Öl ist das wichtigste Exportgut Ecuadors, seine Verkaufserlöse decken etwa 40 Prozent der Staatsausgaben. Im globalen Maßstab ist Ecuadors Anteil von 0,7 Prozent der Weltreserven allerdings wenig bedeutend. Eines der ersten Dekrete der neuen Regierung setzte in Gang, was in den Seilschaften der Vorgängerregierung versackt war: ein Abkommen mit Caracas über den Austausch von ecuadorianischem Schweröl gegen venezolanisches Diesel. Daran ist nichts Revolutionäres, lediglich die Mittelsmänner werden ausgeschaltet. Venezuela verdient mehr an dem Verkauf als früher, Ecuador zahlt weniger. Für die ersten drei Lieferungen im März kalkuliert Alberto Acosta mit Einsparungen von 2,1 Millionen US-Dollar. Ressourcen, die sein Präsident dringend braucht, um die unstrittige Sympathie für ihn im Land auch in Stimmen für die angestrebte Verfassunggebende Versammlung umzusetzen und um seine Politik gegen den oppositionellen Kongress durchzusetzen. Und in der Tat wird bei allen bislang auf den Weg gebrachten Sozialprojekten – Verdoppelung des Bono Solidario für die eine Million Ärmsten auf 30 Dollar im Monat, Verbreiterung eines sozialen Wohnungsbauprogramms, Millioneninvestitionen in den vernachlässigten Gesundheits- und Bildungssektor – auf eine Quelle zur Finanzierung verwiesen: das Erdöl.
Die vergangenen Wochen waren in Ecuador bestimmt von einem massiven Konflikt um das für den 15. April vorgesehene Referendum zur Verfassunggebenden Versammlung. Die reaktionäre Parlamentsmehrheit – die Kräfte um Correa hatten die Parlamentswahlen im Oktober 2006 boykottiert – unter faktischer Führung des gestürzten Ex-Präsidenten Gutiérrez versuchte, den Prozess so lange wie möglich zu verzögern – offenbar damit Correa der Atem ausginge. Als der Vorsitzende der Obersten Wahlaufsichtsbehörde TSE, von Gutiérrez ins Amt gehievt, gegen dessen ausdrücklichen Wunsch den Wahltermin 15. April bestätigte, wollte die rechte Kongressmehrheit ihn kurzerhand ersetzen. Ein Verfassungsbruch, den die Mehrheit des TSE nicht mittrug, sondern stattdessen wiederum die Mehrheit der Abgeordneten suspendierte – auch das ist juristisch zumindest umstritten. Die Regierung Correa lachte sich ins Fäustchen und setzte die Suspendierung der Abgeordneten mit Polizeigewalt durch. Während viele BeobachterInnen vor einer weiteren Erosion der Institutionen, einer Polarisierung und dem Verfall der politischen Kultur warnen, besteht kein Zweifel, dass die große Mehrheit der EcuadorianerInnen der Abgeordneten überdrüssig ist und auf die Verfassunggebende Versammlung setzt.
Alberto Acosta geht im folgenden Interview auf seine Pläne und ersten Maßnahmen im Öl- und Energiesektor ein und präsentiert überraschende Vorschläge, wie man Öl nicht fördert, aber damit – möglicherweise – doch Devisen verdienen kann. Er diskutiert zudem ausführlich Chancen und Grenzen der geplanten Verfassunggebenden Versammlung.
Ist dies ein Interview mit einem Minister einer linken Regierung?
Ich denke, ja, es ist eine linke Regierung. Es ist eine Regierung, die sich vorgenommen hat, das Blatt zu wenden, die lange Nacht des Neoliberalismus oder besser: den neoliberalen Tsunami zu beenden.
In der internationalen Presse wird viel über den Charakter der ecuadorianischen Regierung spekuliert. Wie würdest du die Regierung im lateinamerikanischen Kontext verorten: auf Seiten des eher radikalen Lagers von Chávez und Morales oder eher im moderaten Lager von Lula und Bachelet?
Dies erscheint mir eine simplifizierende Kategorisierung, die eher Klischees als der Realität folgt. Man muss den lateinamerikanischen Kontext sehen. Die meisten Länder des Kontinents, nicht alle, sind in einem Prozess der Überwindung des Neoliberalismus. So sind wir in Ecuador noch nicht auf dem Weg zu einem modernen Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wir sind bestenfalls dabei, aus der langen Nacht des Neoliberalismus zu entschlüpfen. Die Realitäten Chiles, Venezuelas und Ecuadors beispielsweise lassen sich nicht einfach vergleichen. Chile versucht, den Neoliberalismus nach einer langen Phase der Diktatur zu überwinden. Venezuela kann angesichts seines Ölreichtums andere Schritte gehen. Der ecuadorianische Weg wird weder der chilenische noch der venezolanische Weg sein, weder der bolivianische noch der brasilianische, sondern es muss der ecuadorianische Weg sein. Insofern würde ich sagen, dass sich die ecuadorianische Regierung unter Rafael Correa in diesem breiten Spektrum post-neoliberaler Regierungen Lateinamerikas verorten lässt.
Nach den ersten Wochen in der Regierung mehren sich Kritiken. Die Tageszeitung El Comercio sprach von „Socialismo light“. Die Reduzierung des Präsidentengehaltes und die Erhöhung des Bono Solidario – das sind keine Struktur verändernden Maßnahmen. Ist es derzeit möglich, entscheidende Veränderungen auf den Weg zu bringen, oder muss auf die Verfassunggebende Versammlung gewartet werden?
Es hat schon erste relevante Entscheidungen gegeben. Wenn man die Maßnahmen einzeln betrachtet, verlieren sie ihre Bedeutung. Natürlich kann man die Reduzierung des Präsidentengehalts als eine demagogische Maßnahme darstellen. Doch das müssen wir in den Kontext setzen. Da ist die Verdoppelung des Bono Solidario, eine Unterstützung für die Ärmsten im Land. Das ist ein Zeichen zu sagen, wir wollen die Ungleichheit reduzieren. Wir haben festgelegt, dass der Präsident nicht mehr als 25 Mindestlöhne verdient. Jetzt fehlt ein zweiter Schritt, der nicht einfach ist, da es keinen positiv eingestellten Kongress gibt. Hier fehlt die Verfassunggebende Versammlung. Wir brauchen eine Einkommenssteuer, die für den Privatsektor oberhalb der 4500 Dollar eine rasch ansteigende Progression festlegt. Im öffentlichen Dienst verdient niemand mehr als 4500 Dollar.
Wird in die Verfassunggebende Versammlung (VV) nicht zuviel Hoffnung gesetzt? Es scheint, als könnte eine neue Verfassung das politische System, die ungerechten Strukturen in Gesellschaft und Wirtschaft ändern. Aber das ist wenig realistisch, zumal niemand weiß, welche Mehrheiten es in der Versammlung geben wird.
Der Vorschlag einer VV in Ecuador hat eine lange Geschichte. Er wurde Anfang der 90er Jahre von der Indígena-Bewegung aufgebracht. Es gab eine VV 1998, die keine relevanten Änderungen gebracht hat, denn es fehlte das Wichtigste: die Partizipation der Menschen. Die Versammlung von 1998 war ein geklonter Kongress, der Kongress selbst existierte parallel weiter und wollte keinen ernsthaften Wandel.
Anfang 2005 wurde der Vorschlag wieder aufgebracht im Rahmen des Foro Ecuador Alternativo, wozu auch Rafael Correa gehörte. Das Thema war zentral für dessen Wahlkampf und bietet aus meiner Sicht eine große Chance. Natürlich: Die VV alleine bewegt gar nichts; sie bedeutet nicht einmal, dass sich etwas verbessern wird. Man stelle sich nur eine Mehrheit der populistischen Rechten vor. Ich sehe aber die VV als eine Chance, wenn sie richtig angegangen wird – und da habe ich meine Bedenken. Manchmal fühle ich mich hier im Ministerium wie in einem Exil bei Zwangsarbeit. Es gibt viele Themen, zu denen ich mich äußern möchte: Verschuldung, Wirtschaftspolitik, Umweltpolitik und insbesondere die VV. Du wirst das Interview ja nicht in Ecuador veröffentlichen, hier spreche ich öffentlich nicht mehr über dieses Thema. Ich bin Energieminister. Punkt.
Weil es ansonsten zu Spannungen in der Regierung käme?
Klar. Die VV darf nicht auf die Frage der politischen Reform reduziert werden. Diese Reform ist wichtig, um eine unabhängige Kontrolle aller staatlichen Aufsichtsorgane – vom Verfassungsgericht bis zur Wahlbehörde – einzuführen, die nicht den Parteien überlassen bleiben darf. Dies ist aber nicht alles. Wir müssen neue programmatische Aspekte in der Verfassung verankern, welche das neoliberale Erbe überwinden helfen. Unsere aktuelle Verfassung räumt internationalen Regelungen z.B. zum Investitionsschutz einen höheren Rang ein als nationalen Gesetzen. Es geht zweitens darum, unsere Souveränität zurückzugewinnen. Diese beiden Punkte mögen konsensfähig sein unter den Befürwortern der VV. Aber es gibt einen dritten Punkt, der zentral ist: Wie können wir die Ungleichheit in unserem Land überwinden? Und es gibt einen weiteren für mich elementaren Punkt: nach Mechanismen einer echten Bürgerbeteiligung zu suchen. Hier gibt es Differenzen selbst unter den Kräften, die die Regierung tragen.
Um dies zu erreichen, müssen bereits vor Einberufung der VV Strukturen und Wege dafür geschaffen werden?
Zunächst gilt es zu verstehen, dass ein Entwurf für eine neue Verfassung bspw. von Seiten der Regierung – so gut er auch sein mag – Wege der Partizipation verschließt. Die Partizipation ist zentral, wichtiger als die Zusammensetzung der VV. Dort mag Gutiérrez mitwirken, Leute vom linken Regierungsbündnis Alianza País oder auch der ehemalige Vizepräsident León Roldós. Dies ist wichtig, damit die neue Verfassung Legitimität bekommen kann. Doch die Menschen müssen anfangen, die Themen der VV zu diskutieren. Denn es geht nicht nur darum, eine gute Verfassung zu haben, sondern darum, dass sie als unser gemeinsames Projekt anerkannt wird. Damit den Menschen klar ist, welches ihre Pflichten, welches ihre Rechte sind – die Menschenrechte als Ausgangspunkt, nicht als Ziel der VV.
Eine interessante Perspektive, aber die VV ist auf gerade mal sechs Monate angelegt.
Das ist ein Problem. Doch eine VV mit vollen Machtbefugnissen muss dies nicht respektieren. Eine VV kann zu einem Werkzeug der sozialen Transformation werden. Das hängt davon ab, wie sie angelegt ist. Es ist wichtig, dass sich jetzt an der Basis lokale Gruppen bilden, die sich auf die VV vorbereiten. Ideal wäre es, die Mitglieder der VV würden drei Tage die Woche in der Versammlung diskutieren, jeden Monat in einer anderen Stadt, und dann vier Tage der Woche mit ihrer Basis diskutieren. Damit die Menschen sich den Prozess aneignen. Die sozialen Bewegungen können hier eine wichtige Rolle spielen – und nicht nur diskutieren, wer ihr Kandidat sein soll.
Kommen wir zu den Angelegenheiten deines Ministeriums, das sowohl lang- als auch kurzfristig von großer Bedeutung ist. Welche zentralen Schritte sind bislang erfolgt?
Ich bin mit dem Energiethema seit 1974 befasst. Ich nahm an, ich würde viel von dem Sektor verstehen. Aber ich hatte nicht angenommen, dass wir mit so vielen Problemen und Schwierigkeiten konfrontiert sein würden. Ecuador fördert und exportiert Erdöl – und importiert Derivate. Das ist verrückt. Für die Importe und ihre Subventionen geben wir pro Jahr 2,3 Mrd. US-Dollar aus. Der völlig ineffiziente Stromsektor macht jährlich Millionen-Defizite. Und unser eher kleines Land mit unglaublichen Energiepotenzialen ist mit Energieengpässen konfrontiert. Das sind Auswirkungen des neoliberalen Tsunami. Bei der Energiegewinnung sind verschiedene Projekte bereits auf den Weg gebracht, insbesondere Wasserkraft.
Sind das staatliche oder private Projekte?
Der Staat übernimmt die Verantwortung dafür. Aber auch private Akteure können mitwirken, wenn sie sich an unsere Regeln halten. So wollen wir nicht noch mehr private Unternehmen haben, die extrem hohe Gewinne ausweisen. Wir gewinnen nur 46 Prozent der Energie aus Wasserkraft, 43 Prozent aus thermischen Kraftwerken mit Dieselbetrieb, elf Prozent importieren wir aus Kolumbien. Aktuell brauchen wir einige große Wasserkraftwerke, um die akuten Energieprobleme zu überwinden und den Energiemix zu ändern. Dabei sind wir uns dessen bewusst, dass Großprojekte zur Zentralisierung der Gesellschaft, zur Konzentration der Macht und des Kapitals führen – die Altlasten des Neoliberalismus sind groß.
Wir bringen auch konkrete Projekte für mittlere und kleine Kraftwerke voran. Es kann zum Beispiel nicht sein, dass die gesamte Energie in ein Bergbauprojekt geht. Wir haben nichts dagegen, dass Energie für produktive Zwecke verwendet wird. Aber an erster Stelle muss die betroffene Gemeinde stehen, deshalb müssen bei diesen Projekten Aspekte der Bewässerung und des Überflutungsschutzes berücksichtigt werden.
Daneben entwickeln wir Projekte erneuerbarer Energie. Auf den Galapagos-Inseln wollen wir dahin kommen, dass keinerlei fossile Brennstoffe mehr verwendet werden, nur Wind- und Sonnenenergie, Photovoltaik sowie Biosprit für Autos. Wir bauen gerade ein Unterministerium für erneuerbare Energie auf.
Im Ölsektor geht es zunächst darum, die Raffinerie von Esmeraldas zu modernisieren, die sich in einem chaotischen Zustand befindet. Im vergangenen Jahr waren vier Stilllegungen für die Instandhaltung geplant, aber der Betrieb stand faktisch 154 Mal still, sie ist jahrelang vernachlässigt worden. Das gilt für den gesamten staatlichen Erdölsektor, der seit 2003 eine geringere Produktion aufweist als die privaten Firmen.
Allerdings gibt es in der Regierung unterschiedliche Sichtweisen zu den Ölressourcen. Zum Beispiel: Was soll mit dem Projekt Ishpingo-Tambococha-Tibutini (ITT) geschehen? Mit mehr als einer Milliarde Barrel liegen dort die größten Reserven unseres Landes. Finanziell ist das für Ecuador sehr wichtig. Ein chinesisches Unternehmen interessiert sich dafür, weitere aus Brasilien, Chile, Venezuela, usw. Aber auf jeden Fall müssten sie mit der staatlichen Firma kooperieren. Nun sagen wir: Die Zivilgesellschaft hat einen anderen Vorschlag. Denn das ITT liegt zwischen zwei Naturparks mit hoher Biodiversität, in denen die letzten unberührten Völker leben. Was wir vorschlagen, ist ein System, das erlaubt, ungefördertes Rohöl zu verkaufen.
Wie bitte?
Das Öl wird verkauft, aber nie gefördert, sondern bleibt für immer in der Erde. Das ist ein ganz neuer Ansatz. Diese Initiative kommt weniger vom Minister, vielmehr vom Bürger Alberto Acosta. Rafael Correa will die Dollars sofort. Aber ich glaube, es gibt eine Möglichkeit, die internationale Öffentlichkeit von der Idee zu überzeugen und einen Beitrag gegen die Erderwärmung zu leisten. Das wäre aktiver Umweltschutz. Zwei unberührte Völker würden geschützt. Wenn Regierungen das unterstützen möchten, könnte man zum Beispiel europäische Bürger einige Barrel des ungeförderten Erdöls kaufen lassen und dafür ein Zertifikat ausgeben, das steuerlich absetzbar wäre. Das wäre ein sehr starkes Signal, dass die Regierung den Wandel will – nicht nur nach innen, auch nach außen.
Schon der Ansatz, das Öl weniger zerstörerisch zu fördern, ist eine große Herausforderung.
Wir brauchen auch das Geld und verpflichten uns, die Natur nicht anzurühren. Wenn wir weiter eine Kahlschlagpolitik im Amazonas betreiben, dann verlasse ich das Ministerium sofort. Schon das Szenario des weniger Schlechten verlangt eine Kontrolle durch die Bürger, damit es keine Umweltdesaster gibt.
Aber warum nicht an das ungeförderte Rohöl denken? Es gibt viele Kräfte in Ecuador, die in diese Richtung arbeiten, darunter ehemalige Minister. Wir müssten garantieren, dass die Umwelt geschützt wird und dass die Einkünfte in einen Fonds für die Entwicklung Ecuadors fließen. Denn wenn jemand darin investieren will, will er auch wissen, wie seine Gelder für den Schutz des Amazonas verwendet werden. Und er möchte, dass es keine Korruption gibt, sondern dass der Fonds für soziale Zwecke wie Gesundheit, Wohnungsbau, erneuerbare Energien verwendet wird.