Ein wichtiges Thema im guatemaltekischen Wahlkampf war die Frage der Sicherheit, also der anvisierten Maßnahmen zur Bekämpfung der ständig wachsenden Kriminalität auf allen Ebenen. Hier hatte „der General“ (wie Pérez Molina weiterhin von seinen Anhängern genannt wird) auf den Slogan Mano Dura (Harte Hand) gesetzt. Dagegen stellte Alvaro Colom, der Neffe des 1979 von Militärs ermordeten Sozialdemokraten Manuel Colom Argueta, das Motto Mano Solidaria (Solidarische Hand). Als ehemaliger Direktor des Aufbaufonds für ländliche Entwicklung (FONAPAZ, von 1991 bis 1997) und als einer von drei Nicht-Mayas, die zum Maya-Priester geweiht sind, genießt Colom deutlich mehr Vertrauen innerhalb der ländlichen und der Maya-Bevölkerung als der Ex-General. Hinzu kommt die Tatsache, dass Colom bereits zum dritten Mal für das Präsidentenamt kandidiert hatte (1999 für das linke Bündnis ANN, in dem auch die entmilitarisierte Guerilla URNG zu großen Teilen politisch organisiert war, 2003 und 2007 dann mit der von ihm selbst gegründeten UNE).

Interessant am Wahlausgang ist die Tatsache, dass die mit Colom verbundene Hoffnung auf bessere wirtschaftliche Perspektiven auf dem Land sich letztlich als entscheidend erwiesen hat. Colom hat in seinem Wahlprogramm unter anderem versprochen, einen Schwerpunkt auf soziale Gerechtigkeit und ländliche Entwicklung zu setzen, was in den Augen vieler WählerInnen offensichtlich noch wichtiger war als das Thema Kriminalität. Wahrscheinlich haben auch Befürchtungen vieler eine Rolle gespielt, dass ein Militär als Präsident die Gefahr eines noch weiteren Erstarkens der „alten Machtzirkel“ berge. Das große Problem in Guatemala sind die sogenannten „Parallelen Machtstrukturen“ (poder paralelo), die aus Militärs, Geheimdienstlern, Ex-Militärs, Paramilitärs, Drogen- und Menschenhändlern und anderen Mafiastrukturen bestehen und in allen gesellschaftlichen Bereichen fest verwurzelt sind – nicht zuletzt auch in der Partei Coloms.

So ist Colom nicht idealisiert als „Linker“ oder gar „Präsident der Armen“ misszuverstehen, wie es in der hiesigen Presse teilweise vermittelt wurde. Er bezieht sich selbst auf die sozialdemokratische Tradition seiner Familie, gilt als integer, beharrlich und besonnen sowie als ein intelligenter Vermittler. Somit ist er als Persönlichkeit glaubwürdig, was aber für das Umfeld seiner Partei nicht gilt. Hier liegt eine große Schwäche seiner Position: Er hat sich mit Personen umgeben und von Menschen unterstützen lassen, die zu den parallelen Machtstrukturen gehören. Bei der Verteilung der Kongressmandate seiner Partei wie auch der politischen Ämter in der neuen Regierung zeigt sich, welchen Preis er dafür zahlt. Am 1. Dezember soll das Kabinett vorgestellt werden, das dann im Januar 2008 die Regierung übernehmen wird. Danach stellt sich die Frage, was er mit diesem Team von seinem vage gehaltenen Wahlprogramm zur „Politik sozialer Gerechtigkeit“ umsetzen können wird. Außerdem bildet die UNE im Kongress mit 51 von 158 Abgeordneten zwar die größte Fraktion, für die Bildung von Mehrheiten ist sie jedoch v.a. auf die rechten Parteien GANA (der jetzigen Regierung Berger) und PP angewiesen.

Eine immense Herausforderung liegt in der Reform des Justizsystems einschließlich der Polizei Guatemalas. Beide gelten als extrem von der organisierten Kriminalität korrumpiert bzw. kontrolliert. Ohne einschneidende Maßnahmen gegen die seit Jahrzehnten herrschende Straflosigkeit wird eine Politik der sozialen Gerechtigkeit nicht wirksam erreichbar sein. Hinsichtlich der Pläne für die ländliche Entwicklung hat Colom angekündigt, Gelder für diesen Bereich zu bündeln und dazu noch erhebliche Summen an Unterstützung bei der internationalen Gemeinschaft einwerben zu wollen. Diese Gelder sollen dann direkt in ländlichen Gebieten investiert werden, ohne jedoch strukturelle Reformen anzugehen, wie es zum Beispiel die Themen Zugang zu Land oder Lösung von Landkonflikten zugunsten von Kleinbauern sein könnten. Das führte in Guatemala zur Einschätzung Sozialdemokratie light. 

Nach der Wahl hat Colom angekündigt, er habe zwar noch nicht entschieden, wie viele Indigenas und wie viele Frauen er in sein Kabinett berufen werde, aber er versprach, dafür zu sorgen, dass „kein einziger Rassist und kein einziger Macho“ zu seiner Regierung gehören werde. Auch wenn offen bleibt, wie das denn sichergestellt werden soll, erkennt er damit immerhin das gesellschaftliche Problem der Unterdrückung von Frauen und Indígenas an. Ganz anders klingt die Position der Gegenseite zu dieser Frage. Ricardo Cayo Castillo, der Kandidat für das Amt des Vizepräsidenten unter Pérez Molina, erklärte kurz vor dem Wahlgang am 4. November, er könne nicht glauben, dass jemand behaupten könne, es gäbe Rassismus in Guatemala, deshalb sei eine Politik der Bekämpfung des Rassismus völlig überflüssig. Das gleiche gilt laut Cayo für die bilinguale Bildung. Diese sei, wenn überhaupt, dann spanisch-englisch zu fördern, weil dieser „Unterricht in Herkunftssprachen reine Zeitverschwendung“ sei. Insofern ziehen viele Beobachter nach dem Ausgang der Stichwahl zwischen Colom und „dem General“ das Fazit: menos mal – in Sinne von „noch mal gut gegangen“ oder „das Schlimmste noch mal verhindert“. 

Es gibt keine hohen Erwartungen an Colom, dass er es wirklich schaffen könnte, die großen Probleme in den Griff zu bekommen. Allerdings stellen kritische Beobachter bereits die Frage, wer und was denn in vier Jahren nach Colom kommt – falls dieser seine Amtszeit durchhält, was nicht sicher ist. Wenn er sich wirklich vornehmen sollte, strukturelle Reformen im Justizbereich oder im wirtschaftlichen Feld in Gang zu setzen, wird er extrem gefährlich leben. Und Pérez Molina hat, wenn er dann in vier Jahren nochmals antreten sollte, gute Chancen, der Nachfolger von Colom zu werden.

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