Freddy Ilanga, 1948 im Kongo geboren, durchlebte eine Kindheit, die von kolonialer Unterdrückung, politischer Unruhe und Armut geprägt war. Während seine Eltern nach einem Auskommen im benachbarten Burundi suchten, schlug der junge Freddy sich auf den Straßen seiner Heimatstadt Bukavu meist mit Zeitungverkaufen durch. Trotzdem war er noch in der Lage, eine bescheidene Schulbildung zu erringen und vor allem Suaheli und Französisch zu erlernen, Kenntnisse, die sein Leben entscheidend beeinflussen sollten. Es war eher die Neugier als politisches Bewusstsein, die Freddy dazu brachte, sich einer Rebellengruppe anzuschließen, die sich nach der Ermordung des kongolesischen Unabhängigkeitshelden Patrice Lumumba zusammenfand mit dem Ziel, das neue pro-westliche Regime zu stürzen. Ilanga, besonders geschickt darin, Molotow-Cocktails zu basteln, wurde wegen seiner Sprachkenntnisse zum Übersetzen abkommandiert, als eine Gruppe cubanischer Soldaten eintraf, um die Guerilla zu unterstützen. Der Anführer der Cubaner sprach zwar Französisch, brauchte aber einen Übersetzer und Suaheli-Lehrer, um mit den kongolesischen Rebellen kommunizieren zu können. Dieser Anführer, der allen nur als Tatu vorgestellt wurde, war niemand anderer als Ernesto Che Guevara, der zur Ausbildung der Rebellen in den Kongo gekommen war. So wurde aus Freddy Ilanga also der Übersetzer und Sprachlehrer Che Guevaras.
Sieben Monate lang lebten Guevara und Ilanga zusammen unter den äußerst harten Bedingungen des Guerillakrieges. Als junger Afrikaner, der Weiße bislang nur als Unterdrücker erlebt hatte und nichts von der cubanischen Revolution oder „El Che“ gehört hatte, brachte Ilanga Guevara zunächst vor allem Skepsis entgegen. Dazu verpflichtet, rund um die Uhr an Ches Seite zu bleiben, lernte er ihn als jemanden schätzen, der hart arbeitete und Schwarze wie Weiße gleichermaßen respektierte – eine Eigenschaft, die im Kongo der 1960er wahrlich revolutionär erschien. Als enger Vertrauter war Ilanga einer der wenigen Kongolesen, der Tatus wahre Identität kannte. Für den jungen Freddy waren die Monate an Ches Seite die prägendste Zeit seines Lebens. Er sprach später noch häufig von Che Guevara als einem Vorbild, das die Grundlagen für seine philosophische, politische und moralische Entwicklung legte. Guevaras und Ilangas gemeinsame Zeit kam zu einem abrupten Ende, als die Cubaner den Rückzug und damit das Ende ihres kongolesischen Einsatzes beschlossen, den Che später in seinem Tagebuch als Scheitern bezeichnen würde. Freddy hatte nie wieder Gelegenheit Che zu sehen oder zu sprechen. Bald nach dem kongolesischen Einsatz ging Guevara mit einer Gruppe cubanischer Guerilleros nach Bolivien und wurde dort erschossen.
Mit dem Abzug der cubanischen Truppen aus dem Kongo änderte sich Ilangas Leben ein weiteres Mal grundlegend: Ohne gefragt zu werden oder einen Grund genannt zu bekommen, wurde Freddy nach Cuba gebracht. Von offizieller cubanischer Seite hieß es später, Che Guevara wollte, dass Ilanga eine Ausbildung erhielt. Angesichts des Kalten-Krieg-Klimas und der strengen Geheimhaltung bezüglich Guevaras Anwesenheit im Kongo hatten die Cubaner vermutlich aber eher Sicherheitsbedenken, diese Person, die so nah mit dem Che lebte, fern ihrer Kontrolle im Kongo zurückzulassen. So fand sich der Teenager Freddy Ilanga Ilunga Yatii im aufregenden Cuba der ersten Jahre nach dem Erfolg der Revolution wieder, ohne ein Wort Spanisch zu sprechen noch zu wissen, wozu er dort wäre. In einem unserer Gespräche berichtete Freddy von der Aufregung, aber auch der Verwirrung, Orientierungslosigkeit und Einsamkeit, die er in jener Zeit spürte. Diese Einsamkeit und ein Gefühl der Heimatlosigkeit prägten ein Großteil seines Lebens. Damals dachte er, sein Aufenthalt in Cuba wäre vorübergehend. Aber nach vergeblichen Versuchen zurückzukehren und mangelnder Unterstützung seitens der cubanischen Behörden hierbei baute sich Ilanga ein Leben in Cuba auf.
Er studierte Medizin, praktizierte als erfolgreicher Kinderneurochirurg, heiratete eine Cubanerin und hatte mit ihr zwei Kinder. Er wandte auch viel Zeit dafür auf, Menschen in Cuba über Afrika zu informieren, indem er Vorträge hielt und pan-afrikanische Konferenzen organisierte. Er suchte Kontakt zu den afrikanischen Studenten in Cuba und plante Projekte für die Entwicklung Afrikas. Mit der Veröffentlichung von Ches Kongo-Tagebuch geriet auch Freddy Ilanga ins Rampenlicht und berichtete für Bücher, Filmproduktionen und Gedenkveranstaltungen von seinen Erfahrungen mit Guevara. Trotz seiner persönlichen und professionellen Erfolge bedrückten ihn die Sehnsucht und Einsamkeit wegen der Trennung von seiner Familie und der Ungewissheit um ihren Verbleib fortwährend. Auch wenn er dankbar für die Möglichkeit war, in Cuba studieren und als Arzt praktizieren zu können, gestand er Katrin Hansing kurz vor seinem Tode, dass es den hohen Preis, von seiner Familie getrennt zu sein, nicht wert war.
Eine weitere dramatische Wendung nahm Freddy Ilangas Leben vor etwas mehr als einem Jahr, als er einen Anruf aus seiner Heimatstadt Bukavu erhielt. Nach vier Jahrzehnten hatte ihn seine Familie ausfindig machen können. Als echte Geschichte des 21. Jahrhunderts geschah das per Internet. Die meisten seiner Verwandten hatten ihn bereits aufgegeben und angenommen, dass er als junger Rebell umgekommen sei. Nur eine Schwägerin hielt an dem Glauben fest, dass er noch leben würde. Zu einer der seltenen Gelegenheiten, in der sie Zugang zum Internet hatte, gab sie seinen Namen in eine Suchmaschine ein und fand einen Artikel von Dr. Freddy Ilanga samt Adresse und Telefonnummer. Sie sammelte unter allen Verwandten Geld für den teuren Anruf nach Cuba, der so viel ändern sollte. Dieser neuerliche Kontakt mit seiner Familie und besonders mit seiner 82-jährigen Mutter Mwausi Museke gab ihm eine ganz neue Energie und verlieh seinem Leben einen lange nicht mehr gespürten Sinn. Er wollte stets heimkehren, doch nun wurde ihm der Wunsch zur Mission. Wie aber sollte er die Heimreise finanzieren – mit einem monatlichen Gehalt von umgerechnet 20 Euro und angesichts seiner bitterarmen Familie im Kongo? Unsere Hoffnung, mit ihm die Reise zu seiner Familie durch das Drehen eines Filmes unternehmen zu können, wurde durch eine Hirnhautentzündung im November grausam durchkreuzt.
Am 25. November starb er an den Folgen dieser Erkrankung. Er wird nun nicht mehr seinen Traum, seine Familie zu sehen, erfüllen können. Uns bleibt die Aufgabe, die Geschichte eines Mannes zu erzählen, der, auch wenn sein Leben von den Machtkämpfen des Kalten Krieges, der Trennung von Familie und Heimat geprägt war, sein Leben Afrika, der Menschheit und dem Kampf gegen jede Form von Ungerechtigkeit gewidmet hat. Freddy hinterlässt seine Kinder, Ilya und Yaile, seine Mutter Mwausi Museke, viele Geschwister, Neffen und Nichten – und noch mehr Freunde. Er wird von uns allen vermisst.