Vielfältig oder vielleicht unerschöpflich sind die Möglichkeiten, wie Mais zubereitet wird. Ich erinnere mich, wie vor fünfzig Jahren in Mexikos Hauptstadt eine Dampfsirene auf die handgeschobenen Karren aufmerksam machte (und wohl heute noch macht), wo die gekochten Maiskolben mit Mayonnaise und Chili bestrichen genusssuchende Abnehmer*innen suchten und fanden. An fast jeder Straßenecke und auf allen Märkten werden Tacos angeboten, mit geröstetem Fleisch und Gewürzen gefüllt oder al pastor vom Drehgrill. Es fällt mir schwer, mich zu bremsen und nicht in eine endlose Aufzeichnung all der aus Mais hergestellten Köstlichkeiten zu verfallen, die allgegenwärtigen Tortillas, Enchiladas und Tlayudas, die Pozoles (regional unterschiedliche Suppen), oder das Maisgetränk Atole, Champurrado und Bhu’pu (mit Schokolade gequirlter Atoleschaum) … Nein, wir wollen erst wissen, wie der Mais nach Mexiko kam.

Historisch-biologisch betrachtet wurde er im Südwesten Mexikos aus dem Wildgras Teosinte gezüchtet, seine ersten uns bekannten Spuren datieren von etwa 5000 vor Christus, und breitete sich über ganz Lateinamerika und inzwischen auch Afrika und den Rest der Welt aus (vgl. den Comic in dieser ila). Im Popol Vuh, dem Epos der Maya von der Entstehung der Welt, ist nachzulesen, wie die Götter nach zwei fehlgeschlagenen Versuchen mit Lehm und Holz den Menschen aus „Mais schufen, aus Mais formten sie des Menschen Fleisch. Wasser war das Blut, in Menschenblut verwandelte es sich … Aus gelbem und weißem Mais … machten sie die Arme und Beine des Menschen. Einzig Maismasse trat in das Fleisch der Ahnen, der vier Menschen, die geschaffen wurden … Und sogleich sahen sie alles, was es in der Welt gab. Und sie dankten darauf dem Schöpfer und Former. Da sprachen die Götter unter sich: ‚Sollten sie am Ende uns gleich sein, die wir sie schufen und die wir in weite Ferne sehen, alles wissen und alles sehen?‘ … Da warf das Herz des Himmels einen Schleier über die Augen der Menschen. Und die trübten sich, wie wenn ein Hauch über den Spiegel geht … Sie konnten nur noch sehen, was nahe war, nur was klar war. So wurden zerstört die Weisheit und alle Kenntnisse der vier Menschen des Ursprungs und des Anfangs.“[fn]Popol Vuh“, aus dem Quiché übertragen und erläutert von Wolfgang Cordan, München 1962, S.102 ff[/fn] Es herrschte der Glaube, dass der Maisgott Yum Kax sich zu Beginn der Ernte selbst enthauptet, während der Aussaat wiedergeboren wird und damit die fortwährende Wiedergeburt der Natur symbolisiert.

Eine ähnliche Aufgabe vollbringt bei den nordamerikanischen Apachen und Navajos Etsanatlehi, die Göttin der Veränderung und stets fruchtbaren Erde. Sie schuf aus Maismehl und dem Staub von ihren Brüsten die Ureltern der Navajo und versorgte als Schöpferin des Maises die Menschen mit Nahrung.

Auch in der aztekischen Nahuatradition, die auf die Zeiten Teotihuacáns (100 bis 650 n. Chr.) zurückgeht, ist der Mais die Schöpfungssubstanz des neuen Menschen. Quetzalcóatl steigt ins Totenreich Mictlan hinab und erbeutet die Knochen der ersten, in den vergangenen vier Schöpfungszyklen untergegangenen Menschen. Er übergibt die Knochen der Göttin Cihuacóatl, die sie zermahlt und mit Maisteig vermischt, um ihnen die notwendige Lebensfähigkeit zu verleihen. Quetzalcóatl besprüht die göttliche Masse mit dem Blut aus seinem Penis und so erscheinen die Bewohner der Fünften Sonne in einer Höhle unter der Sonnenpyramide.

Quetzalcóatl wird auch die entscheidende Hilfe beim ersten Maisanbau zugeschrieben. Die damaligen Menschen lebten von Pflanzen und Wurzeln, die sie in den Wäldern fanden, und der Jagd, aber litten Hunger und Not. Es wurde erzählt, dass unter den hohen Bergen eine besonders nahrhafte Pflanze zu finden sei, aber keiner der angerufenen Götter hatte die Kraft, zu ihr zu gelangen. Da baten sie Quetzalcóatl um Hilfe. Er verwandelte sich in eine schwarze Ameise und in Begleitung einer roten Ameise machten sie sich auf den Weg, der beschwerlich und voller Gefahren war, und erreichten schließlich das Tal, wo die herrlichsten goldgelben Maiskolben im Abendlicht erstrahlten. Sie steckten sich je ein Maiskorn zwischen die Kiefer und machten sich auf den mühseligen Rückweg. Mit Begeisterung und großem Hallo wurden sie bei ihrer Rückkehr empfangen. Das Korn wurde sorgfältig in die Erde gepflanzt und bald wuchs und gedieh ein ganzes Feld der köstlichen Früchte. Für seine Heldentat wurde Quetzalcóatl von den Azteken sehr verehrt, die so zu großem Reichtum kamen, Paläste und Tempel erbauten und so manches Volk unter ihre Herrschaft zwangen.

In verschiedenen Legenden der Mayatradition ist es ein Vogel, der den Menschen das erste Maiskorn schenkt. Ähnlich auch bei den Huicholes, einem alten Volk, das in Nayarit und Jalisco siedelt. Hier lässt sich ein junger Indio auf der Suche nach dem Mais von einer Ameisenstraße leiten, wird aber im Schlaf von diesen seiner Kleidung beraubt. Als er am nächsten Morgen seinen Pfeil auf einen schönen Vogel richtet, spricht dieser zu ihm: „Ich bin die Mutter des Maises und meine fünf Töchter behüten ihn. Komm mit mir.“ Sie führt ihn zu einem herrlichen Feld, bedeckt von Pflanzen mit harten und grünen Blättern und goldgelben Früchten. Ihre Töchter waren Gelbmais, Rotmais, Blaumais und Schwarzmais. Mit köstlichen Maisgerichten bewirten sie ihn da und er und Blaumais verlieben sich ineinander. Sie folgt ihm in sein Dorf, wo Hochzeit gefeiert wird und sie die Einwohnerinnen die Zubereitung der leckersten Maisgerichte lehrt.

Auch bei den Guaraní in Südamerika rühmt man mehr als 200 Maisgerichte, die Körner und Haarfäden um die Frucht auch als Heilpflanzen. Vor langen, langen Jahren herrschte große Trockenheit und ein junger Indio erklärte sich bereit, sich zu opfern, um die Wut der großen Tupa zu besänftigen. Er ließ sich bei lebendigem Leibe begraben, nur seine Nase schaute noch heraus. Sein Opfer ward angenommen und als seine Familienangehörigen nach einigen Wochen nach ihm sahen, entdeckten sie eine Pflanze, wie sie sie noch nie gesehen hatten, von zartem Grün und mit einer goldgelb leuchtenden Frucht, die zart und süß schmeckte. Sie nannten sie avati, und so heißt sie bis heute noch und bedeutet „Nase des Indio“.

In ganz Amerika ist ein Leben ohne Mais kaum denkbar. Frank Waters schreibt in seinem Buch über das „Buch der Hopi“:[fn]übersetzt von Sylvia Dorn, München 1994, S.144 ff. u.a.[/fn] „Es ist schwierig zu sagen, was zuerst geschaffen wurde, das Land, der Mensch oder der Mais … Als zuerst die Erde erschaffen wurde, wurde sie als Weib erschaffen: unsere Mutter Erde. Sotuknang, ihre Schutzgottheit, erhielt den Auftrag, einen Stoff zu erschaffen, der geeignet wäre, die Menschheit mit Speise zu versorgen. Da er keinen weiblichen Partner hatte, sammelte er Feuchtigkeit, befruchtete die weibliche Erde mit Regen und brachte so die Pflanzenwelt hervor, um alle Lebewesen an ihrem Busen mit Speise zu versehen. Das Gras wurde zur Milch für die Wesen des Tierreichs und der Mais wurde die Milch der Menschheit. Der Mais vereinigt die zwei Prinzipien der Schöpfung. Er ist ein heiliges Wesen, das beide Elemente, das weibliche und das männliche, umschließt.“ In den verschiedensten Ritualen übernimmt die Maismutter von der Geburt an eine begleitende Schutzfunktion des Menschenkindes, aus Maismehl werden die magischen Linien an die Wände des Zeremonienzentrums gemalt und als Weihgaben mit den Gebetsstäben dargeboten. „Die Maismutter, von der wir unsere Nahrung empfangen, ist daher ein Wesen wie unsere Mutter Erde … Der Mais ist auch unser Leib. Darum opfern wir, wenn wir mit unseren Gebeten Maismehl darbringen, auch einen Teil unseres eigenen Leibes. Aber Mais ist auch Geist, denn er ist göttlichen Ursprungs, deshalb bringen wir dem Schöpfer auch geistigen Dank. – All diese Sinnzusammenhänge sind in einem vollkommenen Maiskolben enthalten, dessen Spitze in vier vollen Maiskörnern endet. Dies ist eine ‚Maismutter‘, wie sie für die Rituale aufgehoben wird.“

In Bolivien soll die erste Maispflanze aus dem Grab einer wunderschönen Indígena mit Namen Sara emporgewachsen sein. Es wird von zwei Gemeinden hoch in den Anden erzählt, die ihre Meinungsverschiedenheiten und Gebete um gute Ernte in einem wilden Kampf der jeweiligen Dorfjünglinge austrugen. Sara unterstützte mit bangem Herzen ihren Liebsten Huayru im Streite, als ein verirrter Pfeil ihres eigenen Vaters sie zu Tode traf. Von Huayru in ein Grab gebettet, wurde sie die ganze Nacht mit den bittersten Tränen beweint. Am nächsten Morgen indes, so erzählt die Legende, wuchs eine Pflanze aus dem Grab, wie sie noch niemand je gesehen hatte. Das Grün ihrer Blätter erinnerte an die Augen seiner geliebten Sara, der zarte Wuchs an ihre liebliche Gestalt, die goldgelbe Frucht an ihre Haare, die Maiskörner blitzten wie ihre Zähne und die ganze Frucht spiegelte den Schmelz ihrer zarten Haut. Die junge Indígena war ein ebenso wunderbares Produkt dieser Erde wie diese wundersame Pflanze und ihre unbekannte Frucht. Der Maiskolben selbst glich dem Pfeil, seine Keimblätter bewahrten Huayrus Tränen, die Haarfäden, die die Frucht bedeckten, glichen denen seiner Frau und der Genuss der Frucht schmeckte ihm so süß wie ihre Küsse und ein bisschen salzig wie seine Tränen.

Zum Ursprung der mittelamerikanischen Mythen über den Ursprung des Maises sieht Victor de la Cruz[fn]Victor de la Cruz, El pensamiento de los binnigula‘sa‘, Mexiko 2006, S. 197[/fn] drei unterschiedliche Traditionen als Quellen: die vom Vogel, der die Maiskörner für die Menschen entdeckt, aus dem südöstlichen Bereich der Maya, Zoque und Zapoteken (los binnigula’sa’); die von den eifrigen Ameisen, deren Geschichte im Posclásico von Nahua sprechenden Völkern verbreitet wurde, und die von der Gabe der Götter, die wohl eher von außen in den Mythos eingebracht wurde.