Schwelgen, trauern, schlucken

Mit dem Dokumentarfilm „Ein Traum von Revolution“ stellt Petra Hoffmann mehr Fragen, als dass sie Antworten gibt. Was ist geblieben, 45 Jahre nach einer der größten internationalistischen Bewegungen?

Nicaragua war damals „Beispiel und Hoffnung im Kampf für eine gerechtere Gesellschaft“. Das prägte die Debatten in der Bundesrepublik Deutschland, auch nach dem militärischen Sieg der Sandinist*innen gegen die Somoza-Diktatur 1979. Ein großer Teil der Solidaritätsbewegten ging noch lange den Weg über die „Mühen der Ebenen“ mit, wohl auch, weil man wirklich spüren konnte, wie sich die Sandinist*innen bemühten, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verändern – anders als in Cuba oder Vietnam.

Bald nach dem Sturz Somozas begannen sie eine landesweite Alphabetisierungskampagne, gesundheitliche Versorgung sollte allen Menschen zugänglich gemacht werden, und sie strebten eine Landreform an, um brachliegende Ländereien der Großgrundbesitzer an landlose Landarbeiter*innen und Kooperativen zu verteilen. Ebenso optimistisch machte das Zusammengehen mehrerer politischer Strömungen in der Regierungsjunta. Die Unterstützung kam aus aller Welt, angelehnt an die Internationalen Brigaden des spanischen Bürgerkriegs. Allein aus Westdeutschland reisten in den 1980er-Jahren 15 000 „Brigadist*innen“ zum Wiederaufbau des ausgebluteten Landes: Liberale, Grüne, Gewerkschafter*innen, Sozialdemokrat*innen, Linke und Kirchenvertreter*innen ernteten Kaffee und Baumwolle, bauten Schulen, Kindergärten und Krankenstationen. So manches erwies sich hinterher als trügerisch, manches illusionär, speziell hinsichtlich des wirtschaftlichen oder gar militärischen Nutzens (siehe Beitrag in der ila 473).

45 Jahre später stellen sich mit dem nötigen Abstand Fragen, die zumindest in Teilen beantwortet werden können.

Einige davon sind: Hat es sich gelohnt, und wenn ja, für wen? Gibt es etwas zu bereuen?

Wie konnte es dazu kommen, dass sich aus einer Befreiungs­bewegung mit hoffnungsvollen Ansätzen eine Diktatur entwickeln konnte, die kaum noch von der davor zu unterscheiden ist?

Was ist aus den Hoffnungen geworden, und was aus den Überlebenden in Nicaragua?

Was haben „wir“, im Herzen des Tigers, auch nicht hinbekommen, um Ländern wie Nicaragua die Handelsbedingungen zu ermöglichen, etwa beim Handel mit Kaffee, Bananen und Kakao, die Grundlage für Freiräume sind?

Der Dokumentarfilm „Ein Traum von Revolution“ zeichnet 40 Jahre Nicaragua-Solidarität nach und stellt diese Fragen Weggefährt*innen und Aktivist*innen von damals und heute. Ausgangspunkt ist die Solidaritätsszene in Münster. Wenn wir alt genug sind, begegnen wir vertrauten Gesichtern aus der Solidaritätsszene, immer noch und wieder kämpfenden Sandinist*innen und der Musik von Carlos Mejía Godoy. So könnte man zwischendurch in alten Erinnerungen und Träumen schwelgen, nachdenken, wofür wir uns engagiert haben, noch mal trauern ob der Toten, einige Deutsche und kaum zählbar viele Nicaraguaner*innen.

Natürlich konnte vieles nur fragmentarisch bleiben, vieles ist persönlich zusammengefügt aus dem Blick der Regisseurin Petra Hoffmann, die selbst einst Aktivistin war und „nichts bereut“. Und vieles ist – falls das noch nötig ist – ernüchternd.

Aus all diesen Gründen lohnt es sich, den Film anzusehen!

Ein Traum von Revolution

D 2024, Buch und Regie: Petra Hoffmann, Recherche und Beratung: Erika Harzer, 95 min., DCP deutsche OV, Kinostart: 11. April 2024