Jorge Zepeda Patterson (Jg. 1952) ist ein bekannter mexikanischer Journalist und profunder Kenner und Analytiker der Zustände in seiner Heimat. Er hat zudem mehrere Romane veröffentlicht, deren Titel bereits auf die Hauptinhalte hinweisen. In Los Usurpadores und Los Corruptores geht es um die Wirklichkeit und politischen Zustände im heutigen Mexiko. Zusammen mit dem nunmehr auf Deutsch erschienenen neuen Roman „Milena oder der schönste Oberschenkelknochen der Welt“ bilden sie eine Trilogie, den Romanzyklus um die Blauen, einen einflussreichen Freundeskreis, dessen Mitglieder sich noch aus der Schulzeit kennen und die mittlerweile einflussreiche Persönlichkeiten (Journalist*innen, Politiker*innen, Geheimdienstleute oder Sicherheitsexpert*innen) sind.
Während sich Los Usurpadores und Los Corruptores auf die Korruption und Gewalt in Mexiko konzentrieren, liefert „Milena“ zudem tiefe Einblicke in Wirtschaftskriminalität, Menschenhandel und Geldwäsche an der spanischen Mittelmeerküste. Die dortigen Zustände kennt Zepeda nicht zuletzt aus seinen Erfahrungen als Wirtschaftsjournalist in Spanien, wo er jahrelang für renommierte Blätter schrieb, bevor er nach Mexiko zurückging und dort Zeitungen gründete, für Nachrichtenagenturen und Tageszeitungen arbeitete.
Die Handlung des ersten ins Deutsche übersetzten Zepeda-Titels ist schnell erzählt. Mit 16 erhält die hübsche Kroatin Alka ein Jobangebot in Berlin. Sie landet als Sexsklavin Milena in Marbella. Zehn Jahre lang muss sie ihren Körper an betuchte Vertreter der spanischen Oberschicht und des internationalen Jetset verkaufen. Als sie den granadinischen Rechtsanwalt Vila Rojas trifft, wendet sich Milenas Schicksal scheinbar. Sie räumt für ihn fortan Zeugen seiner mafiotischen Geschäfte aus dem Weg und gerät so bald in Konflikt zur russisch-ukrainischen Mafia an der Costa del Sol.
Vila Rojas schickt sie nach Mexiko. Dort lernt sie den Herausgeber der Tageszeitung El Mundo, Rosendo Franco, kennen. Der verliebt sich in sie, entreißt sie dem Menschenhändler und bietet ihr Schutz. Als Franco stirbt, kümmern sich Tochter Claudia und deren Freundeskreis, die Blauen eben, um Milena. Die hat Geschichten über ihre reichen Kunden in einem schwarzen Notizbuch festgehalten, die, sollten sie veröffentlicht werden, über enorme Sprengkraft verfügen und das Zeug haben, Karrieren zu ruinieren und manch einen wegen Korruption, Steuerhinterziehung und anderer krummer Geschäfte ins Gefängnis zu bringen.
Die schutzlose Milena taucht nach Francos Tod in Mexiko unter. Der hatte Claudia in einem testamentarischen Brief gebeten, sich um Milena zu kümmern und sie zu beschützen. Den Blauen gelingt es bald, Milena ausfindig zu machen, ihre spanischen Häscher zu identifizieren und diese mit Hilfe von Jaime Lemus, ehemaliger Direktor des Nachrichtendienstes und nunmehr Chef der größten mexikanischen Firma für Sicherheitstechnik, nach und nach umzubringen. Man sieht schon: Recht und Gesetz werden nicht gerade großgeschrieben.
Die turbulenten Ereignisse spielen im November 2014. Zum Begräbnis des Pressebarons Rosendo Franco tauchen PRI-Präsident Alonso Prida, ein Großteil seines Kabinetts und die Frauenrechtlerin und PRD-Oppositionsführerin Amelia Navarro auf. Die muss die Trauerfeier allerdings bald verlassen, weil sie „als nächstes ein langes und heikles Gespräch mit dem historischen Führer der Linken Andrés Manuel López Obrador erwartete, der sich vor Monaten von der PRD getrennt hatte“. Sie will mit ihm eine gemeinsame Linie zur anstehenden Haushaltsdebatte ausloten. In Prida ist unschwer der mexikanische PRI-Politiker und Ex-Präsident Enrique Peña Nieto auszumachen.
Der Roman ist stellenweise etwas langatmig geraten, die über 500 Seiten hätten auch um ein Drittel gekürzt werden können, ohne an Spannung einzubüßen. Alle, die auf Action, auf Sex and Crime stehen, kommen voll auf ihre Kosten. Der versierte Journalist Zepeda weiß schließlich, wovon er schreibt. Und der Stoff, Menschenhandel, Narcoterror und die Unterwanderung der mexikanischen Gesellschaft durch Drogenkriminalität, gibt auch viel her. Darüber hinaus werden Jetztzeit und Handlung immer wieder durch Rückblenden und Ereignisse aus Milenas Vergangenheit, die wiederum ganz eigene autonome Geschichten darstellen, und durch Zitate aus Milenas explosivem Notizbuch durchbrochen.
Gerade diese Passagen sind es, die all die Menschenverachtung und Frauenfeindlichkeit der international vernetzten Mafia aus Menschenhändlern, Narcoterroristen und Wirtschaftskriminellen offenbaren. In zehn kursiv gesetzten Kapiteln kommen die skrupellosen, im Kern verfaulten, aber nach außen immer honorigen Stützen der Gesellschaft zu Wort, reiche Wirtschaftsbosse, oberste Richter, Finanzdirektoren und auch ein Bischof, die sich über „Nutten“ und „Schlampen“ auslassen, sie schamlos ausnutzen und sich an ihnen eine goldene Nase verdienen.
Der Roman, für den Zepeda 2014 den Premio Planeta erhalten hat, beschränkt sich auf die knallharte Schilderung der brutalen Zustände in Spanien und vor allem in Mexiko, beides Länder, die laut Zepeda im Mafiasumpf zu versinken drohen. Auswege aus dem Desaster zeigt Zepeda nicht auf. Schade, denn eigentlich hätte man von dem „führenden politischen Analysten Mexikos“, so der Schweizer Verlag Elster, etwas mehr erwarten können. Aber vielleicht werden ja die beiden anderen Romane der Trilogie ein paar Antworten liefern.