Tauziehen um Sitz im UN-Sicherheitsrat

Der UN-Sicherheitsrat besteht aus fünf ständigen und zehn nichtständigen Mitgliedern der Vereinten Nationen. Jedes Jahr wird die Hälfte der Nichtpermanenten von der UN-Generalversammlung auf zwei Jahre gewählt. Diese werden aus regionalen Gruppen ausgewählt. Lateinamerika verfügt über zwei Sitze, die derzeit Argentinien und Peru einnehmen, wobei erstgenanntes Land Ende des Jahres ausscheiden wird.

Normalerweise würde Lateinamerika seine Teilnehmer unter sich ausmachen. Dieses Jahr ist dies anders, weil die US-Regierung die Kandidatur Guatemalas unterstützt, um den Einzug Venezuelas in den Sicherheitsrat verhindern. Im Gegensatz zu Venezuela gilt Guatemala als treuer Verbündeter der USA.
Der Erklärung Russlands und des Mercosur waren monatelange Bemühungen der US-Regierung vorangegangen, eine Unterstützung der venezolanischen Kandidatur durch andere Länder zu verhindern. 

Nach Berichten von CNN hat die Bush-Administration in einem weltweit verbreiteten Positionspapier an die eigenen Botschaften ihre Vorbehalte gegenüber einem Sitz Venezuelas im höchsten UN-Organ dargelegt, welches an die gastgebenden Regierungen weitergereicht worden sei. Der englische Guardian geht sogar von Drohungen Washingtons aus, Sanktionen gegen lateinamerikanische Länder zu verhängen, die Venezuelas Kampagne unterstützen. So sei etwa Chile angedroht worden, seine Piloten nicht beim Flugtraining der von ihm erworbenen US-amerikanischen Kampfflugzeuge F-16 zu unterstützen. Offiziell begründen US-Diplomaten wie UN-Botschafter John Bolton ihre Ablehnung der Kandidatur Venezuelas mit der destruktiven Rolle, die Cuba während seiner Zeit als Mitglied des Sicherheitsrats gespielt habe. „Die USA würden lieber eine verantwortungsvolle Regierung im Rat haben.“ Verantwortungsvoll heißt in diesem Sinne, den politischen Interessen Washingtons zu entsprechen.

Dabei geht es um strategische Anliegen der US-Außenpolitik. Deren diplomatische Offensive zielt darauf ab, Venezuela eine Stimme und eine Plattform für seine Vorbehalte gegenüber der US-Politik vorzuenthalten – zu einem Zeitpunkt, zu dem die USA eine Konfrontation mit dem Iran wegen dessen Atomprogramm erwarten. Auch wenn die US-Bourgeoisie durch unilaterale Vorgehensweisen wie im Irak demonstriert hat, dass ihr die Zustimmung des UN-Sicherheitsrats in außenpolitischen Fragen zunehmend gleichgültig ist, kann ein Widerstand Venezuelas in diesem Gremium dazu beitragen, international Opposition gegenüber einer etwaigen Militäraggression gegenüber Iran zu formieren und nicht durch das Völkerrecht gedeckte Vorgehensweisen der Bush-Regierung vor der Weltöffentlichkeit zu delegitimieren. 
Darüber hinaus würde die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat Venezuela einen einmonatigen Vorsitz des Gremiums einräumen. Washington befürchtet, dass ihn die Regierung Chávez als Forum für die Präsentation einer alternativen Weltwirtschaftsordnung nutzen könnte, die von einigen Staaten des Südens eventuell unterstützt werden könnte, um die von den Industriestaaten gegenüber den Entwicklungsländern diktierte Weltwirtschaftsordnung zu ächten. 

Nach Meinung von Experten am Council on Hemispheric Affairs (COHA) dürfte die diplomatische Offensive der US-Regierung jedoch fehlschlagen. Da die US-Diplomaten schon bei ihrem Versuch scheiterten, Venezuela innerhalb Lateinamerikas zu isolieren, und weil das Land durch seine Petrodollars selbst in der Lage ist, internationale Lobbyarbeit zu betreiben, sei es ihm möglich, dem Druck Washingtons außenpolitisch zu begegnen. Falls Guatemala und Venezuela ihre Kandidatur bis zum Oktober aufrechterhalten sollten, wird die Entscheidung über ihre Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat in der 192 Mitglieder umfassenden Generalversammlung im Herbst in geheimer Wahl fallen müssen. Um sich durchzusetzen, benötigen sie eine Zweidrittelmehrheit, also 128 von 192 Stimmen.

Der europäische Staatenblock und die USA verfügen über 50 Stimmen und diese werden wohl ganz überwiegend Guatemala zufallen. Die 33 Staaten Lateinamerikas dürften mehrheitlich eher für Venezuela votieren, genau wie die 53 Staaten Afrikas. Unsicherheit herrscht noch bei den 54 Staaten Asiens, die hinsichtlich ihrer Präferenzen als gespalten gelten, wodurch der Wahlausgang derzeit völlig offen ist.
Unabhängig vom Ausgang der Wahl in der Generalversammlung der UNO hat die Resolution des Mercosur jedoch den außenpolitischen Rückhalt aufgezeigt, den die Regierung Venezuelas in Südamerika besitzt und parallel die politische Geschlossenheit des südamerikanischen Wirtschaftsgemeinschaft in außenpolitischen Fragen demonstriert. Nach dem zumindest partiellen Scheitern der ökonomischen Freihandelspläne der US-Regierung auf dem Lateinamerikagipfel in Mar del Plata im letzten Dezember ist das offene Votum der Staaten des Mercosur für Venezuela ein weiteres Indiz für den sinkenden Einfluss der USA in der Region.