Die Hoffnungen vieler ParaguayerInnen auf einen Wandel nach 60 Jahren ununterbrochener Herrschaft der rechten Colorado-Partei ruhen auf Fernando Lugo. Dieser Präsidentschaftskandidat ist ein Novum in der politischen Geschichte Lateinamerikas, denn Lugo war bis 2005 katholischer Bischof von San Pedro im Norden Paraguays. In der Region, in der es heftige Landkonflikte gibt , hat er sich als Verteidiger der Landlosen und Kritiker des Agrarexportmodells und der hemmungslosen Korruption einen Namen gemacht. Bei der ärmeren katholischen Bevölkerung machte ihn das populär, der konservativen Kirchenhierarchie (die beste Beziehungen zur Regierungspartei unterhält) und der Vatikanbürokratie war das kritische Engagements des Bischofs ein Dorn im Auge. 2005 versetzte ihn der Vatikan deshalb in den vorzeitigen Ruhestand. 

Doch damit war Fernando Lugo keineswegs mundtot gemacht, er verstärkte im Gegenteil sein politisches Engagement und organisierte verschiedene Kampagnen und Demonstrationen gegen die Regierung, u.a. gegen das Vorhaben des amtierenden Präsidenten Nicanor Duarte, die Verfassung dahingehend zu ändern, ihm eine zweite Amtsperiode zu gestatten. Im Dezember 2006 gründeten VertreterInnen von sozialen Organisationen die Volksbewegung Tekojoja[fn]zur Bewegung Tekojoa vgl. auch den ausführlichen Beitrag von Helmut Hackfort in der ila 303[/fn] (in Guarani „Gleichheit“, gleichzeitig der Name eines Dorfes, das 2005 von brasilianischen Sojapflanzern und paraguayischen Sicherheitskräften verwüs­tet wurde), um eine Kandidatur Lugos bei den Präsidentschaftswahlen 2008 zu unterstützen. Damit mobilisierte die Opposition und ließ bei der Rechten Alarmglocken schrillen.

Der Vatikan kritisierte erwartungsgemäß Lugos politische Ambitionen und suspendierte ihn von seinem ohnehin ruhenden Bischofsamt. Der Präfekt der katholischen Glaubenskongregation, Kardinal Giovanni Battista Ré, erklärte, dass es die Aufgabe eines Bischofs sei, die Gläubigen dazu zu bringen, dass „sie in allem der Autorität der Kirche folgen“, die sich „die Rettung der Seelen und nicht die Verwaltung der politischen Gemeinschaft zum Ziel setzt“ (humanistischer pressedienst, 5. 2. 2007). Als ob katholische Bischöfe nicht immer Politik machen würden – zumindest in den letzten 1500 Jahren!

Gleichzeitig betonte der Vatikan, dass Lugo trotz der Suspendierung seine Bischofswürde behalte, weil diese für immer angenommen sei. Eine Steilvorlage für die Colorado-Partei, die daraufhin argumentierte, Lugo könne nicht antreten, weil die laizistische paraguayische Verfassung die Kandidatur kirchlicher Amtsinhaber bei Wahlen verbiete. Doch eben diese Verfassung garantiert auch, dass niemand gezwungen werden kann, einer Organisation anzugehören. Da Lugo sein Priester- und Bischofsamt offiziell niedergelegt hat, ist er nach paraguayischem Recht kein kirchlicher Würdenträger mehr, da kann der Vatikan sagen, was er will.

Das nächste Hindernis für Lugos Kandidatur war, dass die Bewegung Tekojoja keinen Präsidentschaftskandidaten aufstellen darf, weil sie keinen Parteistatus hat. Dies wurde dadurch gelöst, dass ihn die kleine christdemokratische Partei als ihren Kandidaten nominierte. Sie ist neben ihrer noch kleineren uruguayischen Schwesterpartei die einzige weitere christdemokratische Partei in Lateinamerika, die dem linken Lager zuzurechnen ist.

Obwohl bald alle Meinungsumfragen Lugo in Führung sahen, war immer klar, dass das Machtmonopol der Colorados nur zu brechen ist, wenn die Opposition nicht mehrere KandidatInnen ins Rennen schickt. Daher verhandelte Lugo auch mit den traditionellen liberalen Oppositionsparteien über eine Allianz. Diese scheint nun zu stehen, doch nur um den Preis weitgehender politischer Zugeständnisse an die Bürgerlichen. Die wollen zwar auch die Herrschaft der Colorado-Partei beenden und möglicherweise auch weniger Korruption, aber das Wirtschafts- und das Agrarexportmodell steht bei ihnen nicht zur Disposition. (vgl. dazu den Textkasten „Links von Lugo“) Das bedeutet, dass die 400 000 landlosen Bauernfamilien von einer Regierung Lugo nicht allzu viel zu erwarten hätten. Zwar fordert Tekojoja in seiner Satzung „eine sofortige Neuordnung der Produktionsverhältnisse und eine gerechte Verteilung des erwirtschafteten gesellschaftlichen Reichtums“ (vgl. ila 303), doch gibt es wenig konkrete Vorstellungen etwa für eine Agrarreform. Einen Bruch mit dem Soja-Exportmodell wird es kaum geben, dies wäre aber die Voraussetzung, um den ländlichen Armen eine Perspektive zu geben. 

So geht es in Paraguay bei den Wahlen keineswegs um eine Abkehr von der neoliberalen Politik, sondern „nur“ um das Ende oder den Fortbestand der Colorado-Herrschaft. Sollte sich Lugo tatsächlich im April durchsetzen – was der Machtapparat mit all seinen Möglichkeiten zu verhindern versuchen wird – , hätte das dennoch für Paraguay eine ungeheure Bedeutung. Das Land könnte erstmals so etwas wie ein „normaler“ bürgerlicher Staat werden, mit Garantie der Grundrechte, Gewaltenteilung und einer halbwegs funktionierenden Justiz. Eine Kontrolle der Repressionskräfte würde den sozialen Bewegungen zweifellos neue Spielräume eröffnen. Doch selbst eine moderate Reform des Staatsapparates wäre ein enormer Kraftakt mit unsicherem Ausgang, weil die öffentlichen Institutionen völlig von den Colorados korrumpiert sind. Unabhängige Richter könnte eine Regierung Lugo sich nicht auf die Schnelle malen, genauso wenig wie eine professionelle Verwaltung oder saubere Polizisten und Militärs, die sich nicht einfach nur als bewaffnete Arme der Großgrundbesitzer sehen. Als es in den neunziger Jahren einer unabhängigen, gemäßigt linken Bürgerbewegung gelang, die Kommunalwahlen in Paraguays Hauptstadt Asunción zu gewinnen, schaffte es diese nicht annähernd ähnliche Akzente zu setzen wie viele andere linke Kommunalverwaltungen zwischen Montevideo und Mexiko-Stadt. Zu stark waren die Widerstände des korrupten Colorado-Beamtenapparates, der alle Initiativen ins Leere laufen ließ. Aber trotz aller Einwände und Begrenzungen wäre ein Wahlsieg Lugos ein unbedingt notwendiger erster Schritt für eine Transformation Paraguays.