Unter dem Titel Los Muros en Haití Hablan (Die Mauern in Haiti sprechen) haben Egido Sanz und Laura Moreno Segura eine Fotoausstellung mit GraffitikünstlerInnen aus Haiti zusammengestellt.
Egido Sanz lebt seit sieben Jahren in Haiti, wo sie in der Entwicklungszusammenarbeit tätig ist, meist im ländlichen Raum. Ihr Thema ist die stärkere Beteiligung der Zivilbevölkerung an politischen Gremien und Entscheidungen. Im Jahr 2012 begann sie, Wandbilder zu fotografieren, deren Botschaften sehr viele Menschen erreichen, die aber oft so schnell verschwinden, wie neue Graffitis wieder entstehen. Mit Hilfe der Fotos bleibt zumindest eine Erinnerung. 2013 lernte sie Laura Moreno Segura kennen und zusammen entwickelten sie die Ausstellung. Laura Moreno studierte in Bogotá und Barcelona Politik und internationale Beziehungen. 2008 begann sie eine Untersuchung über die Mission der Vereinten Nationen in Haiti und im Rahmen ihrer Doktorarbeit untersuchte sie die ersten vier Jahre des Wiederaufbaus nach dem Erdbeben in Haiti.

Die Ausstellung zeigt die künstlerische und kulturelle Vielfalt der Street-Art an den Wänden der Hauptstadt Port-au-Prince. Wandbilder sind nicht nur Kunst für alle, sie fördern zugleich die Demokratie. Sie ermöglichen auch denjenigen, die normalerweise von den Kreisen ausgeschlossen sind, in denen Informationen entstehen und weitergegeben werden, politische und kulturelle Inhalte wahrzunehmen sowie über die aktuelle Gesellschaft, ihr Funktionieren und ihre Zukunft nachzudenken. Kunst wird so zu einem Kommunikationskanal und trägt zur Sensibilisierung bei. In diesem Sinne haben die beiden Kuratorinnen die Fotos der Wandbilder zusammengestellt. Es geht vor allem um Bilder mit Botschaften, die nicht in den Schlagzeilen der Medien erscheinen, deren Aussagen jedoch das soziale und politische Bewusstsein der Bevölkerung ans Licht bringen, ebenso ihre ungeheure Kreativität. Egido Sanz’ Fotos von den Graffitis geben nicht nur der haitianischen Bevölkerung eine Stimme, sondern tragen auch dazu bei, das immaterielle Erbe der HaitanerInnen zu erhalten.
Bisher wurde die Ausstellung an zwei Orten in Barcelona (Kulturzentrum del Born im Juli und Asociación Aurea Social im Oktober 2014) und in Madrid 2015 im Congreso Iberoamericano de Antropología sowie in der Galerie El Dinosaurio todavía estaba allí gezeigt. Dort wurden jeweils zwölf große Farbfotografien (11 in der Größe 60 x 90 cm und eine in 105 x 162 cm) ausgestellt.

Folgende haitianische KünstlerInnen aus Port-au-Prince waren beteiligt: Jerry Rosembert, unbekannte KünstlerInnen aus der Stadt Jacmel, Gary und Assaf sowie die magisch-religiösen Bilder der StraßenkünstlerInnen aus dem Bel Air-Viertel. Damit konnten verschiedene Stile der haitianischen Graffitikunst gezeigt werden. Zugleich erzählen die Bilder verschiedene Geschichten.
Die Bilder von Jerry Rosembert sind sehr vielschichtig und enthalten zahlreiche Symbole, sowohl aus der haitianischen (Bild-)Geschichte als auch aus der zeitgenössischen Kunstwelt. Die Bilder zeigen die Verwirrung und Enttäuschung über die Wiederaufbauprogramme der Entwicklungszusammenarbeit nach dem Erdbeben 2010; manche Bilder sind aber auch voller Hoffnung, wie er selber sagt, „zeigen sie der Welt, dass die HaitanerInnen starke und kraftvolle Menschen sind… ein Volk im Widerstand“. Sie zeigen, dass ein anderes Haiti möglich ist.

Assaf ist ein junger Lehrer, der sich selbst das Zeichnen beibrachte und dann Kinder darin in Sommercamps unterrichtete, vor allem in Les Cayes. Auch seine Bilder sind vielschichtig, vor allem aber malt er großflächige Porträts von bekannten und unbekannten Personen. Er arbeitet fast immer mit dem Graffitikünstler Gary zusammen, der zurzeit Kunst in Haiti studiert. Ihre Graffitis entstehen nicht in einem Stück, weil sie immer dann arbeiten, wenn nicht so viele Menschen unterwegs sind, allerdings nicht nachts, weil das zu gefährlich wäre. Für sie ist ihr Kunstschaffen keine Arbeit, denn sie können nicht davon leben. Es ist ein Hobby, das ihnen Spaß macht, eine Gemeinschaftsarbeit, allerdings eine kostspielige, denn das benötigte Material wird importiert und ist in Haiti sehr teuer. Nur sporadisch bekommen sie Unterstützung.

Bel Air ist ein Viertel in Port-au-Prince, das sehr unter dem Erdbeben 2010 gelitten hat. Zugleich ist es ein ganz besonderer Ort, hier leben sehr viele KünstlerInnen, KunsthandwerkerInnen, MusikerInnen, TänzerInnen, Bildhauerinnen usw. In einer Erinnerungszeremonie an verschiedene Menschen und FreundInnen aus dem Viertel entstand 2007/2008 ein großes Wandbild rund um eine Schule, an der sich verschiedene KünstlerInnen beteiligten. Es wurde bei dem Erdbeben zerstört, aber manche Wände stehen noch und zeigen Teile dieser von religiösen und politisch-sozialen Symbolen geprägten Kunst.