Wie entziehen wir uns dem machtvollen Takt des Geldes? Wie schwingen wir uns ein in den Rhythmus des Lebens? Indem wir mehr und mehr Nahrhaftes und Gebrauchswertes selbst produzieren. Indem wir handwerken und geben ohne aufzurechnen. Indem wir radikal entkommerzialisieren, schreibt die Subsistenzforscherin und Soziologin Veronika Bennholdt-Thomsen. Sie entfaltet den Facettenreichtum des Subsistenzbegriffs in der handlichen quergedacht-Reihe des oekom-Verlags. Das ist dringend notwendig, da die Dinge, für die wir keinen starken Begriff haben, zu erodieren drohen. Doch die Subsistenz, das „unmittelbare, selbstversorgende und fürsorgliche Tun“ (S.45), verschwindet nicht. Sie wandelt nur ihre Form, erinnert die Autorin. Der Grund dafür liegt auf der Hand: „Ohne zu nähren und genährt zu werden, ohne zu pflegen und gepflegt zu werden, ohne sich zu kümmern und bekümmert zu werden, ohne zu schenken und beschenkt zu werden, können wir nicht existieren.“ (S.45/46) So rückt in den Blick, dass auch die Konkurrenzwirtschaft vom Bedürfnis nach sozialer Beziehung getragen ist. Das Drama ist, dass wir nicht mehr wissen, wie wir anders als geldvermittelt zueinanderkommen. Unser Umgang mit den Ressourcen und unser Umgang miteinander mündet(e) in eine „internationale Supermarktökonomie“, in der die unsichtbare Hand nicht gibt, sondern nimmt. Es geht ums Geld statt ums Leben.
Die folgenschwere Verwechslung zwischen dem Wert des Geldes und dem „wirklichen Wert“ hat unsere Kultur geprägt. Ursachen sind nach Bennholdt-Thomsen unter anderem die Geringschätzung der Frauenarbeit, die Hausfrauisierung der Lohnarbeit und die neurotische, kollektive Angst vor der Knappheit. Knappheit aber, hier fehlt es aufgrund der Kürze an Deutlichkeit, ist nicht den Ressourcen inhärent. Vielmehr ist sie immer Ergebnis unseres Handelns. Das Hauptproblem identifiziert Bennholdt-Thomsen jedoch im „moralischen Niedergang der Gesellschaft“. Wir lassen in einer Art „Verblendung“ die Dinge geschehen, wir ermöglichen die Konzerngewinne. Wir müssen „erwachen“ und der totalitären Warenwirtschaft etwas entgegensetzen. (Eine weniger missionarisch anmutende Wortwahl hätte vermutlich mehr Wirkung entfaltet.)
Zwar bleibt klar, dass die der kapitalistischen Warenproduktion und Geldwirtschaft inhärenten Logiken der „wirksamste Mechanismus zur Zerstörung der Subsistenz“ sind, doch die Leserin hockt schon leicht geduckt auf der Anklagebank: bis, in der Mitte des Büchleins, die Perspektive der Wiederaneignung eröffnet wird. „Wir können Frieden schließen, indem wir uns das, was notwendig ist zum Leben, wieder aneignen, und zwar in mehrfacher Weise“, geistig, weltanschaulich und durch Befreiung der Subsistenz aus der Unsichtbarkeit (S. 36/37). Sich selbst versorgen und handwerklich tätig sein, sagt Bennholdt-Thomsen, sei auch „ein Erkenntnisprozess“. Dieser verweise auf die Möglichkeiten der „Ermächtigung des Individuums gegenüber dem teuflischen System“ (S. 43). Die Leserin auf der Anklagebank hebt allmählich den Kopf.
Das Dilemma zwischen Kapitalismus abschaffen und reformieren ist obsolet geworden, konstatiert die Autorin zu Recht. Wir können uns selbstbewusst jenseits des Entweder-Oder bewegen. Wir können uns dem „maximierungswirtschaftlichen Zwang entziehen, indem wir nicht mehr mitmachen“ (S. 45). Der zentrale Hebel ist radikal gedacht: Geben und Nehmen müssen entkoppelt bleiben! Homo donans statt homo oeconomicus. Dieser Ansatz, den Feministinnen wie Genevieve Vaughan als evolutionäre Konstante ausmachen, ist für jede Gesellschaft lebensnotwendig: „Wenn für die (Klein-) Kinder nicht gesorgt würde, würden sie sterben, dann gäbe es keine Gesellschaft“ (S.48).
Die Leserin schaut – mit der Autorin – fragend nach vorn. „Kann eine komplexe Gesellschaft überhaupt entlang des Prinzips des bedingungslosen Gebens funktionieren?“ (S. 50) Ist ein Geben denk- und lebbar, welches nicht dominiert wird von einem auf das Ego ausgerichteten Tauschmaß, sondern das an den Bedürfnissen der anderen orientiert bleibt? In dem es nicht heißt: do ut des, „ich gebe, damit du gibst“?
Hier schlägt Bennholdt-Thomsen die lang erwartete Brücke zur Wissensallmende. Sie verweist unter anderem auf die Bewegung für Freie Software und Freies Wissen, in der dieses Entkoppelungsprinzip teilweise durchgesetzt ist. Sie erinnert, wie neue Jugendkulturen des Miteinanderteilens entstehen, und bringt zahlreiche Beispiele für den Widerstand gegen die Unterwerfung immer neuer Lebensbereiche unter die Tauschlogik. An dieser Stelle laufen der Subsistenzansatz und die neuen Bewegungen für die kulturelle Allmende zusammen, denn Geben ist „das Grundmuster“ der Kom-mun-ikation. Munus (lat.) bedeutet ‘Geschenk’. Eine Kultur, deren materielle wie immaterielle Kommunikation vom Prinzip des Gebens geprägt ist, geht statt von der Knappheit als sozialem Konstrukt von der Fülle aus. Sofern wir die Endlichkeit der Ressourcen im Blick haben, steht die Fülle der Natur und der Kultur „allen gleichermaßen zur Verfügung“ (S.51). Statt ‘Ein Dollar – ein Anteil’, heißt hier das Grundprinzip ‘Eine Person – ein Anteil’.
Dass die Gleichheit von Gabe und Gegengabe nicht durch ein Äquivalent bestimmt wird, ist deshalb so wichtig, weil die im Tauschdenken verinnerlichte Gleichung „ein rechnerisches Abstraktum [ist], der sinnlichen Erfahrung nicht mehr zugänglich. Auf diesem Weg wird auch die menschliche Verbindung abstrakt.“ Dabei steht die menschliche Bindung ebenso wie Nahrhaftigkeit und Nutzwert im Zentrum des Subsistenzansatzes. Sie gehört zu den Dingen, die nicht auf den Markt gehören.
Der Weg ins Freie liegt demnach dort, „wo wir die Teilhabe am Geldmechanismus aufkündigen“ (S. 72), radikaler noch dort, wo wir die Koppelung von Geben und Nehmen aufkündigen. Dass dies gelingt, zeigt die Wissensallmendebewegung. Und sie zeigt auch, „Entkommerzialisierung ist zuerst und vor allem eine Geisteshaltung“ (S. 55). An dieser Stelle wäre es hilfreich gewesen, darauf zu verweisen, dass in der Gegenwart 70-80 Prozent der materiellen Produktion aus Wissen, Ideen und Konzepten bestehen, dass also die Logik des bedingungslosen Gebens und die Logik des Teilens sich verbinden und weit in die materielle Produktion hineinreichen können.
Hier ergibt sich die Erweiterung der Subsistenzperspektive (die ich Commons-/Gemeingutperspektive nenne) jenseits der von Bennholdt-Thomsen stark gemachten Re-Ruralisierungoption. Zwar ist diese in „Geld oder Leben“ weit gesteckt, sie umfasst das „Zurück aufs Land“ ebenso wie die Ruralisierung der Stadt (etwa durch community gardening oder urbane Landwirtschaft) und die Veränderung der Stadt-Land-Beziehungen (etwa durch die bemerkenswerte Transition Town Bewegung), doch sie wird nicht den kulturkreativen Impetus entwickeln, den wir so dringend brauchen.
„Selbst und lokal“ reicht nicht mehr. Was wir brauchen, ist eine große Bewegung für das „uns allen gemeine“. Und das geht nur, wenn alle diskursiven und praktischen Ansätze der Entkommerzialisierung des Lebens zusammenkommen.
Veronika Bennholdt-Thomsen: Geld oder Leben – Was uns wirklich reich macht, Oekom Verlag, München 2010, 89 Seiten, 8,95 Euro