Sag deiner Familie, dass du nach zwei Jahren zurückkommst. So fällt dir der Abschied leichter. Nach 20 Jahren wird sich niemand an dein Versprechen erinnern.“ Das ist ein Ratschlag für alle, die aus wirtschaftlicher Not migrieren müssen. In der Hörspielserie Querían brazos y llegamos personas (etwa: „Sie wollten Hände und es kamen Menschen“) wird zum Ende jeder Episode ein Tipp für alle Hausangestellten im Ausland gegeben. Von dem Hörspiel gibt es auch eine Theaterversion, geschrieben, produziert und aufgeführt von Frauen der Organisation „Territorio Doméstico“.
In acht Episoden à durchschnittlich fünf Minuten (nur die letzte ist länger) werden drei Schicksale erzählt. Da ist Yuritsi aus Nicaragua, die von ihrem Mann mit den drei Kindern sitzen gelassen wurde, für ihren kranken Vater müssen teure Medikamente bezahlt werden. Migration ist der einzige Ausweg aus der finanziellen Misere. Quisqueya aus Ecuador brezelt sich bei ihrer Abreise auf und muss im Flieger feststellen, dass die mitreisenden Tourist*innen ganz leger gekleidet sind. Sie wird in Madrid große Schwierigkeiten haben, eine Wohnung zu finden, weshalb sie als Interna arbeiten muss, also bei ihren Arbeitgeber*innen wohnt. Amalia aus Honduras hat eine absolut aristokratische Chefin, Doña Paloma, mit ihren Ansprüchen ein Fass ohne Boden. „Ach, ihr Latinas seid so lieb, nicht so aufrührerisch“, reibt sie ihr beim Vorstellungsgespräch unter die Nase. „Ich zahle dir 500 Euro monatlich, aber wir machen erst mal drei Monate Probezeit.“ Apropos Vorstellungsgespräch, auch dafür gibt es einen guten Rat: „Sag zu allem ja. Aber hüte deine zusätzlichen Talente wie einen Schatz.“ Amalia hätte nicht verraten dürfen, dass sie in Tegucigalpa als Englischlehrerin gearbeitet hat. Nun wird sie als Nachhilfelehrerin für die Enkel der Hausherrin ausgenutzt.
„Du gehörst zur Familie.“ Diesen Spruch bekommen Hausangestellte immer wieder zu hören. Bei so viel Familienwärme ist es doch selbstverständlich, dass sich die Hausperle zwölf Stunden am Tag einbringt, bei den >Internas können es bis zu 17 Stunden sein. Frei haben sie nur an einem Tag in der Woche.
Die sonst nüchtern aufbereiteten Zahlen und Fakten über Hausangestellte und Migration werden im Hörspiel zu einem spannenden Plot. Frauen, die tatsächlich als Hausangestellte arbeiten, waren an der Entstehung des Stücks beteiligt und sprechen die Rollen selbst ein, in unterschiedlicher Besetzung, damit mehrere zum Zuge kommen. Dass sie keine professionellen Schauspielerinnen sind, ist zwar zu hören, aber die Story samt ihrer lebensechten Dialoge macht das wett.
Spanien ist das europäische Land, in dem die meisten Hausangestellten aus Lateinamerika beschäftigt sind. Im letzten Jahr hat sich aufgrund der Pandemie die bereits extrem entrechtete Situation dieser Care-Arbeiterinnen weiter verschärft. Während des Lockdowns konnten viele Internas nicht mehr vor die Tür, sie waren wie moderne Haussklavinnen 24/7 eingesperrt. Andere wiederum, die nicht bei ihren Chefs wohnen und in verschiedenen Haushalten arbeiten, verloren ihre Jobs, weil ihre Arbeitgeber*innen eine Ansteckung fürchteten. Oder sie selbst setzten sich auf dem Weg zur Arbeit verstärkt dem Ansteckungsrisiko aus.
Aber im Hörspiel wie im echten Leben reicht es irgendwann. Und die sonst so „liebevollen“ Latinas beginnen aufzumucken. „Weder Roboter noch Sklavin – Organisier‘ dich! Denn vor nichts anderem haben deine Chefs mehr Angst!“ Diesen Ratschlag werden unsere drei Protagonistinnen schlussendlich beherzigen. Denn Amalia hört während einer ihrer langen Schichten im Radio einen Beitrag über die Organisation „Territorio Doméstico“. Und die gibt es tatsächlich: 2006 gegründet, bietet sie den migrantischen Care-Arbeiterinnen einen Ort für Begegnung, Austausch und Empowerment. Hier bekommen die Hausangestellten Unterstützung beim Kampf um ihre Rechte, unter anderem durch eine Rechtsanwältin. Im Jahr 2019 veröffentlichten sie das Album Sin nosotras se para el mundo („Ohne uns steht die Welt still“). Alle zwei Wochen gibt es sonntags ein Treffen im Madrider Stadtteil Lavapies, mit Snacks, Getränken, Musik. „Wir hören uns zu, trösten und helfen uns, lachen zusammen und spüren unsere Körper wieder.“ Weswegen dann auch mal zusammen ein Tänzchen gewagt wird. Am liebsten natürlich eine Cumbia.
Hier ist die Radionovela zu hören:
mehr Infos:
https://www.museoreinasofia.es/actividades/querian-brazos-llegamos-personas
https://www.facebook.com/territoriodomestico