Waldmassaker und Goldrausch

Dem Wald wurde bereits in der frühen bürgerlichen Gesellschaft – noch in feudaler Grundeigentumsform – die Warenhaut übergezogen. Er wurde abgeholzt und mit raschem Neuwachstum bepflanzt. Die großen Wälder Afrikas, Amerikas oder der indonesischen Inseln bleiben heute zumeist nur abgehackt und abgesägt zurück. Vom Mythos des Urwaldes sind nur noch einige Nationalparks oder Schutzreservate übrig geblieben. Alexander vom Humboldt konnte noch natürliches Terrain durchziehen, – er war der erste und zugleich letzte Naturalist dieses Kosmos und jener Romantik. Eine Generation später trat mit Marx bereits die revolutionäre Kritik auf: Mit unabgegoltenem Weitblick fordert der junge Marx der ökonomisch-philosophischen Manuskripte (1844) die Wiedererstehung der Natur – zur und mit der Befreiung des Menschen aus der entfremdeten Arbeit. Die Menschen können ihren Warencharakter nur dann abstreifen, wenn dieser revolutionäre Kampf zugleich die Befreiung der Natur beinhaltet. Deshalb ist der Naturalismus zugleich ein Humanismus. Und umgekehrt. Dieser Naturbegriff unterliegt fürderhin der Kritik der kapitalistischen Totalität in den drei Kapitalbänden wie den folgenden Formen, zumal dann dem globalisierten Finanzkapital als bisher gigantischstem Produktionsherd von Naturzerstörung. Die zu befreiende Natur ist negatorisches Substrat von Ware und Kapital, in den jeweiligen Formbestimmungen des kapitalistischen Reproduktions- und Produktionsprozesses. 

Der aggressive weltweite Holzraub ist ein profitables mafiöses und machtpolitisches Unternehmen, das im Waffenhandel steckt, Kriege finanziert, Diktaturen stützt oder auswechselt sowie Völker vertreibt und eliminiert. So wurde der Bürgerkrieg in Sierra Leone (1990-2001) von der liberianischen Holzindustrie mitfinanziert. Anschließend finanzierte diese die Rebellen der Elfenbeinküste. Die Ausbeutung von Edelhölzern förderte kriegerische Konflikte in Kambodscha oder Burma. Die russische Mafia wiederum steckt in der Holzindustrie Sibiriens. Madagaskar wird abgeholzt, Kamerun, die demokratische Republik Kongo. Uganda, Ruanda oder Zimbabwe sind gekennzeichnet von diesem Konfliktherd der Macht über das Holz. Frankreich ist der größte europäische Holzimporteur aus Brasilien, der Provinz Para im Nordosten. Zwei Drittel der Ausbeutung dieses Regenwaldes sind illegal. Diese Entwaldung vollzieht sich als ein undurchschaubarer Krieg um Bodenbesitz und Aneignung von Ressourcen, zumal den menschlichen, durch Pauperisierung und Sklavenarbeit. Hinzu kommen die profitmaximierenden Machenschaften der Entforstungsindustrie: Mit Hilfe von Hightechpraktiken fälschen die Firmen – das betrifft auch die Holzkohleindustrie – das staatlich zugestandene Volumen des Holzabbaus. Von 177 Firmen angestellte Hacker knacken das Computersystem der Regierung und manipulieren die Vorgaben und Transporterlaubnisse. Zu den üblichen Verbrechen an der Umwelt oder der Pressung zur Sklavenarbeit kommt somit der illegale Abbau von 1,7 Millionen Kubikmeter Holz. Durch die Hacker konnten die Firmen die Ausbeutung ins Legale frisieren und in Übereinstimmung mit den Regierungsvorgaben bringen.

Das französische Überseedepartement Guyane passt ungefähr zehnmal in die Fläche von Para. Man könnte denken, jener – großenteils – Nationalpark, der Park Amazonien de Guyane, sei übersichtlicher, Natur und Menschen in einer – soweit dies die zivilisatorischen Maläste zulassen – passablen Allianz. Bei Lichte besehen hält Guyane einem Vergleich mit den Verkehrsformen von Mensch und Natur und der Menschen untereinander in Para, in Amazonien überhaupt, durchaus stand. Über die Hälfte der Urwälder des Planeten sind bereits verschwunden und um den Rest vollzieht sich ein bitterer Konkurrenzkampf, auch im stets gelobten Urwaldidyll Guyanes. Wer von Brasilien und seinen brennenden Wäldern über den Oyopak, den Grenzfluss, nach St. George in das französische Überseedepartement Guyane übersetzt – hier haben Sarkozy und Lula die Vollendung der Straßenstre-cke durch den Regenwald von Cayenne völkerverbindlich gefeiert – wird nach einigen Kilometern auf der neuen Route die ersten brennenden Rodungen passieren. Fluss-aufwärts von St. George wurde am Oyopak auf brasilianischer Seite unlängst eine Siedlung von 2000 EinwanderInnen entdeckt (s.u.) – eine logistische Bastion der nach Guyane strömenden illegalen GoldsucherInnen, der zumeist brasilianischen Garimpeiros. Beide Phänomene kennzeichnen das guyanesische Dilemma: Golddschungel und Waldmassaker.

La Guyane-francaise, immerhin ein komplettes Departement und somit Mutterland, liegt etwas abseits der Touristenroute. Es hat noch etwas von der „Grünen Hölle“ an sich. Dies galt noch während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, nicht nur wegen der berüchtigten Banjos, in denen Dreyfus einige Zeit verbrachte und viele politische Gefangene aus den Kolonien zu Tode kamen. Nun ist der Fortschritt eingekehrt und dieses Land in dessen Spirale gewickelt. Die Fremdenlegion sitzt nicht mehr im Dschungelcamp und baut Pisten durch den Regenwald, nein, sie ist kaserniert und bewacht die Raketen in Kourou, eine Abschussbasis, die einer stattlichen Ökonomie bedarf und somit mit protzigen Ausgaben den Regenwald unsicher macht. Für den reisenden Enthusiasten gibt es immer neue Wunderdinge; bei Schritt und Tritt stößt er auf diesen Fortschritt. Die Suburbs der Hauptstadt Cayenne sind mittlerweile von den Supermarktstraßen einer mittleren französischen Stadt – lässt man das amazonische Klima weg – nicht mehr zu unterscheiden. Werbeplakate und Supermarktketten sind, bis auf die Chinamen mit ihrem omnipräsenten Warenhandel, die nämlichen. Statt der Mopeds, wie noch vor wenigen Jahren, flitzen neue Kleinwagen herum und die kreolischen Damen lieben Allradschlitten. Es gibt auch ein neues Prunkgefängnis und überdimensionierte Sportpaläste. Little Chicago oder La Crique, die Trink- und Venusära der Armut mit MigrantInnen ohne Papiere – vor allem Frauen von den Antillen, aus Surinam oder Brasilien, sodann die Orpailleurs (die Goldsucher) – soll geschleift werden. Auch in Cayenne will sich die Metropole hygienisieren. Die Straße nach St. George und damit zum Grenzfluss Oyopak gehört in diese Jubelfeier des Fortschritts, sie transportiert dessen Unbilden in allerlei Schattierungen, wie die Polizeisperren oder die Autokadaver am Straßenrand zeigen – aber auch die immer neuen Rodungsflächen.

Wenn man die lokale Presse liest – eine gewitzte Ausnahme macht La Semaine Guyanaise, die den Golddschungel desavouiert – kommt einem geradezu ein Übertriefen von Waldschutz und Naturliebe entgegen. Fährt man nun die allbekannten Straßen ab, so fallen immer neue Pisten ins Auge, die sich in den Wald schneiden und dem Holzabbau dienen, sowie ein Wildwuchs von Pivatparzellen zur Pflege einer landwirtschaftlichen Kleinökonomie. Diese sehr zweifelhaften Anbauversuche schieben sich eher als lokaler Wahlstimmenfang denn als vegetabilische Versorgungsinstanz in den Wald. Jedenfalls wird der Wald niedergehauen und abgebrannt; was mit ihm dann passiert, lässt sich anhand der früheren Parzellierungen recht umstandslos folgern – Besitztitel für den Immobilienmarkt. Frankreich hat der Entwaldung noch eine eigene Pointe hinzugefügt: Es ist das einzige Land – so jedenfalls der Gewährsmann Jeannot aus Patawa – das die Waldzerstörung subventioniert. In Guyane ist nahezu die gesamte Waldfläche Staatseigentum. Wald wird nur abgetreten, wenn die Fläche verwertet, also niedergemacht wird zum landwirtschaftlichen Gebrauch. EinE LandwirtIn oder eineR, der/die dies werden will, kann sich ein Stück Land kaufen und es dann niederbrennen. Der Kaufpreis für einen Hektar beträgt 2800 Euro. Dieser Preis ist kalkuliert an den Kosten, um mit einem Traktor diesen Hektar „urbar“ zu machen. Per Schwarzarbeit wird das Abbrennen erheblich billiger; die illegalen Arbeiter – meist Brasilianer – nehmen zwischen 300 und 600 Euro. Der Landwirt hat also bereits pro Hektar einen Mindestverdienst von 2200 Euro. Gewöhnlich werden auf diese Weise zehn Hektar urbar gemacht, es gibt auch Vergaben von 500 Hektar, dabei ist dann der Bulldozer gemäß jener Rechnung eine Gratiszugabe. Diese Operation mit mehr oder weniger fiktivem Anbau kann man alle fünf Jahre wiederholen aufgrund der schnellen Verarmung des Bodens durch Abschwemmungen. Bei diesem Geschäft spielt die Landwirtschaft dann nur noch eine Nebenrolle. Mehr noch: Je nach landwirtschaftlicher Nutzung wird nun subventioniert. So die Banane. Um Cacao, einen blühenden Agrarflecken eine Stunde von Cayenne, liegen Tausende von Hektar Bananenplantagen. Es kommen aber kaum Bananen auf den örtlichen Markt. Es gibt Bananenfelder, auf denen weder gearbeitet noch geerntet wird. Die Prämien für die Urbarmachung und die Agrarsubventionen stiften, wie die Sozialhilfe für die Indígenas, den sozialen Frieden. 

An der Straße von Roura nach Kaw – vor einem Jahrzehnt noch Piste – liegen zwei ehemalige Camps der Legion, die jetzt als Herbergen dienen und von NaturforscherInnen oder WochenendbiologInnen aus Cayenne besucht werden. Man schlägt dort seine Hängematte auf und hat zudem eine Restauration. Ein Pärchen, Odette und Jeannot, haben das Camp Patawa übernommen, bieten dort Logement und sachkundigen Rat auf der Suche nach Insekten oder Schmetterlingen. Vier Pisten wurden in den letzten Jahren in unmittelbarer Nähe von der Organisation National de la Foret (ONF) in den Wald geschlagen. Sie bedrohen nun die beschauliche Naturforscherherberge von Patawa. Immer wieder kommen die Gespräche auf diese Forstbehörde, deren Zweck die wirtschaftliche Nutzung des Waldes ist, also die ökonomische Ausbeutung. Jeannot zieht Bilanz: „Wir haben hier eine Anlage für Touristen, Ornithologen usw. Darauf nimmt die ONF keine Rücksicht. Wenn sie den Wald ausradieren wollen, dann radieren sie ihn aus. Es interessiert sie überhaupt nicht, dass wir hier mit der Natur leben wollen. Dass wir hier sind, interessiert sie nicht, sie wollen den Wald abbauen. Die ONF in Guyane ist eine Katastrophe, eine wahre Katastrophe! Die Leute der ONF benehmen sich wie eine Kolonialbehörde! Jeder vom Conseil General, vom Conseil Departemental, ist natürlich für den Fortschritt, jeder aus derselben Optik: Geld machen! Die Natur ist ihnen völlig egal, daran geht man vorbei. Und natürlich ist das auch der französischen Regierung völlig egal, was hat die mit dem Wald in Guyane zu tun? Nichts. Solange die lokale Bevölkerung ruhig ist, lässt man hier alles zu. Da der größte Teil der Bevölkerung auch nichts mit dem Wald zu tun hat, bleibt also alles so wie es ist. Die ONF tut so, als schütze sie den Wald, dabei ist es ihre Aufgabe, aus dem Wald Geld zu machen. Der Wald muss rentabel sein – das ist das Geschäft der ONF. Der Wald ist weitgehend Staatseigentum und 98 Prozent des Landes sind Wald. Und somit entscheidet die ONF über 98 Prozent von Guyane. Niemand ist da, der hier eine Kontrolle ausübt. Auch das Umweltministerium schließt die Augen.“ 

Ein Gast, Philipp, lebte in den letzten sieben Jahren jeweils vier bis sechs Monate im Wald bei Patawa. Er war Söldner im Afghanistankrieg gegen die Russen, haute dort ab, arbeitet nun ein halbes Jahr in Frankreich, um Geld für den Regenwald zu haben. Er hat sich im Wald installiert, eine Stunde Fußmarsch von der Herberge, in der er abends zum Plausch auftaucht. Für ihn ist Guyane eine Art organisierte Anarchie. Aber er liebt den Wald: „Er ist die Wiege der Menschheit und darin liegt noch eine Chance. Man müsste auf bestimmte Luxusgüter verzichten, um den Wald zu erhalten. Die Ökologen haben normalerweise alle erdenklichen Geräte, Waschmaschinen, Trockenmaschine, Geschirrspülmaschinen, große Autos, etc. So geht es natürlich nicht. Man muss eine Wahl treffen. Wir haben schon keine Zeit mehr für Literatur und Poesie. Die Bestie Mensch ist Schuld an dieser Entwicklung.“ Und Jannot fügt an: „Nicht nur die ONF beeinträchtigt das Leben in der Herberge; es sind noch weitere Behörden am Werk. Wir sind hier den europäischen Normen unterworfen. Das macht große Belastungen aus, wir haben die aber zu erfüllen, wie ein Restaurant auf den Champs Elysee! So was kannst du natürlich nicht mitten im Wald hinkriegen; wenn wir fünf Besucher pro Woche haben, sind wir zufrieden. Wir haben nicht die finanzielle Kapazität wie ein Restaurant in Europa. Aber wir sollen genauso ausgestattet sein. Man nimmt also die europäischen Normen und pflanzt sie in den Wald – nach Guyane! Wir dürfen für unser Restaurant kein Wasser aus dem Brunnen holen. Es heißt: ‚Ihr müsst euch ein Wasserbecken anschaffen und Chlor rein tun!’“

Am Rande der Pisten befinden sich weite und tiefe Löcher, hier wird die erforderliche Erde ausgehoben. Auch die Nationalparks oder Naturschutzgebiete werden von der ONF geplant und angelegt. Zu einem solchen Schutzgebiet wurde die Gegend um Kaw erklärt, 60 Kilometer von Cayenne. Trotzdem kommen große Goldausbeutungspläne auf die Menschen dieses kleinen Kreolendorfs zu und auf die es umgebende Wasserlandschaft. Es gibt freilich noch weitere spezifische monströse Folgen dieser Verparkung, wie seine eigentümliche Urbanisierung und sein Informationspalais. Wenn man bei Kaw aus dem Boot steigt, erhebt sich vor einem ein gigantisches Holzbauwerk. Es ist die monumentale Zurschaustellung einer Auskunftei über Kaw, seine Flora und Fauna. Das Ganze – gemessen an den folgenden Hütten und Häusern der Fünfzig-Seelen Gemeinde – ist eine in die Wildnis gesetzte Tragikomödie. Hier hat ein vielleicht wohlmeinender Architekt einige Millionen europäischer Gelder in den Sumpf praktiziert. Die wenigen BesucherInnen, die hier übers Jahr eintrudeln – sind es ForscherInnen der Tier- und Pflanzenwelt – werden von einem solchen Prachtbau wenig entzückt sein. Zudem wird in den Wald eine gigantische Straße nach Regina geschlagen (der bisherige Verkehr erfolgte auf dem Fluss), obwohl der Wald eine Reserve ist, die als solche wiederum den Bau des Informationspalastes legitimiert! Diese Straße wird etwa 80 Kilometer lang sein und soll die Segnungen der urbanen Kommunikation nach Kaw und Regina bringen, letzteres Städtchen hat rund 300 EinwohnerInnen. Doch die neuen Straßen verhelfen der Bevölkerung gerade nicht zu der vorgegebenen fortschrittlichen Entwicklung der Dörfer und ihrer Infrastruktur – die Leute hauen ab. Anfangs kommen sie übers Wochenende wieder zurück ins Dorf. Nach einer Weile veröden die Dörfer zusehends. Die Einwohner von Kaw benutzen die Straße, um nach Cayenne zu kommen.

Um jene sinnlose Straße zu bauen, wird der Wald auf 80 Meter in der Breite kaputt geschnitten. Die Bulldozer haben auch vor einem Bambuswald nicht halt gemacht. Den alten Pfad, der einen Bach entlang führt, mussten wir unter gefällten Bäumen suchen. Die Route von Kaw nach Regina spiegelt den unaufhaltsamen Fortschritt der Zerstörung im amazonischen Nationalpark wieder, finanziert zumal durch Gelder aus Brüssel. (Der weitere Ausbau der Straße ist – nach Meldung vom Februar 2009 –zum Stoppen gekommen; die Bevölkerung von Kaw ist dagegen!) Zusammen mit dem Palais aus Edelholz für die handvoll BesucherInnen, die hierher pro Woche in einem Boot übersetzen, ist dieses Schutzgebiet ein Theater des Absurden. Es ist freilich ein Manifest der ökonomischen Logik der Globalisierung. Der Regenwald ist aber nicht nur ein Mafiadschungel zur Holzausbeutung geworden; er ist auch ein Dschungel der Goldgewinnung. Dies ist zwar eine alte Ausbeutungsform, die ganze Völker im Neuen Kontinent vernichtet hat, aber dieses Geschäft hat sich in die Administration und die staatliche und private Kriminalität hinübergerettet. Der Golddschungel gehört ebenso zum Massaker wie Rodungen und Kahlschlag. 
Der Park Amazonien de Guyane bietet diesen Schauplatz der Zerstörung. Auch in den respektiven staatlichen Zuständigkeitsbereichen herrscht ein wahrer Golddschungel. Minengesellschaften mit behördlichen GutachterInnen oder die Forstwirtschaft erstellen Expertisen, die nicht immer gegensätzlich ausfallen, allerdings gegensätzlich sein können. Dann geht es um einerseits, andererseits, wie z. B. in der Gegend um Regina am Mataroni-Fluß. Zwischenzeitlich geht der Abbau weiter. Hier wurde noch 2007 industriell mit Quecksilber gearbeitet, obwohl der Goldabbau vermittels Quecksilber Anfang 2006 verboten wurde. Das verschmutzte Wasser geht direkt in Flussläufe und bedroht somit die AnwohnerInnen. Für diese wie für die Natur sind nicht nur der unmittelbare Einsatz von Quecksilber bedrohlich, sondern zugleich die lang anhaltenden Giftrückstände und deren dauernde Aktivierung durch erneute Golddiggerei. Hinzu kommt der Regen, der die Gifte verbreitet; durch Wasserläufe und Bäche werden sie wiederum in die Hauptflüsse geleitet. Der Direktor einer Aufsichtsbehörde konstatiert immerhin eine latente Katastrophe und fordert den unmittelbaren Stopp der Arbeiten. Eine Inspektion vermerkt wiederum den Fortgang von nicht behördlich genehmigtem Abbau mit Maschinen und Chemikalien. Die legale industrielle Ausbeutung bedient sich also illegaler Mittel zur Profitmaximierung. 

In der Gegend von Cacao baut ein weiteres Industrieunternehmen Gold ab. Auch hier wurden völlig unzureichende Bedingungen des Abbaus festgestellt, offene Umweltzerstörung, Vergiftung des Bodens, des Wassers und der Luft. Die Illegalität der Bodenausbeutung wird immer wieder festgestellt, so die Anwendung nicht autorisierter Installationen, die Hinterlassenschaften von Giftmüllhalden oder Maschinenschrott. Es hängen sich große Industriefirmen in dieses Goldgeschäft, z. B. macht sich eine Filiale des kanadischen Giganten Iamgold mit Namen CBJ Caiman mit einigen Regierungsstellen zur Erlangung von Abbaurechten zu schaffen. Sie arbeitet mit wissenschaftlichen Gutachten für den Goldabbau des Bergzuges bei Kaw juristisch gegen die wissenschaftlichen Gutachten der französischen Behörde .  Diese Firma hat bereits sechs Schürfrechte in Guyane, eines davon betrifft die Schildkrötenberge bei Regina; gemäß den Regierungsgutachten in Sachen Kaw hätte jene Goldmine schon längst verboten werden müssen. Auf dem Bergzug von Kaw sind 150 000 ha durch diese kanadische Großfirma bedroht. Iamgold aus Toronto konnte überzeugende Zahlen vorlegen: Hiernach sind die Gewinne im ersten Trimester von 2008 um 42 Prozent (!!) angewachsen auf 208 Millionen Dollar im Vergleich zu 146,2 Millionen in der nämlichen Periode des Jahres davor. Iamgold führt diesen Gewinnzuwachs nicht auf rigorose Ausbeutungsmethoden zurück, sondern lediglich auf den Kurs des Goldpreises.

Dies ist der dritte Goldrausch in Guyane; der erste erfolgte im 19. Jahrhundert, der zweite um die Mitte des 20. Jahrhunderts. Nunmehr erfährt die Goldgräberei wieder eine Hausse, gefolgt von einem unübersehbaren Umweltdesas-ter. In diese Geschichte kommt ein altes Phänomen des Goldrausches: die Ausbeutung des Bodens durch illegale GoldsucherInnen, die Orpailleurs clandestin. Es sind zumeist BrasilianerInnen, die Garimpeiros. Diese clandestinen EinwanderInnen sowie Clans derselben arbeiten in völliger Illegalität; sie sind jedoch als KonsumentInnen geduldet und vielerorts willkommen. Für lokale HändlerInnen von Schmuck über Mehl bis zu Maschinenteilen sind die Garimnpeiros eine Goldgrube. Die HändlerInnen der Dörfer haben zudem Wege gefunden, das Gold der Garimpeiros nach Brasilien zu bringen, – ein einträgliches Geschäft für Kleinstbanker. Vor allem aber blüht der Kleinhandel und bringt Gold. In einigen Lagern der Clandestinen kostet die Dose Bier 2,5 Gramm Gold, so um Saint-Elie im Norden; das wären ca. 60 Euro. Telefonkarten à fünf Euro kosten ein Gramm Gold. Für einen Lippenstift bezahlen die Prostituierten ebenso ein Gramm Gold, für Unterwäsche zwei Gramm.

Saint-Elie im Norden des Landes ist ein respektabler Umschlagplatz. Das Quecksilber wird von Surinam herübergeholt; es kostet dort 50 Dollar das Kilo, das sind ungefähr zwei Gramm Gold. In Guyane wird das Quecksilber – man trägt 20 Kilo auf dem Buckel – für 8 Gramm Gold pro Kilo verkauft. Der Golderlös wird dann im Süden in Oiapoque (Brasilien) – über dem Grenzfluss und gegenüber von St. George – für 18 Euro pro Gramm eingehandelt. In Guyane bekommt man das Quecksilber für 17 Dollar; das Geschäft wird aber dennoch teurer, da auf jeder der ungefähr 12 Straßensperren die Polizei, um durchzukommen, bezahlt werden muss. Der Treibstoff kommt aus Cayenne; das Fass zu 200 Litern wird am Petit Saut (auf der Strecke nach Saint-Elie) für 30 Gramm Gold verkauft, nach der Überquerung des Sees von Petit Saut, für 35 Gramm und schließlich in Saint-Elie für 50 Gramm – was übrigens (wie auch die abweichenden Werte in Saül oder Camopi) die Marxsche Mehrwerttheorie aufs Schönste bestätigt.
Nach den Karten der ONF wurden 1990 212 Hektar ausgebeutet; seit dem Jahre 2000 hat sich die Goldsuche sowohl clandestin wie legal verdreifacht. 2006 wurde eine Eingreifgruppe gebildet, Groupement d´Intervention Regional (Gir), die allerdings kaum Eingriffe unternahm, sie bestand aus vier Polizisten, fünf Gendarmen, einem Zöllner und einem Steuerinspektor. Im November 2007 gab es folgende Goldabbauflächen: Legale Goldindustrie 7509 Hektar; illegale Goldsucher 4081 Hektar und industrielle nichtautorisierte Goldsuche 1041 Hektar. Die Karten der Forstbehörde ONF werden per Satellit aufgenommen. Man weiß also, wo die Lager sich befinden. Andererseits: Werden illegale Goldsucherlager erspäht, so nimmt die offizielle Goldausbeutung diese Hinweise als Verortung zur Erlangung eines Titels der Autorisierung des dortigen Abbaus. Dann hängen sich die Clandestinen an die offiziellen Claims. So arbeiten sich offizielle und clandestine Goldsucherei in die Hände.

In den letzten Jahren erfolgte eine rasante Zunahme der illegalen Goldsuche. Das mag einmal mit den steigenden Goldpreisen zusammenhängen, zum andern aber auch mit der Unfähigkeit der Behörden, die Nachschublinien, die Lager sowie die Materialeinfuhr der illegalen GoldsucherInnen vermittels Hubschrauber, Pirogen, Quads oder Motorrädern aufzuspüren oder zu kontrollieren. Für vier Monate wurde 2008 vom französischen Präsidenten Sarkozy die „Operation Harpie“ mit dem Einsatz von Militärs und Gendarmen angeordnet. Nicolas Sarkozy hatte in Camopi – einem Garimpeiros-Zentrum für den Nachschub – angekündigt, dass diese Operation so lange andauern sollte, so lange sie gebraucht werde. Die Operation war von den Zahlen des Einsatzes her völlig unterbesetzt und kam als großer Bluff heraus. Mit Hubschraubern und Quads waren die Garimpeiros der Logistik der bewaffneten Staatskräfte überlegen. Diese griffen dann am 12. März 2008 in Saint-Elie (37 registrierte WählerInnen) mit Hubschraubern ein; 18 Personen wurden verhaftet, zumeist lokale HändlerInnen, die den Garimpeiros Motorteile, Öl, Nahrungsmittel usw. gegen Gold verkauften, die Goldgeschäfte betrieben oder Zuhälterei.
Hin und wieder wird eine Verhaftung vorgenommen gelegentlich irgendeines Mord und Totschlags, der dann zwar den Mörder betrifft, aber nicht den hinter der Beseitigung von KonkurrentInnen oder einwandernden GoldsucherInnen stehenden Bandenchef. Diese Kleinkriege dienen der Verteidigung oder der Expansion von Territorien. Zwischen dem 1. Januar 2003 und dem 15. Mai 2008 gab es im Zusammenhang mit der Goldsuche 75 offiziell registrierte Morde, die nicht aufgeklärt wurden. Hinzu kommen die gelegentlichen Kadaverfunde im Regenwald, die auf die Bereinigung von Geschäften hinweisen, so bei Guerilla, im Nordwesten von Saül (einem traditionsreichen Goldgräbernest mit einer Herberge für NaturkundlerInnen; bis zu 30 kg Gold werden in einem Lager während einer Woche aus dem Boden gezogen). Hier wurden während der Aktion Harpie 179 Waffen erbeutet, darunter Maschinenpistolen, zumeinst Handfeuerwaffen. 

Gegenüber von Camopi auf der brasilianischen Seite war die Siedlung Villa Brasil lange Zeit die entscheidende Nachschubbasis für die clandestinen GoldsucherInnen. Die brasilianische Polizei hat schließlich einige Häuser geschleift. Nach dem Rückzug der 409 Soldaten und 143 Gendarmen der Aktion Harpie am 17. Juni 2008 hat sich unweit von Camopi eine blühende Nachschubbastion entfaltet, Villa Brasil 2, mit 2000 Seelen, Bars, Nachtclubs, Restaurants und Ersatzwarenlager – alles im Park Amazonien. Das Militär schätzt, dass in der Umgebung ungefähr Tausend MigrantInnen ohne Papiere arbeiten. Diese Garimpeiros sind indessen nur die negativen Charaktermasken der zum System gehörenden Geldheckung, wenngleich ungleichzeitig angesichts dessen finanzkapitalistischer Form, dennoch von ihr reproduziert. Wie die Plebejer in den Poren der mittelalterlichen Städte oder das Lumpenproletariat als bürgerliche Verwerfung, so besitzt diese archaische Arbeit und Selbstausbeutung revoltehafte Elemente, die zur Doppelschlächtigkeit der Ausgestoßenen wiewohl Exekutoren dieser geforderten Schatzbildnerei gehören. Das clandestine Leben ist immer auch ein Triumph über die Herrschaft. Die Niederwalzung des Dschungels wird hinreichend von der Großindustrie besorgt. Die Orpailleurs wollen nehmen, was ihnen genommen ist. Solange die Geschichte überliefert ist, haben arme Teufel sich mit dem Golde verbündet, das andere Teufel ihnen dann nehmen, wie es der „klugen Grete“ in der Grimmschen Sammlung widerfährt. Nach dieser magischen Schatzbildung des Goldes folgt die ursprüngliche Akkumulation des Kapitals – die Landlosmachung der BäuerInnen – die bürgerliche Schatzbildnerei mit dem Gold als frühkapitalistischem Währungssubstrat – Voltaire hat sich dem Herumscharren des Preußenkönigs in seinen Goldkellern besonders angenommen – dann die Aktie mit diesem Fundamentum in re und schließlich die Goldware als materielle Symbolik des flottierenden Finanzkapitals.

Wie immer findet sich auch hier die Wahrheit in den Extremen: Werden da Charaktermasken des Großkapitals zufällig angeprangert, so sind das Zufälle des auf der Produktion dieser Charaktermasken ausgerichteten Sys-tems. Die Garimpeiros, die Mord, Totschlag, Kinderprostitution, Versklavung und alles, was mit dem Elend der Menschheit zu tun hat, versinnbildlichen können, sind wiederum nur das negative Extrem jener Charaktermasken der kapitalistischen Produktion. Dass sie existieren und existieren müssen nicht nur zu ihrer eignen Reproduktion, sondern zu eben der jener großen Charaktermasken, verdankt sich der zum System gehörenden Geldheckung, deren Quintessenz als Tauschwert die Schatzbildnerei übers Gold ist und diese wiederum Folge und ungleichzeitiger, wenngleich begleitender, Grund dieser Produktionsweise. Die Legionäre, die sich für 30 000 Euro Sold im Monat in Afghanistan oder bei sonstigen Mordbrennereien in Afrika oder im Irak verdingen, gehören in diese Folie des Kapitalverhältnisses. Wie die Garimpeiros, die auf der Heerstraße des Elends auf das große Glück hoffen.
Neben der Umweltzerstörung mittels Quecksilber von Erde und Wasser durch die clandestinen Orpailleurs zeigt Guyane, wie sich die Verhältnisse in zumeist völliger Legalität in weiteren Weltparks entwickeln werden. Die Kollateralschäden wie Abfall, Verschmutzung, Maschinenparks, Vertreibungen von Einheimischen usw. sind die Faux frais, die notwendig falschen Kosten dieses kapitalis-tischen Waldmassakers mit staatlicher Unterstützung.

In diese nachhaltige Apokalypse des Fortschritts gehört auch die bürgerliche Emanzipation der Erniedrigten und Beleidigten – umgekehrt, deren Fortsetzung in freiwilliger Knechtschaft. Für den Austritt aus der Sklaverei, dann zum Nationalismus der Négritude, wird die Freiheit der Rodung zum Exempel.
Mittlerweile hat sich auch die Ökologie die kapitalistische Warenhaut übergezogen. Die Naturausbeutung unter ökologischen Auspizien rubriziert lediglich die Expropriation der Erde in einiger Hygiene, Ware light. Sie gehört den zivilisatorischen Tendenzen des Kapitals an. Dieser Zivilisation unterliegen zumal Ausbeutungsprozesse sans phrase, die rohe Expropriation der Natur zur extraprofitlichen Mehrwertheckung. Diese vollzieht sich in Legalität mit der kapitalistischen Verkehrsweise sowie in Illegalität. Was in melancholischer Rührseligkeit Waldsterben heißt, hat in beiden Formen seinen Schauplatz.