Talentsuche mit Tücken

In São Paulo ist Paul Breitner ein gern gesehener Gast. An einem sonnigen Aprilsamstag kam der Weltmeister von 1974 und „Markenbotschafter“ aus München bereits zum zweiten Mal innerhalb eines halben Jahres zu einem Blitzbesuch in die subtropische Megametropole, um den FC Bayern Youth Cup zu promoten.

Bei der Bewertung des brasilianischen Fußballs gab sich Embaixador (Botschafter) Breitner ganz undiplomatisch: „Brasilien spielt heute nicht mehr die erste, ja nicht einmal mehr die zweite oder dritte Geige. Die Brasilianer haben sich auf ihren Lorbeeren ausgeruht, sie sind vor zehn Jahren stehengeblieben und spielen einen Fußball von gestern. Der Fußball des 21. Jahrhunderts wird in Europa gespielt“ (da aber vor allem in Spanien und in der Bundesliga: Auch der Fußball den englischen Premier League sei „langweilig, von gestern“, erklärte er Wochen später im britischen Kanal ITV).

Da ist was dran, doch die Ursachen für die Misere des brasilianischen Fußballs sind auch und vor allem struktureller Natur. Der Export der größten Talente nach Europa ist immer noch die Regel, auch wenn sich dieser Trend im Zug der Finanzkrise in Europa und der Wachstumsphase im Brasilien der Nullerjahre deutlich verlangsamt hat. Graviernender dürfte die verkrustete Struktur des Spielbetriebs sein, wo korrupte Verbandsfunktionäre, Regionalfürsten und TV Globo den Ton angeben. Beispielsweise wird die brasilianische Liga mit 38 Spieltagen in gerade sieben Monaten durchgezogen.

„Für mich sind die Frisur oder die Kleidung nebensächlich“, meinte der Ex-Afro-Träger Breitner gewohnt trocken auf die Anregung eines Reporters, die „fünf Top-Frisuren“ unter den Aktiven der Gegenwart zu küren, „aber meine frühere Frisur kommt ja wieder in Mode, wie man am brasilianischen Bayern-Spieler Dante sieht.“ Und ob es – ähnlich wie in Brasilien oder in Kolumbien – auch in Deutschland Spieler mit dem Namen Breitner gebe? „Nein, bei den deutschen Spielern sind Künstlernamen unüblich und Kinder dürfen auch nicht mit Nachnamen getauft werden.“

Zur brasilianischen Endausscheidung des bereits zum zweiten Mal organisierten FC Bayern Youth Cups kamen die Mannschaften der drei deutschen Auslandsschulen Corcovado (Rio de Janeiro), Humboldt und Porto Seguro (jeweils São Paulo) sowie die der Schulen Pastor Dohms (Porto Alegre) und Benjamin Constant (São Paulo), an denen ebenfalls Deutsch unterrichtet wird.

„In Indien spielen Jugendliche aus den Slums mit, die sonst nie eine Chance hätten“, sagte Breitner der ila, und in Österreich kämen beispielsweise Talente aus Wiener Arbeiterbezirken zum Zug. In der Tat hat der Youth Cup in manchen Ländern durchaus soziale Ansätze. Die zehn österreichischen Spieler zwischen 12 und 16, die zur Endausscheidung nach München fuhren, stammen allesamt aus sozialen Einrichtungen, die deutschen aus den Teams der „interkulturellen Straßenliga buntkicktgut“ aus München.

Anders in Brasilien: Zwar verfolgte Bayern-Botschafter und -Scout Breitner in der prächtigen Sportanlage der Porto-Seguro-Schule viele der 20-minütigen Spiele aufmerksam vom Spielfeldrand aus, doch für die Talentsuche außerhalb des etablierten Vereinsbetriebs scheint diese Variante des Youth Cups kaum sinnvoll. Federführend war nämlich die deutsch-brasilianische Industrie- und Handelskammer. Für die Auswahl der Teams gaben ganz offensichtlich die Interessen der Sponsoren Audi und der auch beim Staudammprojekt Belo Monte engagierten Allianz-Versicherung den Ausschlag, die ihre Präsenz in São Paulo, Rio und Porto Alegre ausweiten wollen. So gab es nicht nur die üblichen überdimensionierten Werbestellwände, sondern die Jugendlichen mussten in Laibchen mit den Sponsorenlogos über ihren Schultrikots spielen.

Hochverdient siegte die Auswahl von Benjamin Constant, die Anfang Juni zur Endrunde nach München fahren durfte. Bezeichnenderweise war die Mannschaft – wie auch die Schule aus dem paulistaner Mittelschichtsbezirk Vila Mariana – in ihrer ethnisch-sozialen Zusammensetzung deutlich gemischter als die der drei praktisch vollständig „weißen“ deutschen „Begegnungsschulen“.

Neben „Brasilien“ nahmen an der diesjährigen Endrunde in München Teams aus China, Deutschland, Italien, Japan, Österreich und Russland teil. Ob sich die Bayern bei der kommenden Ausgabe ihres Youth Cups im WM-Jahr 2014 auch in Brasilien um Straßenfußballtalente bemühen?