisch-cubanischer Musik präsentierte: die Bläser Ali Penda, Trompete (ebenfalls Number 1) und Issa Cissokho, Saxophon (Orchestre Baobab), Yahya Fall, Leadgitarre, Medoune Diop, Bass, Saliou Diandoum, Keyboard, Cheickh M’backé, Percussion, Falé Faye, Schlagzeug, und die Sänger James Gadiaga (Super Cayor de Dakar), Mar Seck (Salsa 2000, ex-Star Band) und Camou Yandé (Dakar Salsa Nacional und Super Sabado).
Was „afrikanische Salsa“ bzw. besser „afrikanischer Son“ genannt werden könnte, findet man außer im Senegal und in Mali in zahlreichen afrikanischen Ländern: Guinea Bissau, Benin, Ghana, wo für die lateinamerikanische Spielart die Bezeichnung „Pacheco“ um sich griff (!), der Elfenbeinküste, dem Kongo bis hin nach Kenia und Tansania zu Salum Abdallah und seiner Cuban Marimba Band. Den cubanischen Bezug zur reafrikanisierten cubanischen Musik in Afrika drückte Felix Chappotin in Bezug auf Dexter Johnsons Estrellas Africanas einmal so aus: „Ich erkenne da schon Variationen und einen gewissen Ausdruck einer Musik, deren alleiniger Besitzer ich nicht bin… wo beginnt und wo endet der Zugang zu dieser Musik?“ (Félix Loge Chappotin – Cuba, August 1979).