Der Prozess gegen Alberto Patishtán in den Jahren 2000 bis 2002 war von Anfang an von zahlreichen Unregelmäßigkeiten begleitet. Im Verlauf des Verfahrens wurden Entlastungszeugen vom Gericht ebenso ignoriert wie die Widersprüchlichkeit offensichtlich fabrizierter Aussagen zweier Überlebender des Überfalls. Zum Zeitpunkt der Tat befand sich Patishtán viele Kilometer entfernt an einem anderen Ort bei einem Arbeitstreffen mit anderen LehrerInnen. Sein Vergehen bestand eher in seinem politischen Engagement in seinem Landkreis El Bosque. Kurz vor seiner Verhaftung hatte er eine Kampagne gegen den damaligen Bürgermeister von El Bosque wegen der Veruntreuung öffentlicher Gelder begonnen.
Patishtán ist in den vergangenen Jahren in verschiedenen Haftanstalten untergebracht worden, teilweise in Hochsicherheitsgefängnissen und zeitweise verfassungswidrig weit weg von seinem Heimatbundesstaat Chiapas. Das Hochsicherheitsgefängnis beschrieb er einmal als einen „Friedhof der Lebendigen”.„Hochgefährlich“ war und ist Patishtán, weil er im Gefängnis anderen indigenen Häftlingen das Lesen und Schreiben beibrachte, sie beim Erlernen des Spanischen unterstützte, mit ihnen politisch diskutierte und sich an Hungerstreiks beteiligte, bei denen seine MitstreiterInnen und er sich ausdrücklich als politische Gefangene bezeichneten. Ebenso nahm Alberto Patishtán aus dem Gefängnis heraus an der „Anderen Kampagne“ teil, dem von den Zapatisten gegründeten landesweiten Netzwerk sozialer Bewegungen. Als gläubiger Mensch hielt er Messen für andere Gefangene ab.
Während der Haft erkrankte Alberto Patishtán an einem Hirntumor, der erst falsch diagnostiziert wurde und unter anderem zu schleichender Erblindung führte. Erst nach vielen nationalen und internationalen Protesten bekam er 2012 eine angemessene medizinische Behandlung in Mexiko-Stadt. Dort konnte ein Teil des Tumors entfernt werden, die Sehkraft kehrte zurück. Inzwischen wächst der Tumor allerdings wieder.
Nachdem die Richter in Tuxtla Gutiérrez bereits Anfang 2010 einen Antrag Patishtáns auf Unschuldsvermutung und eine Bewertung aller Zeugenaussagen abgelehnt hatten, setzte dieser seine Hoffnung darauf, das mexikanische Verfassungsgericht würde den Fall wegen seiner besonderen Bedeutung (öffentliches Interesse und nationale Relevanz) an sich ziehen. Im März 2013 lehnten die Verfassungsrichter dies jedoch mit einer Mehrheit von drei gegen zwei Stimmen ab. Der Fall ging an dasselbe Gericht in Tuxtla Gutiérrez zurück, das den Antrag bereits vor gut drei Jahren abgeschmettert hatte. Noch steht eine Äußerung der Interamerikanischen Menschenrechtskommission aus, der die Informationen zum Verfahren gegen Patishtán seit Mitte 2010 vorliegen. Doch gerade erst hat das mexikanische Verfassungsgericht die Bedeutung von Empfehlungen und Urteilen internationaler Instanzen für die nationale Rechtsprechung abgeschwächt.
„Die Entscheidung ist enttäuschend. Offenbar ist das Rechtssystem nicht willens, seine Fehler zu korrigieren“, kommentierte Amnesty International das Urteil vom 12. September. AI hatte im Vorfeld über 10.000 Unterschriften gesammelt, mit denen die Freilassung Alberto Patishtáns gefordert wurde. Genauer als Amnesty bringt es wohl die mexikanische Anwältin und Akademikerin Magdalena Gómez auf den Punkt. Sie schrieb: „Für den Staat ist es gewinnträchtiger, wenn der Präsident eine Begnadigung aussprechen könnte, anstatt dass die Justiz der Gerechtigkeit einen Sieg zugesteht, der einem linken Aktivisten, Indigenen und Lehrer zugute käme.“