Tod eines puertoricanischen Revolutionärs

Seit 15 Jahren wurde der 72-Jährige von der US-Polizei gesucht. Der Tag, an dem er in seinem Versteck zusammengeschossen wurde, war sicherlich mit Absicht gewählt, denn am 23. September 1868 begann mit dem „Schrei von Lares“ der antiimperialistische Befreiungskampf der Boricuas, der Einwohner der viertgrößten Karibikinsel, gegen das spanische Imperium. Nachdem die Regierung Puerto Ricos sich „frei an die USA assoziierte hatte“, wurde der Kampf von der Linken im Land bewaffnet fortgesetzt.

Filiberto Ojeda Ríos wurde im April 1933 in Naguabo, einer Kleinstadt in Puerto Rico, geboren. Der Trompeter und Gitarrist schloss sich in den sechziger Jahren der Unabhängigkeitsbewegung seines Landes an. 1967 war er einer der Gründer des Movimiento Indepentista Armada (MIRA). Nach seiner ersten Verhaftung 1970 gelang ihm die Flucht aus dem Gefängnis. In New York gründete er mit anderen Puertoricanern die „Fuerzas Armadas de Liberación Nacional“ (FALN), die sich dann 1976 in das Boricua Volksheer umbenannten. „Los Macheteros“ wurden sie im Volksmund genannt – „die mit der Machete arbeiten“. „Ojeda Ríos war unser Che Guevara“, würdigte Dylcia Pagán, der zwei Jahrzehnte in US-amerikanischen Gefängnissen als „politischer Gefangener“ einsaß, seinen Weggefährten. Pagán wurde 1999 vom damaligen US-Präsidenten Bill Clinton begnadigt.

In den achtziger Jahren machte das Volksheer Boricuas mit militanten Angriffen auf staatliche und militärische Einrichtungen der USA sowohl in Puerto Rico als auch in den USA von sich reden – heute soll es noch über 1000 Mitglieder zählen, davon auch eine Zelle in den USA selbst unter den puertoricanischen MigrantInnen. Unter anderem sprengte das EPB auf der US-Luftwaffenbasis Múñiz elf Jagdflugzeuge in die Luft. Filiberto Ojeda Ríos war am 12. September 1982 in Hartford, Connecticut, an einem der größten Banküberfälle in der Geschichte der USA beteiligt. 7,2 Millionen US-Dollar holten Ríos und 18 GenossInnen des EPB aus Geldschränken des Geldinstituts Wells Fargo Depot zur Finanzierung der Befreiungsbewegung heraus. Nur 80 000 US-Dollar wurden jemals wieder gefunden.

1985 wurde der so genannte Chef des „Volksheeres Boricuas“ nach einem Schusswechsel in Connecticut festgenommen. Drei Jahre später wurde er unter Auflagen vorübergehend freigelassen, jedoch gezwungen, eine elektronische Fußfessel zu tragen. 1990 befreite er sich von der Elektrofessel und ging erneut in den Untergrund. Ein US-Gericht verurteilte Filiberto Ojeda Ríos dann 1992 „in Abwesenheit“ zu einer Gesamtstrafe von 55 Jahren. Seit dem tauchten die Spuren von Ríos immer wieder auf. Am 23. September pflegte er fast regelmäßig in seinem Versteck in den Bergen Puerto Ricos Journalisten zu empfangen, um an die Unabhängigkeitsbewegung des Landes zu erinnern und die Befreiung der Insel von den USA zu fordern. 137 Jahre nach dem „Grito de Lares“ hatte das FBI wohl seine Spur aufgenommen. In der Region von Plan Bonito, wo Ríos mit seiner Lebensgefährtin Beatriz Rosado und seinem Hund, der ebenfalls erschossen wurde, lebte, zog sich der Ring um ihn zusammen, gepanzerte Fahrzeuge und Mitglieder der Bundespolizei brachten sich in Stellung.

Zwar wurde der EPB-Chef noch gewarnt, fliehen konnte er jedoch nicht mehr. Seine Lebensgefährtin verließ das Versteck, wurde misshandelt und inhaftiert – sie wurde am folgenden Tag freigelassen. In einem Telefonat informierte Ríos GenossInnen, dass er den Eindruck habe, er werde diese Festnahme nicht überleben. Er hatte Recht. Mindestens 100 Schuss, so berichten puertoricanische Zeitungen, wurde von FBI-Agenten abgegeben. Nach offiziellen Informationen wurde er bei dem Schusswechsel verletzt, der der Erstürmung seines Verstecks vorausging. Er sei den schweren inneren Verletzungen durch einen Schuss erlegen, heißt die offizielle Version. In Puerto Rico sind sich die Mitglieder der Unabhängigkeitsbewegung sicher, dass man den Comandante Filiberto Ojeda Ríos hat verbluten lassen.

„Filiberto Ojeda“ heißt es in einem Nachruf, „war schuldig, Stapel von Geldscheinen aus den Banken herausgeholt zu haben, um die Träume von Befreiung zu finanzieren; sich von seinen Elektrofesseln befreit zu haben; illegalerweise die Träume der Insel des Agueybaná (ein Kazike in Boricua – Anm. hud) in sich getragen zu haben; das ihm Nächste geliebt und für seine Freiheit gekämpft zu haben: das puertoricanische Volk.“ Und Antonio Camacho, der 15 Jahre wegen seiner Beteiligung an dem Raubüberfall auf Wells Fargo inhaftiert war, kommentierte trocken: „Sie wollen die Leute herabwürdigen, damit sie nicht symbolische Daten begehen.“