Dass Prominente aus dem Show-Business irgendwann ihre Erinnerungen veröffentlichen, ist nicht ungewöhnlich. Meistens handelt es sich dabei um Beschreibungen der verschiedenen Momente ihrer Karriere, häufig garniert mit einer ordentlichen Dosis Klatsch über bekannte KollegInnen. Adressaten dieser Bücher sind normalerweise die Fans, die mehr aus dem Leben ihrer Idole erfahren möchten. Die jüngst erschienene Autobiographie des Sängers, Entertainers und Schauspielers Harry Belafonte geht weit über dieses Muster hinaus. Zwar war der im März 1927 im New Yorker Stadtteil Harlem als Sohn jamaicanischer Eltern Geborene einer der erfolgreichsten Unterhaltungskünstler des 20. Jahrhunderts – nicht nur in den USA, sondern weltweit begeisterten sich Millionen von Menschen für seine Musik –, doch er war vor allem ein politischer Aktivist, der seit den fünfziger Jahren kontinuierlich in linken Zusammenhängen aktiv war. Er gilt als eines der bekanntesten Gesichter der afroamerikanischen Bürgerrechtsbewegung in den USA, und er war und ist ein umtriebiger Netzwerker, der AktivistInnen, KünstlerInnen und politisch Verantwortliche zusammenzubringen vermochte und weiterhin vermag.

Auch wenn er in den über 600 Seiten seiner Erinnerungen ausführlich über seine Karriere im Showgeschäft berichtet, nehmen seine Ausführungen über seine politischen Aktivitäten den breiteren Raum ein. Allein diese Darstellung einer über sechs Jahrzehnte erlebten Bewegungsgeschichte würde die Lektüre des Buches schon lohnen. Doch es gibt noch ein zweites Element, das diese Autobiographie besonders lesenswert macht: Wegen psychischer Probleme hatte er als junger Mann psychologische Hilfe gesucht. Nach einer zunächst höchst problematischen Erfahrung fand er in dem Psychoanalytiker Peter Neubauer einen Therapeuten, der ihn über Jahrzehnte begleitete. Das war nicht nur für Belafonte bedeutsam, sondern ist indirekt auch für die LeserInnen seines Buches ein ungeheurer Gewinn, weil der Autor das, was er getan hat und beschreibt, stets psychologisch geschult und kritisch reflektiert. Dadurch blickt er zwar selbstbewusst und meistens – zurecht – stolz auf sein Leben, tut das aber auch mit einer ordentlichen Portion Selbstkritik und mitunter auch Selbstironie.

Aufgrund Belafontes Herkunft und seines Engagements ist es nicht verwunderlich, dass seine Erfahrungen und seine Auseinandersetzung mit dem Rassismus sich wie ein roter Faden durch das Buch ziehen, und zwar nicht nur durch dessen „politische“ Passagen. Gerade die Darstellung seiner Erfahrungen im Show-Business machen deutlich, wie rassistisch die US-Gesellschaft bis in die 60er-Jahre war. Dass besonders in den Südstaaten der Klu-Klux-Klan und andere faschistische Organisationen Schwarze und später auch ihre weißen UnterstützerInnen in der Bürgerrechtsbewegung terrorisierten und ermordeten, ist weitgehend bekannt. Mir war allerdings vorher nicht klar, welches Ausmaß dieser Terror hatte. Neben dieser Darstellung der offenen Gewalt ruft Belafonte aber auch den Alltagsrassismus der USA der vierziger und fünfziger Jahre in Erinnerung. Etwa, dass schwarze KünstlerInnen die Hallen, in denen sie gastierten, nur durch den Hintereingang betreten durften, oder in den Hotels, wo sie die weißen Gäste unterhielten, selbst nicht übernachten durften oder dass es bis in die 60er-Jahre in Hollywood-Produktionen undenkbar war, schwarz-weiße Liebespaare zu zeigen, dass selbst Szenen, in denen sich ein schwarzer Mann und eine weiße Frau in einer dramatischen Situation an der Hand hielten, nachträglich herausgeschnitten wurden, weil der Film sonst einen Skandal produziert hätte. Schwarze mussten – so Belafonte – auf der Leinwand asexuelle Wesen sein, zumindest wenn auch weiße Frauen im Film auftraten. Ganz im Gegensatz zu ihrem mitunter martialischen Auftreten war das sexuelle Selbstbewusstsein der weißen US-Rassisten scheinbar extrem unterentwickelt.

Gegen die unzähligen Formen des Rassismus formierte sich ab Mitte der fünfziger Jahre die afroamerikanische Bürgerrechtsbewegung. In dieser gehörte Belafonte zu den engsten Mitarbeitern von Dr. Martin Luther King, dem 1967 ermordeten Führer des gemäßigten Flügels der Schwarzenbewegung, der im Gegensatz zu Malcolm X oder der Black-Panther-Party eine auf ein Bündnis mit den liberalen Weißen orientierte Strategie vertrat.

Auch nach ihrem Abflauen blieb Belafonte der Bürgerrechtsbewegung eng verbunden, setzte aber andere Akzente und engagiert sich heute besonders für und mit den Insassen von US-Gefängnissen. Über US-Knäste hat man schon einiges gehört, aber dennoch waren mir die Dimensionen nicht klar. Wer weiß schon, dass es in den USA heute 2,3 Millionen Strafgefangene gibt – fünfmal mehr als noch vor 30 Jahren – oder dass jeder dritte schwarze Mann zwischen 20 und 30 Jahren schon einmal im Gefängnis war. Belafonte arbeitet in diesem Thema übrigens mit der couragierten linken Anwältin Connie Rice, der Schwester der früheren rechten US-Außenministerin Condolezza Rice, zusammen.
Leider kann ich hier auf viele spannende Aspekte, die Belafonte in „My Song“ anspricht, nicht eingehen. Etwa seine Kindheit und Jugend, die er überwiegend bei seiner Großmutter und Verwandten auf Jamaica verbracht hat, seine Beschäftigung mit karibischer und afrikanischer Musik, seine Auseinandersetzung mit der Kritik, er habe sich bei den karibischen Calypsos bedient und sie ins Seichte verändert, sein Engagement für Afrika und in der Anti-Apartheid-Bewegung, seine Beziehungen zu den Kennedys und Nelson Mandela und vieles anders mehr. Aber das Buch ist gerade erst erschienen und wer alles daraus wissen möchte, kann es sich ja besorgen…

Harry Belafonte: My Song. Die Autobiographie, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2012, 656 Seiten, 24,99 Euro